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GEWERKSCHAFT/351: Wirtschaftsdemokratie aus gewerkschaftspolitischer Perspektive (spw)


spw - Ausgabe 5/2010 - Heft 180
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Wirtschaftsdemokratie aus gewerkschaftspolitischer Perspektive

Von Jutta Blankau


Der seit zwei Jahrzehnten vorherrschende neoliberale Marktradikalismus trägt die Verantwortung für die größte Finanz- und Weltwirtschaftskrise seit Jahrzehnten und der damit einhergehenden Krise des politischen Systems. Ohne staatliches Handeln (Kurzarbeit, Konjunkturprogramme und Bankenrettungsfonds u. a.) wäre die globale Wirtschaft wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Deswegen müssen aus dieser Krise auch die richtigen Lehren gezogen werden. Ohne Begrenzung und politische Kontrolle wirtschaftlicher Macht werden wir weltweit immer wieder schwere ökonomische Krisen mit Massenarbeitslosigkeit, Wohlstandsverlusten und politisch-demokratischer Destabilisierung erleben.

Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die SPD braucht ein schlüssiges Alternativkonzept zum "Kasino-Kapitalismus". Anknüpfen können wir an alte Konzepte zur Demokratisierung der Wirtschaft. Die Chancen darüber zu diskutieren sind günstiger als vor einigen Jahren, aber durch den derzeitigen Aufschwung mit Unwägbarkeiten verbunden. Die neoliberalen Auguren nutzen bereits diesen Aufschwung, um den neoliberalen Marktradikalismus wieder zu profilieren. Ein Alternativkonzept, das auch die Demokratisierung der Wirtschaft zum Inhalt hat, ist daher zugleich die heutige Herausforderung und die Grundlage für einen politischen Kurswechsel. Mehr Demokratie in der Wirtschaft umfasst viele Bereiche. Sie beginnt am einzelnen Arbeitsplatz, reicht über den einzelnen Betrieb und die Branche bis hin zur Lenkung und Steuerung von gesamtwirtschaftlichen Investitionsentscheidungen. Zu klären ist dabei, welche Bereiche der privatwirtschaftlichen Gewinnlogik unterworfen und welche als öffentliche Güter bereitgestellt werden sollen. Es geht maßgeblich um das Primat der Politik und die Teilhabe der Menschen an politischen Entscheidungen und damit um Mitbestimmung und eine umfassende Demokratisierung aller gesellschaftspolitischen Bereiche.

Die Basis einer Wirtschaftsdemokratie ist die politische Demokratie, die den staatlichen Organen eine demokratische Legitimation verleiht und das Sozialstaatsprinzip, durch das die Schwachen durch die Starken in der Gesellschaft unterstützt werden. Eine weitere Voraussetzung für die Wirtschaftsdemokratie ist die Tarifautonomie, die starken und einflussreichen Gewerkschaften ermöglicht, Entgelt- und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten mit den Arbeitgeberverbänden auszuhandeln. Darauf aufbauend sind jedoch mindestens drei Elemente eines weitergehenden Konzeptes der Wirtschaftsdemokratie zu nennen. Das sind ein aktiver, gestaltender Staat, eine weitergehende Mitbestimmung in Unternehmen sowie eine Kombination von privatem und öffentlichem Eigentum an Unternehmen und Banken.


Gestaltender Staat

Die EU, die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Kommunen müssen bei der Gestaltung der Wirtschaftsbeziehungen eine aktive, gestaltende Rolle einnehmen. Denn die internationale Finanzmarktkrise ist letztlich dadurch ausgelöst worden, dass sich der Finanzmarkt völlig von der Realwirtschaft abgekoppelt hat. Die anvisierten Renditen und Spekulationen hatten keinerlei realen Bezug. Um solche Spekulationen in Zukunft zu vermeiden, sind vielfältige Maßnahmen erforderlich.

