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AUSSENHANDEL/1645: Trendwende im Russlandgeschäft (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 15. Dezember 2016
(german-foreign-policy.com)

Trendwende im Russlandgeschäft


BERLIN/MOSKAU - Unabhängig von der mutmaßlichen Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Moskau vermelden deutsche Wirtschaftskreise eine sich erkennbar abzeichnende Trendwende im Russlandgeschäft. Demnach haben die deutschen Exporte in das Land im dritten Quartal 2016 erstmals seit der Verhängung der Wirtschaftssanktionen wieder zugenommen; auch die deutschen Investitionen in Russland befinden sich erneut im Aufwind und haben in diesem Jahr bereits ein Volumen von zwei Milliarden Euro erreicht. Zur Zeit plant etwa der Daimler-Konzern den Bau einer Fabrik für 300 Millionen Euro in der Nähe von Moskau. Der langsam einsetzende Aufschwung der Geschäfte wird von Verhandlungen auf Staatssekretärsebene und von Vorarbeiten führender Think-Tanks begleitet. Aus deutscher Sicht ungünstig ist allerdings der angekündigte Kurswechsel des designierten US-Präsidenten Donald Trump, der sich mit seinem nun nominierten Außenminister, ExxonMobil-Chef Rex Tillerson, Moskau zumindest punktuell annähern will. Dies brächte die traditionelle, für Deutschland vorteilhafte innerwestliche Arbeitsteilung gegenüber Russland ins Wanken: Während Washington gewöhnlich massiv Druck auf Moskau ausübte, war Berlin oft in der Lage, eine vorteilhafte Mittlerposition einzunehmen - Übereinstimmung in puncto Druck zur Unterordnung unter die westliche Politik bei gleichzeitigem Ausbau des Geschäfts.


"Die Talsohle durchschritten"

Aktuelle Daten über die Entwicklung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen scheinen die kürzlich in Unternehmenskreisen geäußerte Hoffnung auf eine Trendwende im Russlandgeschäft zu bestätigen. Im September konstatierte etwa der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, der Einbruch beim deutschen Russland-Export verlangsame sich deutlich und habe im ersten Halbjahr 2016 nur noch 3,5 Prozent betragen; damit zeichne sich eine "Bodenbildung" ab.[1] Jetzt wird gemeldet, erstmals seit Beginn der Sanktionen hätten die deutschen Ausfuhren nach Russland im dritten Quartal 2016 wieder zugenommen - um 3,9 Prozent; möglicherweise könne man sogar für das Gesamtjahr 2016 noch ein leichtes Exportplus erzielen. Für 2017 sei jedenfalls wegen der zu erwartenden Erholung der russischen Wirtschaft mit einer Zunahme der Ausfuhr zu rechnen. Was den Handel angehe, scheine also "die Talsohle durchschritten".[2]


Investitionen im Aufschwung

Ähnliches gilt möglicherweise für die deutschen Investitionen in Russland. Auch hier hatte kürzlich der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft darauf hingewiesen, dass die Zahl der Unternehmen, die Produktionsstandorte in Russland unterhalten, seit der Verhängung der Sanktionen nur leicht von 6.000 auf ungefähr 5.600 gesunken sei. Nicht wenige suchten aktuell den Druck der Krise zu nutzen, um Personal abzubauen und sich für die Zukunft "strategisch besser aufzustellen".[3] Mittlerweile stiegen, hieß es, die deutschen Direktinvestitionen in Russland schon wieder an. Diese Tendenz bestätigt sich nun. So haben deutsche Firmen von Januar bis September insgesamt mehr als zwei Milliarden Euro in Russland investiert; das ist ein Anstieg gegenüber 2015 um 46 Prozent. Als Ursache gilt einerseits die Rubelabwertung, die es unattraktiv erscheinen lässt, Gewinne aus Russland nach Deutschland zu transferieren, die aber gleichzeitig die Produktion in Russland profitabler macht: So hat etwa Continental begonnen, in Russland Reifen für den deutschen und den französischen Markt zu produzieren; das ist billiger. Andererseits veranlasst Moskaus Politik der Importsubstitution, zu der die russische Regierung durch die Sanktionen gezwungen worden ist, deutsche Firmen dazu, Fabriken in Russland zu bauen, weil andernfalls kein Zugang zu staatlichen Aufträgen und staatlicher Förderung mehr möglich wäre.[4] Nicht nur Mittelständler, auch Großkonzerne errichten jetzt neue Werke: Daimler will für 300 Millionen Euro eine Fabrik in der Nähe von Moskau bauen, Henkel hat erst kürzlich ein Werk in Noginsk in Betrieb genommen; ein Konsortium aus Siemens, der Deutschen Bahn, der Deutschen Bank und anderen Unternehmen will für 2,7 Milliarden Euro eine Zugstrecke von Moskau nach Kasan errichten.[5]


