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FRAGEN/004: Die Mär von der Macht des Markts (ver.di PUBLIK)


ver.di PUBLIK - 03/2010
Solidarität im neuen Format

Die Mär von der Macht des Markts

Immer mehr Kommunen haben ihre einstmals privatisierten Bereiche mittlerweile wieder übernommen. Doch die Finanzmarktkrise und Steuersenkungen schränken den Handlungsspielraum der Kommunen stark ein

Das Interview führte Heike Langenberg


ver.di PUBLIK: In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind viele kommunale Unternehmen privatisiert worden. Ist dieser Trend weiter ungebrochen?

TIM ENGARTNER: Vielfach haben die Privatisierungen der vergangenen Jahre gezeigt, dass die Kommunen damit nicht glücklich geworden sind. Ein Stück weit kann man hoffen, dass die Mär von der Allmacht des Markts an ihr Ende gekommen ist. In den vergangenen fünf Jahren haben etwa 100 Städte und Gemeinden gegengesteuert, zum Beispiel Bergkamen, Freiburg und Potsdam. Sie haben gemerkt, dass ihre Müllentsorgung oder auch die Strom- und Wasserversorgung nach der Privatisierung deutlich teurer geworden sind.

ver.di PUBLIK: Aus welchen weiteren Gründen haben sich Kommunen zur Rekommunalisierung entschlossen?

ENGARTNER: Das erklärte Ziel, durch Privatisierung mehr Wettbewerb zu schaffen, wurde vielfach verfehlt. Stattdessen bildeten sich private Monopole, wie sie zum Beispiel von Remondis und Sulo im Bereich der Müllentsorgung (aus)genutzt wurden. Die Möglichkeit der kommunalen Gebührensteuerung ist vollkommen verloren gegangen, weil man privatisiert hat. Viele Kommunen nehmen den Entsorgungsauftrag wieder selbst wahr, weil auch sie mit dem Abfallgeschäft aufgrund neuer Recyclingtechniken bzw. -kreisläufe zum Beispiel mit dem Grünen Punkt Geld verdienen können.

ver.di PUBLIK: Wirken sich Rekommunalisierungen positiv auf die Beschäftigten aus?

ENGARTNER: Ja. In der Regel ist die Bezahlung im öffentlichen Dienst besser als nach privaten Tarifverträgen. So arbeiteten gerade in der privaten Müllentsorgung bislang viele Aufstocker. Häufig beschäftigen private Firmen viele Leiharbeiter. In all diesen Fällen muss die Kommune dann mit Sozialleistungen einspringen.

ver.di PUBLIK: Haben die Verbraucher/innen Vorteile durch Rekommunalisierungen?

ENGARTNER: Meist niedrigere Gebühren, denn die kommunalen Einrichtung müssen nicht gewinnorientiert wirtschaften. Private Betreiber verfolgen das Ziel der Gewinnmaximierung. Ein mittelbarer Vorteil ist, dass es vielfach möglich ist, andere kommunale Einrichtungen quer zu finanzieren. In Bergkamen konnten zum Beispiel Gewinne aus dem Stromgeschäft steuerlich mit Verlusten verrechnet werden, um das Schwimmbad zu finanzieren.

ver.di PUBLIK: Lohnen sich Rekommunalisierungen nur für finanzstarke Kommunen oder Großstädte?

ENGARTNER: Die Größe ist nicht entscheidend. Sind die Kommunen finanzschwach, sind sie auch in ihren Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Je ärmer die Kommunen, desto eher sind sie veranlasst zu privatisieren.

ver.di PUBLIK: Denken die Kommunen bei Privatisierungen zu kurzfristig?

ENGARTNER: Zum Teil handeln sie aus einer erpresserischen Notlage heraus, wenn der Regierungspräsident sagt, ohne diese Einnahmen könne er den Haushalt nicht genehmigen. Alles andere ist eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Vielfach tragen Politikerinnen und Politiker gleich welcher Partei eine relative Kurzfristorientierung mit sich. Diese erstreckt sich meist auf die laufende Legislaturperiode - deswegen unterbleiben viele Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge.

ver.di PUBLIK: Hat die Finanzmarktkrise dazu beigetragen, dass die Tendenz zur Rekommunalisierung wieder vorbei ist?

ENGARTNER: Die Zeichen der Zeit sind nicht gerade günstig. Zwar gibt es einen Mentalitätswandel, eine neues Bewusstsein für die Notwendigkeit von Staatlichkeit. Die Kommunen schauen doch schon genauer hin bei Privatisierungen und haben Interesse daran zu rekommunalisieren, aber mitunter fehlt ihnen schlicht das Geld. Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise hat trotz der Konjunkturpakete auf die Kommunen durchgeschlagen. Gleichzeitig haben sie von Bund und Ländern immer neue Aufgaben übertragen bekommen. Überdies hat der Steuersenkungswettlauf der vergangenen Jahre einige Städte und Gemeinden bis an den Rand der Handlungsunfähigkeit getrieben.

ver.di PUBLIK: Wie konkret ist der Mentalitätswandel?

ENGARTNER: Es gibt ein Stück weit eine Abkehr von dem Glauben, staatliche Interventionen seien grundsätzlich schlecht. Der Staat wird nicht mehr so sehr als eigenwilliges Ungeheuer wahrgenommen, das seine Bürgerinnen und Bürger mit übergebührlich hohen Abgaben drangsaliert. Während bei der Deutschen Bahn noch heftig über die Privatisierung diskutiert wird, hat man auf kommunaler Ebene schon viel mehr ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass Krankenhäuser, Kindergärten, Seniorenheime, Schwimmbäder und Bibliotheken wertvolle Einrichtungen der Daseinsvorsorge sind. Vielfach ist aber noch nicht angekommen, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt zwischen privatem und öffentlichem Eigentum. Privateigentum beinhaltet eine Ausschlussmöglichkeit gegenüber Dritten. Bei öffentlichen Gütern und Dienstleistungen gibt es hingegen einen politisch zu bestimmenden Zugriff, der in der Regel allen Bürgerinnen und Bürgern die Teilhabe erlaubt.


TIM ENGARTNER ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Akademischer Rat) am Lehrstuhl für Wirtschaftsdidaktik der Universität Duisburg-Essen. Er hat sich im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung mit Rekommunalisierungen beschäftigt.


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Quelle:
ver.di PUBLIK - 3/2010, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2010