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DISKURS/129: Mehr selbstbestimmte Zeiten für alle - Anmerkungen zum Weißbuch Arbeit 4.0 (spw)


spw - Ausgabe 6/2016 - Heft 217
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Debatte: Mehr selbstbestimmte Zeiten für alle - Anmerkungen zum Weißbuch Arbeit 4.0

von Roman Zitzelsberger


Arbeit neu denken, Schutzrechte stärken

Die IG Metall hat sich mit der Arbeitszeitkampagne aufgemacht, Arbeit neu zu denken. [1] Ausgangspunkt sind die vielfältigen Ansprüche der Beschäftigten. Wie beim inspirierenden Weißbuch Arbeit 4.0 wollen wir damit unseren Beitrag zu einem neuen gesellschaftlichen Flexibilitätskompromiss leisten. Klar ist: Ein Abbau der Schutzrechte kommt für uns nicht in Frage. Neu denken heißt für uns, Schutzrechte auf Höhe der Zeit fortzuentwickeln und auszubauen, damit der Mensch und seine Gesundheit nicht unter die Räder geraten.


Mobiles Arbeiten

Auf dem Laptop im Café noch die Präsentation fertig machen. Dieses Bild taucht in der Debatte um die heutige und künftige Arbeitswelt immer wieder auf. Mobiles Arbeiten ermöglicht es den Beschäftigten auch, Arbeit stärker an den eigenen Lebensbedürfnissen auszurichten. Die IG Metall hat mehrere Tarifverträge zur mobilen Arbeit abgeschlossen. Wichtig dabei: Beschäftigte verfügen über klare Rechte inklusive dem Recht auf Nicht-Erreichbarkeit.


Mehr Wahlfreiheit für alle

Wenn selbstbestimmte Zeiten das Merkmal von Arbeit 4.0 werden sollen, müssen wir uns zunächst die betriebliche Wirklichkeit anschauen. Das Café-Bild mag sympathisch sein, wird jedoch einem Großteil der heutigen und künftigen Beschäftigten nicht gerecht. Insbesondere drohen Beschäftigte in Schicht und mit taktgebundenen Tätigkeiten übersehen zu werden.

Die Produktion ist heute hochflexibel, die Arbeitszeiten sind jedoch oft zu starr. Schichtarbeit wird es auch künftig geben, deshalb geht es auch um mehr arbeits(zeit)politische Spielräume für diese Beschäftigten. Die Stichworte lauten flexibler Schichtbeginn, mehr Familienfreundlichkeit und größere Handlungsspielräume. Auch in den Büros verfügen längst nicht alle über hohe Freiheitsgrade, eine neue Welle der Standardisierung droht vorhandene Spielräume einzuengen. Die solidarische Gestaltung der Arbeit muss für alle Beschäftigten mehr Wahl-Möglichkeiten eröffnen.


Viel Arbeit, zu wenig Personal

Das IAB hat jüngst errechnet, dass 2015 rund 1,8 Milliarden Überstunden geleistet wurden. Die Hälfte davon wurde nicht bezahlt! Wir beobachten, dass ausufernde Arbeitszeiten vielfach Ergebnis eines zu großen Arbeitsvolumens bei nicht ausreichender Personalausstattung sind. Ein Lösungsansatz ist mehr Mitbestimmung für die Betriebsräte bei der Personalbemessung.


Tarifbindung stärken

Das Weißbuch hebt richtigerweise die Bedeutung der Tarifpolitik hervor. Tatsächlich eröffnen Tarifverträge Unternehmen wie Beschäftigten vielfältige Möglichkeiten. Zu nennen sind beispielsweise unsere Tarifverträge zu Arbeitszeitkonten, Qualifizierung und Altersteilzeit. Mehr Spielräume für den Einzelnen lassen sich am besten durch einen kollektiven Rahmen erreichen. Individualität und Kollektivität bedingen sich, diesen Gedanken wollen wir in unserer Betriebs- und Tarifpolitik weiterführen.


Union Busting entgegentreten

Leider nehmen jüngst Angriffe auf Betriebsräte und gegen die Mitbestimmung zu. Laut einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung wird jede sechste erstmalig durchgeführte Betriebsratswahl durch Arbeitgeber behindert. Auch berichten Betriebsräte und Vertrauensleute davon, dass bestehende Mitbestimmung einem härteren Gegenwind ausgesetzt ist. Egal in welcher Form, Union Busting muss die rote Karte gezeigt werden!


Beteiligung der Beschäftigten!

Dialoge wie das Weißbuch Arbeit 4.0 sind wichtig, um eine gesellschaftliche Verständigung zu erreichen. Ob Beschäftigte von diesen Dialogen profitieren, entscheidet sich jeweils im Betrieb. Im Betrieb wird über die jeweilige Arbeitszeitkultur entschieden. Damit Rechte aus Gesetzen und Tarifverträgen die Arbeitstage tatsächlich verbessern, setzten wir mehr denn je auf Beteiligung. Wir wollen die Beschäftigten nach ihrer Meinung fragen. Anfang 2017 wird die IG Metall bundesweit eine Beschäftigtenbefragung zur Arbeitszeit durchführen.


Roman Zitzelsberger ist Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg.


Anmerkung:
[1] https://www.igmetall.de/mein-leben-meine-zeit-arbeit-neu-denken-22347.htm

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 6/2016, Heft 217, Seite 17-18
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2017

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