Herzstück der Wirtschaftsbeziehungen

Seit dem Sommer werden die sich offenbar konsolidierenden deutsch-russischen Geschäfte auch wieder in wachsendem Maß von der Bundesregierung begleitet. Jenseits von Kontakten sogar auf oberster Ebene - etwa bei der Moskau-Reise von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im September - hat am 24. Juni die Deutsch-Russische Strategische Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen (SAG) erstmals seit über zwei Jahren wieder getagt. Die SAG gilt als "Herzstück" der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen; an ihrem Juni-Treffen beteiligten sich der russische Vizeminister für ökonomische Entwicklung, Alexej Lichatschow, und der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Uwe Beckmeyer. Ende Oktober ist das Gremium nun ein zweites Mal zusammengetroffen; dabei leitete auf deutscher Seite erneut Staatssekretär Beckmeyer, auf russischer Seite Lichatschows Nachfolger Alexej Grusdjew die Verhandlungen. Man habe unter anderem über eine mögliche Kooperation im Bereich Industrie 4.0 diskutiert, berichtet der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, der mit seinem Präsidenten und mit seinem Geschäftsführer prominent an den Gesprächen beteiligt war.


Die traditionelle Doppelstrategie

Konkrete Schritte zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und der EU werden seit einigen Monaten zudem in einem Projekt der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und des Russian International Affairs Council (RIAC) vorbereitet. Beiden Seiten sei bewusst, "dass die Sanktionen und die Suspendierung des politischen Dialogs nicht für immer andauern können", heißt es in einem Projektpapier: "Früher oder später werden die Beziehungen zwischen Russland und der EU normalisiert werden müssen". Zwar sei "klar", dass es keine "Rückkehr zu 'business as usual'" geben werde; doch könne "wirtschaftliche Verflechtung" die "wesentliche Komponente" sein, um die Gestaltung des künftigen Verhältnisses zwischen Russland und der EU zu bestimmen (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Die Stoßrichtung entspricht damit der erklärten Absicht Berlins, mit einer Doppelstrategie vorzugehen: politische Spannungen aufrechtzuerhalten, solange Moskau eine sich dem Westen nicht unterordnende Außenpolitik verfolgt, zugleich aber ökonomisch wieder enger zu kooperieren - zum Wohle der am Ostgeschäft interessierten deutschen Industrie.[7]


Komplikationen

Denkbar ungünstig kommt für Berlin die Ankündigung des designierten US-Präsidenten Donald Trump, zumindest punktuell wieder enger mit Russland zu kooperieren - eine Ankündigung, die zuletzt durch die Nominierung von ExxonMobil-Chef Rex Tillerson zum künftigen US-Außenminister unterfüttert worden ist. ExxonMobil zählt zu den Hauptverlierern der westlichen Sanktionspolitik: Der Konzern musste, da die Erdölindustrie - anders als die Erdgasbranche - in die Boykottmaßnahmen einbezogen worden war, ein strategisch hochbedeutendes Pilotprojekt in der russischen Arktis auf Eis legen, während deutsche Erdgaskonzerne ihre Geschäfte weiterführen konnten.[8] Diesen Zustand wollen Trump und Tillerson nun offenbar beenden. Nähert sich Washington Moskau wieder an, würde dies zwar Erleichterungen auch für das deutsche Russlandgeschäft bringen, allerdings den ersten Teil der anvisierten Doppelstrategie für Berlin verkomplizieren: Bislang konnte sich die Bundesregierung stets darauf verlassen, dass die USA massiv Druck auf Russland ausübten und für Deutschland eine günstige Mittlerposition verblieb, die es gestattete, trotz Aufrechterhaltung politischen Drucks lukrative Geschäfte abzuschließen. Die traditionelle Arbeitsteilung könnte mit Trump ins Wanken geraten. Auch mit Blick darauf hat Berlin sich nun auf eine nochmalige Verlängerung der Russlandsanktionen festgelegt: Es gilt aus deutscher Sicht zunächst, die Doppelstrategie zu retten. Eine baldige Klärung der künftigen innerwestlichen Aufgabenteilung wäre der nächste Schritt.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Ostgeschäfte.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59445

[2] Deutsche Exporte nach Russland erstmals seit Sanktionsbeginn angestiegen. www.ostexperte.de 23.11.2016.

[3] S. dazu Ostgeschäfte.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59445

[4] Deutschland als Schlüsselinvestor. www.ost-ausschuss.de 01.12.2016.

[5] Deutsche Unternehmen kehren nach Russland zurück. www.ostexperte.de 09.12.2016.

[6] S. dazu Die wesentliche Komponente.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59490

[7] S. dazu Die westliche Doppelstrategie (I)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59325
und Die westliche Doppelstrategie (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59328

[8] S. dazu Deutsch-russische Leuchtturmprojekte.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59193

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2016

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