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ORGANISATION/570: Rede vor der Vollversammlung - Papst ja, Dalai Lama nein (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. September 2015

UN: Rede vor der Vollversammlung - Was der Papst darf, bleibt anderen Religionsführern verwehrt

von Thalif Deen



Bild: © UN-Nachrichtenzentrum

Auch Papst Benedikt XVI. hatte das Privileg, vor der UN-Vollversammlung und vor UN-Mitarbeitern zu sprechen wie hier am 18. April 2008
Bild: © UN-Nachrichtenzentrum

NEW YORK (IPS) - Als die USA im Januar 1984 diplomatische Beziehungen zum Vatikan aufnahmen, fragte ein evangelischer Fernsehprediger sarkastisch: "Und wann wird Mekka seinen Botschafter nach Washington senden?"

"Es ist schon eine seltsame historische Begebenheit", sinnierte das 'Time Magazin', "dass ausgerechnet die USA als das jüngste Imperium der Welt diplomatische Beziehungen mit dem ältesten, dem Heiligen Stuhl, etabliert haben." Und dies tat ausgerechnet Ronald Reagan (1981-1989), der als vehementer Befürworter der Trennung zwischen Kirche und Staat galt.

Auch bei den Vereinten Nationen genießt der Vatikan eine Sonderstellung. Seit der Gründung der Weltorganisation genießen die Päpste, die mehr als eine Milliarde Gläubige vertreten, sukzessive das Privileg, vor der 193 Mitgliedsstaaten zählenden UN-Vollversammlung zu sprechen. Papst Johannes Paul II. hatte von diesem Vorrecht 1979 und 1995 Gebrauch gemacht, Benedikt XVI. folgte 2008 und nun ist es Franziskus, der am 25. September als vierter Redner das Wort an das höchste politische UN-Gremium richten wird.

Den Oberhäuptern der Buddhisten, Hindus, Muslimen und anderer Glaubensgruppen ist diese Vorzugsbehandlung bisher nicht vergönnt. Sie sind lediglich auf hochrangigen Foren vertreten, und dies obwohl der Islam mit 1,6 Milliarden Muslimen die Zahl der katholischen Gläubigen übersteigt.

Der Vatikanstaat ist allerdings kein volles UN-Mitglied, sondern verfügt wie Palästina über einen Beobachterstatus. Auf die Frage, ob es in der Geschichte der Vereinten Nationen schon einmal ein nicht-katholisches Kirchenoberhaupt gegeben habe, das vor der UN-Vollversammlung sprechen durfte, erklärte der stellvertretende Sprecher der Vereinten Nationen, Farhan Haq: "Möglich ist das, wenn der Kirchenführer gleichzeitig Staatschef ist."

Im Juli 1974 hatte Erzbischof Makarios III., Staatspräsident und geistiger Oberhaupt der Republik Zypern nach seiner Vertreibung im Zuge der griechischen Invasion vor dem UN-Sicherheitsrat gesprochen.


Dalai Lama konsequent ausgegrenzt

Was sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder bestätigt hat, ist die Ausgrenzung des Dalai Lama. So wurde das geistige Oberhaupt der Tibeter aus politischen Gründen quasi zur unerwünschten Person erklärt. Tibet steht unter chinesischer Herrschaft, doch ist der Widerstand gegen die Besatzer groß. Die Vetomacht China verfolgt im Umgang mit tibetischen Dissidenten und dem Dalai Lama eine Politik der harten Hand, obwohl der Dalai Lama eine autonome Region innerhalb der Volksrepublik China akzeptieren würde.

Als der Dalai Lama Ende der 1990er Jahre zu einer religiösen Veranstaltung eingeladen wurde, sprach der chinesische Botschafter beim UN-Generalsekretär vor und teilte ihm mit, dass der Religionsführer niemals eine Gelegenheit bekommen werde, innerhalb des UN-Gebäudes zu sprechen. Ein ähnlicher Zwischenfall hatte sich bereits im Zusammenhang mit der UN-Menschenrechtskonferenz im Juni 1993 in Wien ereignet.

Wie Joe Lauria, UN-Korrespondent für das 'Wall Street Journal', gegenüber IPS erklärte, ließ Peking auch in einem anderen Zusammenhang seine Muskeln spielen. "Ich erinnere mich noch gut daran, wie dem chinesischen Dissidenten Shen Tong eine Pressekonferenz im Saal der UN-Korrespondentenvereinigung (UNCA) im Mai 1993 verweigert wurde. Bevor er die UNCA betreten konnte, musste er das UN-Gebäude verlassen. Am Ende hat er seine Pressekonferenz davor abgehalten."

Ein weiterer langjähriger UN-Korrespondent, der sich Anonymität ausbat, berichtete von einem weiteren Zwischenfall vor etlichen Jahren, als eine Delegation von Tibetern an einem Treffen bei den Vereinten Nationen teilnehmen wollte. "Sie waren kanadische Bürger und trugen westliche Kleidung. Kaum waren sie drin, legten sie ihre traditionellen Gewänder an. Die Chinesen waren zwar wütend, hatten aber keine Handhabe, die Kanadier aus dem Gebäude zu entfernen", sagte er.

Nach Aussagen eines Ex-Journalisten und ehemaligen UN-Bürochefs wurde dem Dalai Lama mit Rücksicht auf China nie erlaubt, vor den UN zu reden. Das habe sich im Zusammenhang mit einer Konferenz internationaler Religionsführer bestätigt. Der Dalai Lama habe damals sogar sein Erscheinen in der Kathedrale des Hl. Johannes auf der Upper West Side von New York canceln müssen. "Damals hieß es von Seiten der Kirchenverwaltung, er habe es nicht geschafft, weil er andere Verpflichtungen habe. Das habe ich nie geglaubt."

Nach Ansicht von Javier El-Hage, Rechtsberater bei der Menschenrechtsstiftung in New York, sollte Papst Franziskus, wenn er es ernst meine, den Stimmlosen eine Stimme geben zu wollen, vor den Vereinten Nationen im Namen des Dalai Lama und des tibetischen Volkes sprechen, "das routinemäßig von der mächtigen chinesischen Diktatur mundtot gemacht wird".

Leider sei ein solcher Vorstoß unwahrscheinlich, habe Papst Franziskus im letzten Jahr doch ein Treffen mit dem Dalai Lama abgelehnt, um die chinesischen Herrscher nicht zu verärgern. "Papst Franziskus sollte jedoch den Verlust des immensen moralischen Kapitals bedenken, der mit dem Versäumnis einhergeht, sich nicht für die Ärmsten, Unterdrückten und Geknechteten einzusetzen und sich stattdessen mit autoritären Führern ablichten zu lassen." (Ende/IPS/kb/22.09.2015)


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IPS-Tagesdienst vom 22. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2015

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