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KONFERENZ/194: Habitat III-Konferenz - Stadtvermarkter unter sich? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015

Gute Stadt - Böse Stadt
Landromantik vs. Stadt für alle

HABITAT III-KONFERENZ
Stadtvermarkter unter sich?

von Knut Unger


Sieht man sich die bisherigen Vorbereitungspapiere und Diskussionen zur UN-Konferenz Habitat III an, die 2016 in Ecuador stattfinden soll, so stellt man ernüchtert fest, dass zentrale ökonomische Rahmenbedingungen und Herausforderungen für die Stadtentwicklung der Zukunft fast völlig ausgespart werden. Dabei wäre die Rückgewinnung gesellschaftlicher Kontrolle über die globalisierten Immobilien- und Finanzmärkte eine Voraussetzung für die Durchsetzung des Menschenrechts auf Wohnen und eine nachhaltige Stadtentwicklung.

Trotz globaler Krisengipfel und zahlreicher Proteste in den betroffenen Städten ist bei Habitat III keinerlei Diskussion über die transnationale oder nationale Regulierung der Finanz- und Immobilienmärkte vorgesehen. Trotz "Occupy Wallstreet", Thomas Pickety und der neuen UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung wird nicht über die Auswirkungen der extremen Ungleichheit der Vermögensverteilung auf die Urbanisierung gesprochen. Wenn nicht ein Wunder geschieht und dieser Diskurs in den zehn Monaten bis zur Konferenz nicht ganz erheblich erweitert wird, droht das Abschlussdokument von Habitat III, die "Neue Urbane Agenda", zu einem Dokument der Unterwerfung und Anpassung der Kommunen an globale Trends und Krisen zu werden.


Vorbereitung der Konferenz jenseits der Krisen-Debatte

Obwohl es eine Binsenweisheit ist, dass globale Wirtschaftsverflechtungen und Finanzmärkte die Entwicklung der Städte ganz wesentlich mitbestimmen, findet sich unter den zehn Politikeinheiten (Policy Units)(1), die die Inhalte von Habitat III vorbereiten sollen, nicht eine einzige, die sich der Einschätzung dieser Rahmenbedingungen für die Urbanisierung widmet. In keinem der 21 Themenpapiere (Issue Papers), welche Schwerpunkte für die "Neue Urbane Agenda" vorbereiten sollten, wird der transatlantische Immobiliencrash von 2007 erwähnt oder die darauf folgenden massenhaften Wohnungsräumungen in den USA und Spanien oder die Wirtschafts- und Finanzkrisen.

Stattdessen finden sich in diesen Papieren jede Menge implizite Affirmationen der ökonomischen Globalisierung. Ein paar Beispiele: In Issue Paper 12 "Local Economic Development" wird völlig unkritisch eine Verbesserung der globalen Wettbewerbsfähigkeit ("Business-Friendly Environment") befürwortet, ohne auch nur ansatzweise darüber zu reflektieren, wer die Wettbewerbsbedingungen bestimmt. In Papier Nr. 7 "Municipal Finance" wird unter anderem ein leichterer Zugang der Kommunen zu privaten Kapitalmärkten gefordert. Papier Nr. 9 "Urban Land" erwähnt Alternativen zum Privateigentum, geht aber nicht auf globales Landgrabbing ein. Obwohl Nr. 20 "Housing" die Zwangsräumungen beklagt, werden die missbräuchliche Hypotheken-Vergabe an arme Haushalte in den USA ("Subprime Loans"), die undurchsichtigen Verbriefungen fauler Hypothekenkredite und die einseitige Ausrichtung ganzer Volkswirtschaften auf die private Immobilien-Spekulation als wesentliche Ursachen nicht einmal erwähnt. Nur Nr. 1 "Inclusive Cities" zitiert zumindest die Kritik der früheren UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen, Raquel Rolnik, an der Verdrängung von ärmeren BewohnerInnen für weltmarktorientierte Stadtentwicklungen und an der mangelnden Kontrolle der Bodenspekulation. Aber selbst dieses Papier geht nicht auf die Vermögensverteilung als eine der Ursachen von Spekulation und Segregation ein.


UN-Sonderberichterstatterin fordert "Agenda der Stadtrechte"

Bereits 2009 forderte Rolnik in einem Bericht an den Menschenrechtsrat(2) Alternativen zur Hypotheken- und Eigenheimorientierung der wohnungspolitischen Systeme. Auch die derzeitige Sonderberichterstatterin, Leilani Farha, beklagte bei einer Konferenz in Berlin kürzlich den "sozioökonomischen Druck" auf die Wohnbedingungen in Europa und forderte eine "Agenda der Stadtrechte": "Ich wünsche mir, dass sich die Staaten bei Habitat III auf das Recht auf angemessene Wohnung und andere Menschenrechte als überragende Elemente [...] verpflichten, einschließlich der Haushaltspolitik, der Ressourcenverteilung und des Bodenmanagements. Ich würde mir wünschen, dass sich die Staaten verbindlich dazu verpflichten, die Sicherheit der Wohnverhältnisse zu garantieren, auch in den informellen Siedlungen." (3) Jeder einzelne ihrer Forderung beinhaltet regulative Eingriffe in die Immobilienmärkte, also eine erhebliche Korrektur an der "Stadt-Agenda" des Habitat III-Mainstreams.


Habitat-Agenda gleich Marktagenda?

