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ORGANISATION/501: UN Women. Globaler Feminismus - In Unterschieden vereint? (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011

Globaler Feminismus: In Unterschieden vereint?

Von Sigrid Kannengießer


Im Juli diesen Jahres setzten die Vereinten Nationen einen Meilenstein in ihrer Geschlechterpolitik: Die Generalversammlung entschied über die Einrichtung einer Institution, die sich alleinig für Frauenförderung und Geschlechtergleichheit einsetzen wird. Was ist seither geschehen? Und welche Chancen könnten von einer solchen globalen Agentur ausgehen?


Ab Januar 2011 wird UN Women (kurz für "UN Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women") die bisherigen frauenpolitisch-relevanten Arbeitsbereiche der Vereinten Nationen verbinden. Denn auch wenn UN Women einen weiteren großen Schritt in der Institutionalisierung globaler feministischer Politik darstellt, so ist dies nicht der erste.

Bereits 1946 wurde die Frauenrechtskommission der Vereinten Nationen gegründet, welche jährlich mit mehr als 180 Regierungsdelegationen tagt. Sie soll nun durch UN Women in der Ausarbeitung globaler politischer Standards unterstützt werden. UN Women baut auf der Arbeit geschlechterpolitisch relevanter Einrichtungen auf, wie dem "Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen" (UNIFEM), der "Abteilung für Frauenförderung" (DAW), dem "Büro der Sonderberaterin des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Gleichstellungsfragen" (OSAGI) sowie dem "Internationalen Forschungs- und Ausbildungsinstitut zur Förderung der Frau" (INSTRAW).

Der Institutionalisierung eines frauenpolitischen Organs dieser Größe gingen Jahrzehnte der feministischen Lobbyarbeit auf globaler und nationaler Ebene voraus. Nicht zuletzt auf den Weltfrauenkonferenzen der Vereinten Nationen in Mexiko (1975), Kopenhagen (1980), Nairobi (1985) und Peking (1995) verlieh die globale Frauenbewegung ihren Forderungen auf internationaler Ebene immer wieder Nachdruck. Die Einrichtung von UN Women als politische Institution auf globaler Ebene kann somit als Zeichen eines Erfolgs der internationalen Frauenbewegung gesehen werden. Diese wirkt auf (internationale) politische Institutionen als Lobbygruppe von "unten nach oben": Erfahrungen und Anliegen lokaler Frauengruppen werden durch ihre RepräsentantInnen auf globaler Ebene eingebracht, um eine Veränderung internationaler und nationaler Politik zu erwirken.

Ziel der globalen Frauenbewegung ist es, die weltweite Diskriminierung von Frauen zu bekämpfen und Geschlechtergleichberechtigung umzusetzen. Auch die Vereinten Nationen verfolgen dieses Anliegen und formulierten als drittes Millenniumentwicklungsziel die Gleichstellung von und einen größeren Einfluss der Frauen zu fördern und bis zum Jahre 2015 jede unterschiedliche Behandlung der Geschlechter auf allen Ausbildungsstufen zu beseitigen. Die vollständige Erreichung dieses Ziels scheint jedoch mittlerweile als utopisch.


Benachteiligung weltweit

Doch die Formulierung des dritten Millenniumentwicklungsziels sowie die Einrichtung von UN Women resultieren aus der Beachtung der gesellschaftlichen Situation, in der Frauen weltweit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen diskriminiert sind: Fast weltweit sind Frauen in politischen Gremien unterrepräsentiert, sie arbeiten zunehmend in prekären Arbeitsverhältnissen, verdienen weniger als ihre männlichen Kollegen und besitzen weltweit einen marginalen Teil finanzieller und materieller Ressourcen. Auch die Erfahrung von (sexueller) Gewalt bildet eine erschütternde gemeinsame Erfahrung von Frauen in allen Teilen der Welt.

So sind Frauen weltweit mit ähnlichen Problemen konfrontiert, doch unterscheiden sich sowohl ihre Möglichkeiten als auch Diskriminierungserfahrungen je nach sozio-kulturellem Kontext. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen führen zu verschiedenen Forderungen lokaler Frauenbewegungen. Es gibt demnach nicht die eine feministische Bewegung, vielmehr differenziert sich die Frauenbewegung entlang der unterschiedlichen Probleme und Erfahrungen der Frauen aus.

