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AGRAR/1710: Bioökomomie und Landkonflikte (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
Goldgräberstimmung
Bioökonomie zwischen Welthunger und Rohstoffalternativen

Bioökonomie und Landkonflikte
Genug Land für alle(s)?

Von Timo Kaphengst und Stephanie Wunder


Land ist eine begrenzte Ressource. Würde man das verfügbare Ackerland der Erde gerecht auf alle Erdbewohner aufteilen, dann hätte jeder Mensch rund 2.000 m² zur Verfügung(1) - das ist nicht mal ein Drittel von einem Fußballfeld. Ein/e EuropäerIn verbraucht derzeit ca. 13.000 m² weltweit, um ihre oder seine Bedürfnisse nach Nahrung, Energie und diverse Materialien zu befriedigen. Da die Flächen Europas nicht ausreichen, den Bedarf zu befriedigen, "importieren" wir Land aus anderen Ländern der Erde und exportieren damit gleichzeitig die Umweltprobleme, die diese Art der Landnutzung mit sich bringt. Insgesamt machen diese Landimporte 60 % unseres eigenen Anspruchs an Landfläche aus. Deutschland ist mit rund 80 Millionen Hektar der drittgrößte Flächenimporteur weltweit.(2)


In den vergangenen Jahren ist deutlich geworden, zu welchen Auswirkungen diese ungerechte Verteilung der Landinanspruchnahme führen und welche zahlreichen Nutzungskonflikte sowohl lokal als auch im weltweiten Maßstab auftreten können. So waren die Ursachen der Ernährungskrise von 2007/2008 zwar vielfältig - ein wesentlicher Grund war jedoch ein rapider Anstieg der Nahrungsmittelpreise, der durch den anhaltenden Boom der globalen Biokraftstoffproduktion verstärkt wurde. Damit wurde immer mehr Land dafür genutzt, Energiepflanzen wie Mais, Zuckerrohr, Soja und Palmöl für die Erzeugung von Bioethanol und Biodiesel anzubauen und diese in die Industrieländer zu exportieren - Land, das der (heimischen) Nahrungsmittelproduktion dann nicht mehr zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass die Konsumansprüche in vielen Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien ansteigen und damit auch der Verbrauch von Fleisch und Milchprodukten. Für die fleischliche Ernährung wird ein Vielfaches(3) an Fläche gebraucht als für die pflanzliche Versorgung der gleichen Energiemenge.

Landinvestitionen steigen

Der dadurch entstandene Druck auf die globalen Landressourcen ermutigte viele Investoren, in den Landkauf einzusteigen. Schon Mark Twain erkannte: "Buy land. They ain't making it any more" - Land als eine Ressource, die physisch begrenzt ist, ist auch ökonomisch ein knappes Gut und verteuert sich bei weiterer Verknappung. Dem Biokraftstoff-Boom folgte dementsprechend ein globaler Anstieg in großflächige Landinvestitionen. In vielen Fällen wurde deutlich, dass dieses "Land Grabbing" mit zahlreichen Menschenrechtsverletzungen einherging. Menschen wurden beispielsweise von ihrem Land vertrieben, ihnen wurde der Zugang zu Wasserquellen verwehrt und die Grundlage für lokale Produktionsweisen entzogen. Gleichzeitig verkauften schwache Regierungen in Asien, Afrika und Latein-Amerika immer mehr Land an ausländische Investoren, in der Hoffnung, dies würde die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes vorantreiben.

Als Folge dieses "globalen Wettlaufs um Agrarland" wurden 2012 unter der Koordination des Komitees für Ernährungssicherheit der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) die Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern verabschiedet. Das wesentliche Ziel der Freiwilligen Leitlinien ist es, die Menschenrechte derjenigen, die das Land nutzen, zu bewahren und einen nachhaltigen Governance-Rahmen für Landrechte und -management zu schaffen. Derzeit gibt es zahlreiche Bestrebungen, diese Leitlinien auf nationaler Ebene umzusetzen und in internationale Regelwerke wie beispielsweise den neuen Weltbank-Standards zu integrieren.(4)

Bioökonomie forciert Nutzungsdruck auf Land und Ressourcen

Doch der Nutzungsdruck auf die globalen Landressourcen steigt ungebremst an. Die wichtigsten Treiber sind die zunehmende Nachfrage nach Lebensmitteln und Futtermitteln sowie nachwachsenden Rohstoffen für die energetische und stoffliche Nutzung, auf die auch die Bioökonomie abzielt. Dabei geht es letztlich um eine geringe Anzahl an Ackerpflanzen (so genannte "Flex Crops"),(5) die industriell angebaut und dann je nach Bedarf flexibel in verschiedene Produktionsketten gespeist werden können - sei es für die Produktion von Biokraftstoffen und Biogas, für Kunststoffe, Industriefasern, chemische Produkte oder Kosmetika.

Zwar kommen für die Bioökonomie auch Rohstoffe in Frage, die keine direkte Landnutzung erfordern (zum Beispiel Algen, Seetang oder auch biogene Reststoffe), aber der wesentliche Anteil wird allein aus Effizienz- und Massegründen von landwirtschaftlicher Fläche stammen müssen. Oft wird argumentiert, dass es in vielen Teilen der Welt noch erhebliche Potenziale zur Steigung des Flächenertrags gibt. Das mag in Teilen stimmen, allerdings sind in den meisten Fällen Ertragssteigerungen nur mit einem erhöhten Einsatz an Wasser, Düngemittel und Pestiziden zu erreichen, was für viele Kleinbauern nicht erschwinglich ist und zusätzlich der Umwelt schaden kann. Davon abgesehen wäre aufgrund der ambitionierten Ziele, die sich sowohl Deutschland als auch die EU gesetzt haben, eine Ausweitung der Bioökonomie unweigerlich gleichbedeutend mit einer Zunahme der Landinanspruchnahme.