Der Konflikt zwischen Menschenrechts- und wirtschaftlicher Anpassungsagenda bei Habitat-Konferenzen ist allerdings nicht neu. Schon bei der Weltsiedlungskonferenz in Istanbul 1996 hätte es jeden Grund zu kritischer ökonomischer Reflexion gegeben. Die meisten Länder des früheren Ostblocks hatten ihre staatlichen Immobilienbestände binnen kurzer Zeit privatisiert. Im Westen galten sozialstaatliche Interventionen in die Immobilienmärkte als überflüssige Wettbewerbsverzerrungen. Und falls es in Ländern des globalen Südens überhaupt einmal eine Wohnungspolitik gegeben hatte, so war diese in die Mühlen der Strukturanpassungsprogramme und Standortwettbewerbe geraten. Die Wohneigentumsquote eines Landes wurde zum Entwicklungsindikator. Eine hohe Mietwohnungsquote galt im globalen Zusammenhang als Abnormität.

Ganz dem Zeitgeist entsprechend versprach die Habitat-Agenda, das Abschlussdokument der Konferenz von 1996, die Ziele einer "angemessenen Unterbringung für alle" und einer "nachhaltigen Siedlungsentwicklung" mit marktkonformen Mitteln zu erreichen. Zwar finden sich in dem Text einige hart erkämpfte Bekenntnisse zum Recht auf Wohnen, zur Partizipation an der Planung, dem Erbrecht von Frauen und zur umweltgerechten Entwicklung. Überwiegend aber schwelgt das Dokument in der Rhetorik intersektoraler "Partnerschaften". Partnerschaften zwischen Kommunen, dem privaten Sektor, NGOs, den CBOs, "den" Frauen, "der" Jugend, "den" Indigenen usw. sollten die Märkte "befähigen", die Wohnungsprobleme zu lösen, ohne die Umwelt zu zerstören. Unter den damaligen Kräfteverhältnissen konnte das nur auf eine weitere Legitimation von öffentlich-privaten Partnerschaften hinauslaufen. Die Welle schrittweiser Privatisierungen öffentlicher Güter und Dienstleistungen auch in Westeuropa, die transnationalen Geschäfte mit kommunalen Infrastrukturen (z. B. Cross-Border-Leasing), die Öffnung der sozialen Wohnungs- und Kommunalwirtschaft für spekulative Finanzanlagen, die Verwandlung der kommunalen Verwaltungen in "Unternehmen"... all diesen Entwicklungen setzte die Habitat-Agenda nichts entgegen. Es können sogar etliche Begriffe und Handlungsansätze als explizite Rechtfertigungen der Neoliberalisierung gelesen werden.


Skandalisierung der neoliberalen Stadt

Mit einer solchen Marktagenda aber konnte das Versprechen auf Überwindung des globalen Wohnungselends nicht erfüllt werden. Für städtische Sozialbewegungen, die anfangs noch Hoffnungen in den Prozess gesetzt hatten, kam die Ernüchterung rasch. Bei der Folgekonferenz Habitat+5 in New York 2001 verbrannten AktivistInnen Dokumente, um die sie fünf Jahre zuvor noch gestritten hatten. Die Infragestellung des Wettbewerbsmodells erfolgte dann jenseits der NGO-Foren in den globalisierungskritischen Bewegungen. Bei den europäischen und den Weltsozialforen gab es immer auch Treffen und Veranstaltungen, die von StadtaktivistInnen gestaltet wurden. Hier war man sich in der grundsätzlichen Kritik am "Neoliberalismus" einig, eine wirksame Strategie, wie man unter Einbeziehung der lokalen Transformationskämpfe die neoliberale Hegemonie überwinden könnte und wie die Städte dann zu regieren und zu bewirtschaften wären, entwickelte sich aber nicht.

Nach dem Ausbruch der Krise 2007 wurde die globalisierungskritische Bewegung von der Bewegung der Platzbesetzungen in den Schatten gestellt. Bewegungen wie "M15" in Spanien oder "Occupy Wallstreet" konnten kurzfristig neue Formen lokaler Massenbewegungen mit einer grundsätzlichen Kritik an den Privatisierungs- und Umverteilungsstrukturen verbinden. Nur vereinzelt aber - vor allem unter den Krisenopfern in Griechenland und Spanien - gelang eine Stabilisierung dieser populären Aufbrüche zu alternativen Selbsthilfe- und Politikmodellen. Wie wir wissen, mit einem prekären oder offenen Ausgang.

Habitat II markierte keine Unterbrechung, nicht einmal eine Modifikation der Neoliberalisierung. Habitat III wird dies wohl auch nicht tun. Die in den letzten zwei Jahrzehnten leidund kampferprobten sozialen Bewegungen täten aber gut daran, die neue Stadtkonferenz nicht einfach zu ignorieren, sondern auch an diesem Fall die zerstörerischen Folgen der neoliberalen Agenda zu skandalisieren.


Der Autor ist Sprecher des MieterInnenvereins Witten und Vorsitzender des Vereins "Habitat Netz e. V.".


Anmerkungen:

(1) Zu Policy Units und Issue Papers siehe:
www.habitat3.org/the-new-urbanagenda/knowledge.

(2) http://www.cesr.org/downloads/A.HRC.10.7.pdf.

(3) A Step in the Rights Direction: Housing in the New Urban Context.
http://tinyurl.com/pkk7ca7.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015, Seite 4-5
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2016

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