In Deutschland z.B. teilte sich die Frauenbewegung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, indem nicht nur das Geschlecht als relevante Kategorie wahrgenommen wurde, sondern auch die Klasse: Arbeiterinnen waren mit anderen Problemen konfrontiert als Frauen der Bourgeoisie und stellten daher verschiedene politische Forderungen. In den 60er Jahren erfuhr die feministische Bewegung in den USA eine Erschütterung durch afro-amerikanische Feministinnen, die weiße Frauenrechtlerinnen als homogenisierend und rassistisch kritisierten. Während sich hier Frauen- und Rassenfragen verbanden, fanden sich afrikanische Feministinnen nicht in dieser Diskussion wieder und forderten die Berücksichtigung ihrer (post)kolonialen Erfahrungen im globalen feministischen Diskurs. Dabei ist Feminismus mitnichten ein westliches Konzept und auch nicht neu auf dem afrikanischen Kontinent; bereits vor der Kolonialisierung gab es feministische Bewegungen in Afrika. Aber genauso wenig wie es den weißen oder afro-amerikanischen Feminismus gibt, gibt es auch nicht den afrikanischen, asiatischen oder lateinamerikanischen Feminismus.

Gemein sind allen Feminismen die Kritik an patriarchalen Gesellschaftssystemen und die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter. Die Umsetzung dieser Geschlechtergleichheit erfordert jedoch die Berücksichtigung der sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten von Frauen weltweit. Diese resultieren zum einen aus unterschiedlichen kulturellen Traditionen, zum anderen aus verschiedenen politischen und ökonomischen Kontexten, die zu einer Verschiedenartigkeit der feministischen Politik führen.


Stärke durch Diversität?!

Diese Heterogenität kann jedoch nicht als Schwäche verstanden werden, vielmehr sollte sie als Stärke eines internationalen Feminismus gesehen werden. Denn die Beachtung verschiedener Alltagsrealitäten von Frauen vermeidet eine Homogenisierung der Situation von Frauen und ihrer feministischen Forderungen. Die Vielschichtigkeit der unterschiedlichen Ansätze führt zu einer gegenseitigen Bereicherung und Motivation; aus unterschiedlichen Ansätzen wird gelernt, gemeinsame Probleme werden solidarisch angegangen.

Gleichzeitig liegt in dieser Diversität jedoch die Schwierigkeit einer gemeinsamen Zielformulierung oder gar einer gemeinsamen Stoßrichtung. Auch UN Women ist als globale Institution, die sich dem Ziel der Geschlechtergleichheit verschreibt, mit dieser Herausforderung konfrontiert, müssen doch die feministischen Ansätze aller Nationen und ihrer feministischen Bewegungen berücksichtigt werden. UN Women muss daher ein Balanceakt zwischen der Betonung eines universellen Anliegens und der Vermeidung einer Homogenisierung der Genusgruppe Frau gelingen.


Zukunft eines globalen Feminismus

Zu wünschen ist ein dialogisches Verhältnis der internationalen Frauenbewegung und UN Women: Lokale Frauenorganisationen können die Politik von UN Women in einem bottem-up-Prozess beeinflussen, doch kann UN Women auch in top-down- Prozessen neue Akzente in nationalen und lokalen Geschlechterpolitiken setzen. Letzteres ist v.a. dann im Sinne der Frauenbewegung, wenn sogenannten backlashes, also Rückkehrbewegungen zu traditionellen Geschlechtervorstellungen, durch Impulse der internationalen Ebene entgegen gewirkt wird. Gleichzeitig ist die Handlungsebene von UN Women selbst eine Herausforderung. Als globale politische Institution ist sie ein Phänomen politischer Globalisierung. Und genau diese gilt es aus der Geschlechterperspektive kritisch zu reflektieren. Denn Frauen sind weltweit sowohl Gewinnerinnen als auch Verliererinnen verschiedenster Globalisierungsprozesse. Während in manchen Teilen der Welt Globalisierung neue Arbeitsplätze für Frauen schafft, zerstören diese Prozesse andernorts deren Existenzgrundlage.

Auf die Veränderung der Lebensrealitäten von Frauen muss auch eine globale politische Institution flexibel reagieren. Um auf der globalen Ebene den Bezug zu lokalen Alltagsrealitäten nicht zu verlieren, sollte UN Women ein offenes Ohr für die Anliegen der Frauenbewegungen weltweit haben.

Die um den Weltfrauentag im März 2011 in Venezuela stattfindende Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen kann daher ein Forum bieten, in dem politische Institutionen mit AktivistInnen aus der ganzen Welt in einen Dialog treten, um gemeinsam für die Erreichung von Geschlechtergerechtigkeit einzustehen und diese nachhaltig umzusetzen.


Sigrid Kannengießer (* 1979) ist Medienkulturwissenschaftlerin und promoviert an der Universität Bremen über eine internationale Frauenorganisation. Sie ist Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.
sigrid.kannengiesser@uniWbremen.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2011, S. 36-39
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2011