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RESOLUTION/029: Resolution 1325 - Enttäuschende Bilanz und wenig Grund zum Feiern (medica mondiale)


medica mondiale e.V. - Freitag, 29. Oktober 2010

medica mondiale zu 10 Jahre UN-Resolution 1325:
Enttäuschende Bilanz und wenig Grund zum Feiern


Köln, 29. Oktober 2010. Anlässlich des 10. Jahrestages der UN-Resolution 1325 zur Rolle von Frauen in bewaffneten Konflikten am 31. Oktober 2010 beklagt medica mondiale deren rudimentäre Umsetzung und zieht kritisch Bilanz. Nach Ansicht der Frauenrechts- und Hilfsorganisation ist die einst euphorisch gefeierte Resolution weit hinter den Erwartungen und ihren Möglichkeiten zurückgeblieben - dazu zählen der Schutz von Frauen vor Gewalt, die Stärkung ihrer politischen Teilhabe, die Prävention von Gewalt sowie die Schaffung von Gerechtigkeit.

Es sei einzig und allein eine Frage des politischen Willens und der Prioritäten, ob die Resolution umgesetzt werde, so das geschäftsführende Vorstandsmitglied von medica mondiale, Monika Hauser. Von 192 UN-Mitgliedsstaaten haben bisher nur 19 die vom damaligen Generalsekretär Kofi Annan geforderten Nationalen Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution erarbeitet, davon sind zehn Länder der EU. Deutschland ist nicht darunter. Die Bundesregierung verstoße damit gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen. "Vor dem Hintergrund, dass Deutschland erst kürzlich zum nichtständigen Mitglied des UN-Sicherheitsrates gewählt wurde, ist dies ein Skandal", erklärte Hauser.

"Mit der Verabschiedung der Resolution im Oktober 2000 hatte der UN-Sicherheitsrat eine klare Richtung vorgegeben", erläutert Hauser: Frauen sind laut Resolution auf allen Ebenen und in allen Konfliktphasen als gleichberechtigte Akteure einzubeziehen; ohne ihre Beteiligung sind Konfliktprävention und nachhaltiger Frieden nicht möglich. Sie sind von kriegerischen Konflikten meist besonders betroffen und bedürfen daher eines besonderen Schutzes, unter anderem vor sexualisierter Gewalt. Beim Wiederaufbau in Nachkriegs-Gesellschaften spielen sie oftmals als wichtiger Motor der Gesellschaft eine bedeutende Rolle.

"Die Bilanz der letzten zehn Jahre ist jedoch erschütternd", so Hauser. Bei den rund 22 seit 1992 geführten Friedensverhandlungen - in Afghanistan, Bosnien, Kosovo, Uganda und anderswo - waren laut einer UNIFEM-Studie nicht einmal acht Prozent der Verhandelnden weiblich. Bei den Gesprächen für den Kosovo saß keine einzige Frau mit am Verhandlungstisch, in Guatemala gerade mal eine. Nur drei Prozent der UnterzeichnerInnen der Friedens-Dokumente waren weiblich. Keine einzige Verhandlung wurde von einer Frau geleitet. Hauser: "Frauen werden nicht nur als Akteurinnen bei Friedensverhandlungen ignoriert, meist müssen sie zusehen, wie ihre wenigen und mühsam erkämpften Freiräume willfährig der Wiederherstellung einer äußerst labilen politischen Perspektive geopfert werden." So sehen derzeit Frauenorganisationen in Afghanistan bei der angestrebten Integration der Taliban in den Friedensprozess ihre hart erkämpften Frauen-Rechte gefährdet. Bei den jüngsten Afghanistan-Konferenzen in London (Januar 2010) und Kabul (Juli 2010) hatten Frauen de facto keine Stimme. Im neu ins Leben gerufenen afghanischen "Hohen Friedensrat" (Afghan High Peace Council) sind unter den 70 Mitgliedern gerade mal acht Frauen, die Männer gehören in ihrer überwiegenden Mehrzahl zuvor oder aktuell aktiven bewaffneten Gruppierungen an.

Auch im Hinblick auf den Schutz von Frauen vor sexualisierter Gewalt sowie der Beendigung der Straflosigkeit von sexualisierten Kriegsverbrechen sei die internationale Gemeinschaft seit Inkrafttreten der Resolution "keinen Schritt weiter gekommen", sagt Hauser. Dies zeigten die aktuellen Schlagzeilen aus Kriegs- und Krisengebieten: So sind Vergewaltigungen in der Demokratischen Republik Kongo nach wie vor an der Tagesordnung, allein für 2008 wurden offiziell 15.996 Fälle sexueller Gewalt gezählt, die Dunkelziffer liegt weitaus höher.

Doch es gebe auch positive Beispiele, so Hauser weiter. Diese geglückten Initiativen zeigten, dass die Resolution da, wo sie konsequent angewandt werde, ein überaus wirksames Instrument zur Verbesserung der Situation von Frauen und Mädchen in Nachkriegsgesellschaften sein könne. In Liberia beispielsweise, wo in den Jahren des Bürgerkriegs etwa jede dritte Frau vergewaltigt wurde, patrouilliert seit 2007 in der Hauptstadt Monrovia eine rein weibliche UN-Polizeieinheit und sorgt für die Sicherheit der weiblichen Bevölkerung. Nach Einsetzung eines Gender-Komitees kamen über die Hälfte der 18.000 Aussagen, die für die Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission des Landes gesammelt wurden, von Frauen.

medica mondiale fordert endlich ernsthafte politische Schritte zur Umsetzung der Resolution. Die Bundesregierung, insbesondere das in der Umsetzung federführende Auswärtige Amt, müsse das Thema Geschlechtergerechtigkeit endlich als festen und selbstverständlichen Bestandteil der deutsche Außen- und Sicherheitspolitik priorisieren und einen Nationalen Aktionsplan aufstellen. Als wichtiges Geberland müsse Deutschland entschiedener als bisher darauf drängen, dass Frauen bei Konferenzen und Verhandlungen angemessen vertreten seien und ihre Botschaften gehört würden.

Weitere Empfehlungen und Forderungen von medica mondiale zur Umsetzung der Resolution 1325 finden Sie in Kürze in einer Zwischenbilanz unter:
www.medicamondiale.org


medica mondiale setzt sich seit 1993 ein für traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten. Dabei versteht sich die Organisation als Anwältin für die Rechte und Interessen von Frauen, die sexualisierte Kriegsgewalt überlebt haben. Neben gynäkologischer Versorgung, psychosozialer und rechtlicher Unterstützung bietet medica mondiale Programme zur Existenzsicherung und leistet politische Menschenrechtsarbeit.


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Quelle:
medica mondiale e.V.
Pressemitteilung vom 29. Oktober 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2010