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UN-REPORT/093: Studie zum Tag der Migranten zeigt Armut syrischer Flüchtlinge auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2015

Migration: Studie zum Tag der Migranten zeigt Armut syrischer Flüchtlinge auf

von Thalif Deen und Julia Krämer


NEW YORK (IPS) - Seit dem Parteitag in Karlsruhe ist die CDU wieder vereint. Mit stehenden Ovationen kommentierten die Abgeordneten die Rede ihrer Vorsitzenden, Kanzlerin Angela Merkel, und ihren Kompromiss in Sachen Flüchtlingspolitik. Eine Millionen Flüchtlinge vor allem aus Syrien werden in Deutschland auch laut der Kanzlerin bis Jahresende erwartet. "Wir können das schaffen", sagte Merkel beim Parteitag am Montag, erklärte aber gleichzeitig, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen verringern zu wollen, da ein weiterer Anstieg der Zahlen Deutschland überfordern würde.

Wenige Tage später veröffentlichen Weltbank und UN-Flüchtlingshochkommissariat einen Bericht, in dem sie den Syrienkonflikt für "die größte Flüchtlingskrise unserer Zeit" verantwortlich machen mit erheblichen "humanitären, ökonomischen und sozialen Kosten für Flüchtlinge, Empfängerländer und Empfängergesellschaften". Im Bericht mit dem Titel 'The Welfare of Syrian Refugees: Evidence from Jordan and Lebanon' fordern die beiden Organisationen einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie die internationale Gemeinschaft mit den aktuellen Migrationsströmen umgeht.

Der Bericht erscheint pünktlich zum Internationalen Tag der Migranten am 18. Dezember, der bereits seit 15 Jahren begangen wird. Die UN-Generalversammlung hatte zwar schon zehn Jahre zuvor, am 18. Dezember 1990, die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Migranten und ihrer Familienangehörigen angenommen. In Kraft getreten ist sie allerdings bis heute nicht, da zu wenige Staaten sie ratifiziert haben. Im Jahr 2000 rief die UNO dann am 18. Dezember den ersten Internationalen Tag der Migranten aus.

Der Bericht, der sich vor allem mit der Situation der 1,7 Millionen Syrer beschäftigt, die in den Nachbarstaaten Jordanien und Libanon untergekommen sind, schätzt, dass 90 Prozent von ihnen in Armut leben. Vor allem betreffe das Frauen und Kinder.

Die meisten Flüchtlinge in Jordanien und dem Libanon sind jung, schlecht ausgebildet und haben viele Kinder. Sie dürfen keiner regulären Arbeit nachgehen, leben meist in informellen Siedlungen und können kaum mit staatlicher Unterstützung rechnen, weil die öffentliche Verwaltung mit der großen Zahl an Neuankömmlingen hoffnungslos überfordert ist.


Lösungsansätze nicht nachhaltig

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass derzeitige Ansätze zur Lösung der Flüchtlingskrise mittel- und langfristig nicht nachhaltig sind", heißt es im Bericht. "Wir müssen den Fokus ändern. Ziel darf nicht nur der Schutz von Flüchtlingen sein. Stattdessen müssen wir uns um ein Wirtschaftswachstum in den Regionen kümmern, die Flüchtlinge aufnehmen." Humanitäre und Entwicklungsorganisationen müssten zu diesem Zweck eng zusammenarbeiten. Die humanitäre Krise müsse schließlich zu einer Chance für alle werden.

Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien vor fast fünf Jahren wurden rund 6,5 Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben und sind anderswo im Land untergekommen. 4,4 Millionen Menschen verließen das Land als Flüchtlinge. 250.000 Menschen wurden getötet.

In der Studie warnen die Organisationen, dass die Krise letztlich nicht nur den Nahen Osten treffen wird, sondern auch Europa und den Rest der Welt.

"Es liegt in unserer kollektiven Verantwortung, auf die humanitäre und Entwicklungskrise im Nahen Osten zu reagieren, und die dem Konflikt zugrunde liegenden Ursachen zu ergründen", sagte Hafez M. H. Ghanem, Weltbank-Vizepräsident für den Nahen Osten und Nordafrika bei der Vorstellung der Studie in New York.


Ursachen auf den Grund gehen

Den Fluchtursachen nachzugehen ist auch das Ziel eines UN-Forums, das vom 16. bis 17. Dezember in Genf stattfand. Vertreter von nationalen Regierungen und von NGOs sowie Wissenschaftler kamen zum achten 'Dialog über die Herausforderungen des Flüchtlingsschutzes', ausgerichtet vom UN-Flüchtlingshochkommissariat, zusammen, das den Titel 'Die Wurzel von Vertreibung verstehen und anpacken' hatte.

"Unsere Welt steht an einem Scheideweg", interpretierte der Hochkommissar António Guterres auf dem Forum die aktuelle Situation, der zwei "Mega-Probleme" zugrunde lägen. "Eine scheinbar unkontrollierbare Vervielfältigung gewaltsamer Konflikte in einem Umfeld globaler Unsicherheit und die allgegenwärtigen und wachsenden Auswirkungen von Umweltrisiken und dem Klimawandel, die bereits jetzt unsere Welt bestimmen, werden erst recht den künftigen Kurs vorgeben."

Die Politik dürfe sich daher nicht mehr auf reine Notfalleinsätze beschränken, sondern müsse sich damit beschäftigen "wie wir in diese Situation geraten sind", forderte Guterres. Die Fluchtursachen seien "vielfältig, miteinander verbunden, überlappend und sich gegenseitig verstärkende Faktoren, die Menschen dazu bringen, ihre Häuser zu verlassen". Deshalb könne man die Ursachen nicht jeweils gesondert, sondern müsse sie gemeinsam betrachten.

60 Millionen Menschen und damit mehr als jemals zuvor haben aktuell ihre Heimat hinter sich gelassen haben und suchen einen Ort, an dem sie bleiben können. Die meisten von ihnen sind lediglich in andere Landesteile geflohen, 19,5 Millionen haben die Landesgrenzen überschritten. Damit ist jeder 122. Mensch auf der Welt entweder ein Flüchtling, ein intern Vertriebener oder ein Asylbewerber. Einer von fünf Vertriebenen weltweit kommt aus Syrien.

86 Prozent aller Flüchtlinge leben dem UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) zufolge in Entwicklungsländern. Äthiopien ist eines der Länder, das die meisten Migranten - zumindest temporär - aufnimmt. 680.000 Geflüchtete leben derzeit in dem Staat in Ostafrika, mehr als in jedem anderen afrikanischen Land. (Ende/IPS/jk/17.12.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/12/syrian-refugees-fleeing-civil-war-reduced-to-extreme-poverty-says-new-study/
http://www.worldbank.org/en/news/press-release/2015/12/16/syrian-refugees-living-in-jordan-and-lebanon-caught-in-poverty-trap
http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=52834#.VnKokV6Le1E

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2015

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