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FINANZEN/081: Warum das Maßnahmenpaket richtig ist (BMF)


Bundesministerium der Finanzen (BMF) - Newsletter vom 21. Mai 2010

Warum das Maßnahmenpaket richtig ist

Brief von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble an die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der FDP-Bundestagsfraktion


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

niemand hat sich gewünscht, dass wir so schnell wieder gezwungen sind, über ein Gesetzesvorhaben zur Stabilisierung der Eurozone zu entscheiden. Erst am 7. Mai 2010 hat der Deutsche Bundestag im Zusammenhang mit der Krise in Griechenland der Übernahme von Gewährleistungen durch das Bundesfinanzministerium zugestimmt. Das Hilfspaket von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds hat das erklärte Ziel, über die Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und die Vermeidung von Ansteckungseffekten auf andere Eurozonen-Länder die Finanzstabilität in der Eurozone insgesamt zu sichern. Leider zeigte sich bereits an Marktentwicklungen am Nachmittag des 7. Mai, dass das Grundproblem - der Vertrauensverlust der Finanzmärkte in die Solvenz von Euro-Ländern - nicht auf Griechenland beschränkt geblieben ist und es zu ersten Ansteckungseffekten auf weitere Euro-Länder gekommen war. Wäre es zum Verlust des Vertrauens in die Zahlungsfähigkeit mehrerer Euro-Staaten gekommen, hätte das den Anfang vom Ende der Währungsunion bedeuten können, mit unverantwortbaren volkswirtschaftlichen und sozialen Kosten für Deutschland und Europa. Es bedurfte deshalb rasch einer umfassenden Lösung, um die große Gefahr eines Zusammenbruchs der Währungsunion bereits im Keim zu ersticken.

Was haben wir mit dem Gesetz vom 21. Mai genau beschlossen?

Vor diesem Hintergrund wurde am 9. Mai 2010 vom Rat und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschlossen, einen europäischen Stabilisierungsmechanismus zu schaffen, mit dem im Bedarfsfall die drohende Zahlungsunfähigkeit eines Mitglieds der Eurozone abgewendet werden soll. Hierfür ist ein Finanzmittelvolumen von bis zu 60 Mrd. Euro vorgesehen. Darüber hinaus und ergänzend zu diesen Mitteln haben sich die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bereit erklärt, eine Zweckgesellschaft zu gründen, für die die teilnehmenden Mitgliedstaaten anteilig bis zu einem Volumen von 440 Mrd. Euro bürgen. Die Zweckgesellschaft kann drei Jahre lang Kredite vergeben. Der auf Deutschland entfallende Anteil an der Bürgschafts- bzw. Garantiesumme soll sich auf bis zu 123 Mrd. Euro belaufen - entsprechend dem Anteil der Bundesrepublik am Kapital der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird sich an den Finanzierungsvereinbarungen ebenfalls beteiligen, wobei erwartet wird, dass der IWF mindestens die Hälfte des Beitrags der EU bereitstellen wird.

Mit dem am 21. Mai 2010 verabschiedeten Gesetz haben wir nun unseren Teil der Vereinbarung umgesetzt. Damit wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, Bürgschaften zugunsten der europäischen Zweckgesellschaft zu übernehmen. Der Bürgschaftsbeitrag der Bundesrepublik beträgt maximal 147,6 Mrd. Euro: Die bereits genannten 123 Mrd. Euro plus ggf. 24,6 Mrd. Euro, abhängig davon, ob ein Land und wenn ja, welches Land einen Kredit braucht und damit als Bürge ausfällt. Der Bürgschaftsrahmen von 123 Mrd. Euro wird nur erweitert, wenn der Haushaltsausschuss des Bundestages zustimmt.

Bei der konkreten Ausgestaltung des Stabilisierungsmechanismus hat sich die Bundesregierung nachdrücklich für zwei Punkte stark gemacht, von denen es entscheidend abhängt, ob verloren gegangenes Vertrauen zurück gewonnen werden kann.