Steigender Nutzungsdruck heißt mehr Druck auf Umwelt und Bevölkerung

Dies hätte nicht nur zum Teil gravierende Folgen für den Landzugang und die Landnutzung ärmerer Bevölkerungsgruppen in den Entwicklungsländern, sondern auch für die Umwelt. Mehr Flächennutzung heißt gleichzeitig mehr Abholzung von natürlichen Wäldern, eine steigende Ausbeutung von Süßwasservorkommen (insbesondere in trockeneren Gebieten), gesteigerte Bodenerosion und Bodenverlust auf Flächen, die für den intensiven Anbau von Ackerpflanzen nicht geeignet sind und zunehmende Verluste von Biodiversität. Nicht zuletzt haben jegliche Landnutzungsänderungen in Richtung einer Intensivierung höhere Treibhausgasemissionen zur Folge,(6) die die oft beschworene Abkehr von fossilen Rohstoffen durch die Substitution durch Ackerpflanzen oder Holz nicht rechtfertigen.

Wie kann eine nachhaltige Bioökonomie-Strategie aussehen?

Eine Bioökonomie-Strategie, die diese Aspekte nicht ernst nimmt, sondern besonders auf die Ausweitung der Biomasseproduktion und der biobasierten Industrie setzt, kann ihrem Anspruch, eine "nachhaltige Alternative zur fossilen Wirtschaft"(7) zu bieten, nicht gerecht werden. Mit einer expansiv orientierten Strategie wird suggeriert, dass Biomasse unendlich zur Verfügung steht und wirtschaftliches Wachstum einfach weitergehen kann - zukünftig angetrieben durch Biomasse statt Erdöl. Die begrenzt zur Verfügung stehenden Flächen weltweit und die mit intensiver Landnutzung verbundenen sozialen und ökologischen Probleme zeigen, dass dies ein Irrtum ist.

Eine Strategie, die stattdessen auf die nachhaltige Nutzung von Land und den natürlichen Ressourcen abzielt, muss den Druck auf die Landressourcen verringern, anstatt ihn weiter zu erhöhen. Die notwendige Umstellung von erdölbasierten Produkten auf Produkte aus Biomasse kann deshalb nur geschehen, wenn weniger anstatt mehr Biomasse konsumiert und gleichzeitig das vorhandene Land im globalen Maßstab gerecht aufgeteilt und nachhaltig genutzt wird. Wie kann das gelingen?

Zunächst gilt es, die Treiber für den voranschreitenden Flächenverbrauch klar zu benennen und diese im politischen Kontext nicht weiter zu ignorieren. Eine BioökonomieStrategie hat nur dann Erfolg, wenn sie dafür sorgt, dass der Konsum von flächenintensiven Nahrungsmitteln (besonders Fleisch) und von Energie reduziert wird. Hierzu gehören neben effizienzfördernden Maßnahmen wie die Reduzierung von Lebensmittelabfällen auch Suffizienzmaßnahmen und eine Politik, die regionale und geschlossene Wirtschafts- und Produktionskreisläufe fördert. Diese Aspekte fehlen in den meisten strategischen Ansätzen zur Bioökonomie, sei es auf deutscher oder europäischer Ebene, und werden auch in der flankierenden Forschung zur Bioökonomie kaum adressiert. Zusätzlich gilt es, die Herausforderung einer nachhaltigen, ressourceneffizienten Landnutzung in internationalen Politiken stärker zu integrieren und als eigenständiges Politikfeld weiter zu unterstützen und voranzutreiben.

In der Debatte zur Bioökonomie und der Flächenverfügbarkeit werden nicht nur die Grenzen unseres Wachstumsmodells deutlich, sondern auch die Gefahr von einfachen politischen Lösungen. Für eine nachhaltige Land- und Ressourcennutzung bedarf es stattdessen vielfältige Ansätze, Ausdauer sowie politische Kreativität, um auch weniger populäre Themen auf die politische Agenda zu bringen.


Timo Kaphengst ist Senior Fellow am Ecologic Institut.
Stephanie Wunder ist Senior Fellow und Koordinatorin der Bereiche Bioenergie und Landwirtschaft am Ecologic Institut.


Anmerkungen

1. Zu weiteren Infos und Möglichkeiten sich zu engagieren, siehe: http://www.2000m2.eu/de/.

2. Zu Zahlen europäischer Landimporte siehe: SERI (2011): Europe's global foot demand.

3. Laut Reijnders und Soret erfordert die Produktion von Fleischprotein im Vergleich zur Produktion von Sojaprotein 6-17 mal mehr Land, 6-20 mal mehr fossile Energie und 4-26 mal mehr Wasser. Reijnders, Lucas und Soret, Sam (2003): "Quantification of the environmental impact of different dietary protein choices", The American Journal of Clinical Nutrition 2003.

4. Zur Überarbeitung der WeltbankStandards siehe auch Vöcking: Verbessern durch Verwässern?: Die Umwelt- und Sozialstandards der Weltbank werden überarbeitet, in diesem Rundbrief, S. 30.

5. Im Wesentlichen sind dies Soja, Zuckerrohr, Mais und Ölpalmen. Siehe hierzu: TNI (2014): Towards understanding the politics of flex crops and commodities: Implications for research and policy advocacy.

6. Insbesondere wenn diese mit Abholzung und Entwässerung von Ökosystemen einhergehen.

7. "Bioökonomie - Nachhaltige Alternative zur fossilen Wirtschaft": Titel der BMEL Veranstaltung am 3./4. November 2014 in Berlin.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 13 - 14
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2015

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