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ARBEIT/2521: Arbeit in der Landwirtschaft (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 395 - Januar 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Arbeit in der Landwirtschaft
Niedrigpreise gehen im schönsten Beruf der Welt auf Kosten der Menschen

von Christine Weißenberg


Viel dreht sich zur Zeit um das Tierwohl in den landwirtschaftlichen Diskussionen. Doch wie sieht es eigentlich mit dem Wohl der Menschen aus, die in der Landwirtschaft arbeiten? Die diesjährige Witzenhäuser Konferenz am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel hatte Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und angemessene Löhne auf der Tagesordnung. Die Gestaltung ist im Einzelnen so unterschiedlich wie die Höfe, aber allgemein steckt sehr viel Arbeit in den landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die auf der anderen Seite vergleichsweise niedrige Preise erzielen - 60- bis 70-Stunden-Wochen sind keine Seltenheit bei Betriebsleitern. Als gängigste Betriebsstrategie, um sich weiterzuentwickeln und wettbewerbsfähig zu bleiben, hat sich in der Landwirtschaft die Kostenführerschaft durch Spezialisierung durchgesetzt. Gleichzeitig machen die Arbeitskosten einen hohen Anteil der Produktionskosten aus - ein ungünstiges Zusammentreffen, weil es gerade bei hohem wirtschaftlichem Druck bis zur Selbst- oder auch Fremdausbeutung nicht mehr weit ist. "Die politisch vorangetriebene Wettbewerbsfähigkeit fördert den Kannibalismus unter den Betrieben", ist Thomas Hentschel, Leiter des PECO-Instituts und Gewerkschafter, überzeugt: "Wir müssen in der Agrarpolitik die soziale Dimension mehr beachten und dem Wettbewerb Regeln geben. Der Mindestlohn ist hier eine Möglichkeit, denkbar sind auch soziale Standards als Bestandteil in den Cross-Compliance-Verpflichtungen [Auflagenbindung, um als landwirtschaftlicher Betrieb Direktzahlungen aus dem EU-Haushalt zu bekommen]."

Bäuerliches Leben im Wandel

Einen Blick auf die Entwicklung von Arbeit in der Landwirtschaft im Laufe des 20. Jahrhunderts eröffnete Dr. Gunter Mahlerwein, Agrarhistoriker an der Uni Mainz: Im Zuge der Industrialisierung fand eine "Familisierung" der Landwirtschaft statt. Hatten die wohlhabenden Betriebe zuvor noch viele dazugehörige Fremdarbeitskräfte als Mitarbeiter oder saisonale Hilfen, so wanderten diese ab, hin zu besser bezahlten Arbeitsmöglichkeiten in der Industrie. Familienarbeitskräfte bekamen eine höhere Bedeutung und verstärkt hielt Technik z. B. in Form erster Traktoren Einzug, zunächst um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen. Mit sich brachten diese Neuerungen aber auch weitere Arbeitserleichterungen und einen Rationalisierungsdruck auf die anderen Betriebe. Mehr und mehr konzentrierten sich die Aufgaben auf einen Betriebsleiter. Viele Höfe wurden im Nebenerwerb geführt, andere setzten auf Spezialisierung und brauchen zur Bewältigung von Arbeitsspitzen nun wieder Aushilfskräfte und Saisonarbeiter. Als neue Herausforderung entstand eine Spannung zwischen Landwirtschaft und Nicht-Landwirtschaft in den Familien. Familiäre und soziale Strukturen wie der Dorfzusammenhalt sind im Alltag nicht mehr so stark landwirtschaftlich geprägt.

Ausbeutung von Arbeitskraft

Bei dem oben erwähnten Kostendruck in der Branche stehen heute die Saisonarbeiter als befristet tätige Aushilfen, die kaum Bezug zu Betrieb und Region haben, am untersten Ende der Wertschöpfungskette. Zuwanderung aus europäischen Ländern mit niedrigerem Lohnniveau oder hoher Arbeitslosigkeit spielt eine große Rolle. Hinzu kommen Flüchtlinge und papierlose Migranten von außerhalb Europas, die durch fehlende Kenntnisse über Arbeitsrecht und durch ihre Angst, ausgewiesen zu werden, besonders von Ausbeutung bedroht sind. Die bittere Wirklichkeit, wie sie in Süditalien zu finden ist, zeigt Professor Gilles Reckinger, Ethnologe an der Universität Innsbruck, eindrucksvoll mit Hilfe der Fotoausstellung "Bitter Oranges": Vor allem afrikanische Migranten, die in Zitrusplantagen in Süditalien als Tagelöhner zu Erntearbeiten herangezogen werden - in einem ausweglosen System, das ihnen kaum Geld einbringt, sie in Abhängigkeit von Vermittlern bringt und zum Wohnen unter unwürdigen Bedingungen zwingt. Aus eigener Erfahrung berichtete davon Yvan Sagnet, der heute als Immigrationsbeauftragter für den italienischen Gewerkschaftsbund arbeitet, aus Kamerun stammt und 2011 den ersten Aufstand migrantischer ErntearbeiterInnen organisierte.

Solidarisch das Ganze im Blick

Bei aller Kritik und erschütternder Realität tauchte in Diskussionen und Beiträgen immer wieder die Notwendigkeit auf, genau hinzuschauen. Dies ist die erste Voraussetzung für ein Problembewusstsein und letztlich für Veränderungen. Dabei geht es auch darum, die Betroffenen in ihrer Situation zu sehen und ernst zu nehmen - seien es Betriebsleiter, Angestellte, Auszubildende oder befristete Mitarbeiter. Es kommt darauf an, gemeinsam das Ganze in den Blick zu nehmen und nicht Probleme nach unten in der Kette abzutreten. Eindrucksvoll schilderte Emilija Mitrovic, Mitbegründerin von MigrAr, Anlaufstelle für Papierlose vom Gewerkschaftsbund in Hamburg, ihren solidarischen Ansatz, die Abwärtsspirale aus Lohndumping und Arbeitsplatzverdrängung zu unterbinden: "Wenn wir klar machen und notfalls immer wieder erstreiten, dass niemand, der hier arbeitet, dies unterhalb von verbindlichen Lohngrenzen oder unter arbeitsrechtlich nicht haltbaren Bedingungen tun muss - dann verhindern wir ganz ohne Ausgrenzung Lohndumping." Politisch geht es darum, gemeinsam am gleichen Strang zu ziehen, um Wertschätzung, Wohl und Würde nicht dem Wettbewerb unter wirtschaftlichem Druck preiszugeben, sondern als Standard für alle hochzuhalten.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 395 - Januar 2016, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2016

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