Wir haben in den Verhandlungen erstens sichergestellt, dass über die Gewährung etwaiger Hilfen ausschließlich die Eurozonen-Mitgliedstaaten, und zwar strikt nach dem Einstimmigkeitsprinzip, beschließen. Damit ist auch gewährleistet, dass die deutsche Stabilitätskultur in die - etwaigen Hilfen zugrunde liegenden - Anpassungsprogramme einfließt. Wir haben zweitens sichergestellt, dass - wie bei regulären IWF-Programmen üblich - die Auszahlung eventueller Kredite immer nur tranchenweise erfolgt, und immer nur dann, wenn die vereinbarten Konditionalitäten, also die wirtschafts-, struktur- und haushaltspolitischen Auflagen, erfüllt sind. Die EU-Kommission wird dies in Abstimmung mit der EZB und dem IWF sorgfältig und regelmäßig überprüfen. Werden die Vorgaben nicht erfüllt, erhält das jeweilige Land - wie auch bei jedem IWF-Programm - keine weiteren Kredittranchen. Mit diesem Verfahren verfolgen wir natürlich nicht zuletzt auch das Ziel, die Rückzahlung des Kredits sicherzustellen.

Warum wurden diese Maßnahmen notwendig?

Wir mussten eine existenzielle Bedrohung des Euro abwenden, den Euro und Europa verteidigen. Die gegenwärtige Krise des Euro ist die größte Bewährungsprobe, die Europa seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge zu meistern hat. Wir dürfen in dieser Krise nicht vergessen, dass der Euro das bisher weitestreichende Bekenntnis zur europäischen Integration ist, das heißt zu einem friedlichen und stabilen Europa. Nach den schmerzlichen Erlebnissen des Zweiten Weltkriegs hatten gerade wir Deutsche ein besonders großes Interesse an der Schaffung eines solchen friedlichen und stabilen Europa. Die Integration als Garant für Frieden und Freiheit in Europa ist Teil der deutschen Staatsräson. Das ist das Erbe der Politik Konrad Adenauers, Helmut Kohls und Hans-Dietrich Genschers.

Wir haben die gemeinsame Währung aber auch aus wohlerwogenen ökonomischen Gründen eingeführt. Innerhalb der Eurozone gibt es keine Wechselkursschwankungen mehr, dadurch bleiben unserer Wirtschaft innerhalb der Eurozone teure Währungsabsicherungsgeschäfte erspart. Durch den Euro haben wir zudem eine Verbreiterung und Vertiefung des Gemeinsamen Marktes erreicht. Für Deutschland bedeutet der Binnenmarkt letztlich höheren Wohlstand und mehr Arbeitsplätze. Deutschland hat in den letzten elf Jahren sehr stark vom Euro profitiert. Die exportstarken deutschen Mittelständler aus Ihren Wahlkreisen werden Ihnen das sofort bestätigen.

Die Einführung des Euro war und ist für uns Deutsche mit dem Versprechen der Stabilität verbunden. Und dieses Versprechen konnte der Euro bisher einhalten. Die Inflation in Deutschland war noch nie so niedrig wie seit der Einführung des Euro. Diese Stabilität ist nun ein Stück weit in Gefahr. Deshalb geht es in der aktuellen Krisensituation zuerst darum, dass wir gemeinsam mit den europäischen Partnern so schnell wie möglich das Vertrauen in die Stabilität des Euro wiederherstellen.

Die Maßnahmen der Eurogruppe dienen deshalb vor allem dazu, Vertrauen wieder herzustellen. Kurzfristig geht es bei dem Stabilisierungsmechanismus um das Vertrauen in die gesicherte Bedienung der Schulden aller Euro-Länder. Langfristig geht es um das Vertrauen darauf, dass die betroffenen Länder aus eigener Kraft wieder auf die Beine kommen. Mit den ergriffenen Maßnahmen werden wir das verloren gegangene Vertrauen in den nächsten Wochen und Monaten zurückgewinnen. Dabei wird leider allzu oft in der öffentlichen Debatte die Stabilität der Eurozone mit der Stabilität des Euro-Wechselkurses gleichgesetzt. Ziel unserer gemeinsamen Bemühungen ist aber nicht ein bestimmtes Wechselkursniveau. Ziel ist es vielmehr, die Stabilität und letztlich den Bestand der Eurozone zu sichern, indem bei gefährdeten Ländern die Zahlungsunfähigkeit verhindert wird.

Zu den beschlossenen Maßnahmen gibt es aus meiner Sicht keine vertretbare Alternative. Wir müssen diese Maßnahmen ergreifen, um den erreichten Wohlstand in Deutschland zu sichern. Bei der langfristigen Stabilität unserer Währung geht es auch um das Vermögen der Bürger, vom Kleinsparer bis hin zum mittelständischen Familienunternehmer. Der Schaden, der bei einem Unterlassen der Hilfsmaßnahmen entstünde, ist kaum bezifferbar. Aber es besteht ein ganz erhebliches Risiko, dass es bei Nichthandeln zu einer neuen schweren Finanz- und Wirtschaftskrise kommt. Die Gefahr besteht, dass ein Dominoeffekt einsetzt, indem sich die Krise von dem recht kleinen Land Griechenland auf andere kleine und schließlich auch auf größere Länder ausweitet.

Die Entwicklungen zu Beginn der globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise im September 2008 sind uns noch gut in Erinnerung. Durch die politische Entscheidung, die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers Konkurs gehen zu lassen, wurde das Weltfinanzsystem an den Rand des Abgrunds gebracht und die globale Realwirtschaft in eine tiefe Rezession gestürzt. Erhebliche finanzielle Schäden sind durch das damalige Nichthandeln entstanden, bis hin zum dramatischen Anstieg der Staatsverschuldung für die anschließenden Rettungsmaßnahmen. Auch und gerade vor diesem Hintergrund gilt, dass Nichtstun und Abwarten, aber auch die bewusste Inkaufnahme der Insolvenz eines Euro-Mitglieds, die teuerste Alternative wäre. Wir würden viel mehr Geld verlieren, wenn wir eine Krise zulassen würden, die wir politisch und ökonomisch nicht mehr beherrschen können. Niemand kann sicher vorhersehen, was passieren würde, wenn wir nicht handeln. Ein solches Risiko kann niemand verantworten.

Eine weitere Lehre, die wir aus der Finanzmarktkrise der letzten Jahre, aber auch aus früheren Finanzkrisen ziehen können ist, dass die Politik den Märkten nicht hinterher laufen darf. Deshalb haben die Euro-Länder mit dem Stabilisierungsmechanismus ein wichtiges und entschlossenes Signal dafür gesetzt, dass alle Staaten der Eurozone ihren Zahlungsverpflichtungen in jedem Fall nachkommen werden und dafür, dass wir den übertriebenen Spekulationen gegen den Euro und Eurozonen-Mitgliedern den Boden entziehen wollen. Dem dient auch das im Vorgriff auf die Abstimmungen auf internationaler Ebene von der BaFin mit Wirkung vom 19. Mai erlassene Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Aktien und Staatsanleihen aus Euro-Ländern sowie ungedeckter CDS auf solche Staatsanleihen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, klar ist dabei aber auch: Wir haben uns mit dem Stabilisierungsmechanismus lediglich Zeit verschafft. Eine nachhaltige Lösung setzt voraus, dass wir ein neues Kapitel der Stabilitätskultur nach Maastricht aufschlagen. Wir werden daher in den anstehenden Gesprächen auf europäischer Ebene unser ganzes Gewicht einbringen und unsere Stabilitätskultur, wie sie unter anderem in der Schuldenbremse zum Ausdruck kommt, nach Europa exportieren. Deutschland muss in Zukunft wieder eine fiskalische Vorbildfunktion für Europa übernehmen: In dem Maße, wie wir unsere eigene Konsolidierungsaufgabe bewältigen, können wir auch anderen in Europa Konsolidierung abverlangen. In die am 21. Mai 2010 tagende van Rompuy-Gruppe zur Reform des institutionellen Rahmens der Währungsunion werde ich deshalb deutsche Vorschläge einbringen, die zu mehr Stabilität in Europa beitragen.

Mit freundlichen Grüßen


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Quelle:
BMF-Newsletter vom 21.05.2010
Herausgegeben vom Referat K (Kommunikation) des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2010