Beispielsweise dürfen Kredite von den Banken nicht mehr zu 100 Prozent an Dritte weitergegeben werden. Sie müssen künftig für mindestens 30 Prozent des Risikos selbst haften. Zweckgesellschaften außerhalb der Bilanzen müssen verboten werden. Ratingagenturen müssen künftig eine staatliche Zulassung erhalten und der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Eine öffentliche, von Privatunternehmen und Banken unabhängige europäische Ratingagentur ist aufzubauen. Hedgefonds sind weltweit zu kontrollieren und in Europa unter strenge Regeln zu stellen. Finanzmarktprodukte müssen standardisiert, geprüft und zugelassen werden, bevor sie in Umlauf kommen. Die Bankenaufsicht in Deutschland und in Europa muss gestärkt werden. Die kürzlich eingerichtete europäische Finanzmarktaufsichtsbehörde könnte eine Stabilisierung des Finanzsektors ermöglichen. Darüber hinaus sind zur Eindämmung von Spekulationen eine Finanztransaktionssteuer sowie eine Börsenumsatzsteuer einzuführen. Beide würden auch dazu beitragen, die Steuereinnahmen des Staates zu erhöhen, damit dieser die notwendigen Leistungen eines Staates, wie in der Bildungspolitik, erbringen kann. Deswegen bedarf es auch der Anhebung des Spitzensteuersatzes sowie die Einführung einer Vermögenssteuer. Das würde auch zur notwendigen Umverteilung von unten nach oben beitragen.

Das Shareholder-Value-Denken hat die Finanzmarktkrise mit verursacht. Es kann daher zukünftig nicht ausschließlich um das Wohl und die Dividende der Aktionäre, sondern um eine soziale, den Arbeitnehmerinteressen verpflichtete und nachhaltige Unternehmenspolitik gehen. Deswegen ist die demokratische Teilhabe der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in den Unternehmen auszubauen durch Ausweitung der Mitbestimmung und Verbesserung der betrieblichen Vertretungsmöglichkeiten.


Weitergehende Mitbestimmung

Die paritätische Mitbestimmung sollte u. a. für alle Unternehmen unabhängig von ihrer jeweiligen Rechtsform ab 1000 Beschäftigten gelten. Für alle Unternehmen mit 200 bis 1000 Beschäftigten sollte unabhängig von ihrer Rechtsform eine drittelparitätische Mitbestimmung eingeführt werden. Die Mitbestimmung muss auch für ausländische Firmen gelten, wenn sie in Deutschland tätig sind und die übrigen Voraussetzungen des Mitbestimmungsgesetzes erfüllen. Im Mitbestimmungsgesetz ist ein verpflichtender Katalog von zustimmungspflichtigen Geschäften aufzunehmen. Wichtige Entscheidungen, zum Beispiel über Betriebsschließungen, Standortverlagerungen und Massenentlassungen müssen künftig einer 2/3 Mehrheit im Aufsichtsrat bedürfen.

Im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ist die betriebliche Mitbestimmung zu erweitern. Dazu sollten die Betriebsräte u. a. ein eigenständiges Recht auf Erstellung eines Sanierungs- und Restrukturierungskonzeptes mit externer Beratung erhalten. Dieses Recht muss durch eine betriebsverfassungsrechtliche Einigungsstelle erzwingbar sein. Die Mitbestimmung von Betriebsräten bei Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung, bei Betriebsänderungen (Umorganisation, Produktionsverlagerung, Beschäftigungsabbau) ist zu erweitern und durch ein zwingendes Mitbestimmungsrecht beim Interessenausgleich zu stärken. Betriebsräte müssen über den Einsatz von Leiharbeitnehmern und -arbeitnehmerinnen mitbestimmen können.


Öffentliches und privates Eigentum

Das letzte Element einer Wirtschaftsdemokratie ist sicherlich das brisanteste bzw. schwierigste, da es um die Eigentumsfrage geht. Nach dem Privatisierungswahn von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie beispielsweise Krankenhäuser oder Energieunternehmen, hätte sich niemand vorstellen können, dass der Staat sich in der Krise mit über 25 Prozent an der Commerzbank oder gar mit 100 Prozent an der Hypo Real Estate Bank beteiligt und im Extremfall die Enteignung beschließt. Staatliche Beteiligungen an Unternehmen und Banken dürfen aber nicht nur in Notsituationen durchgesetzt werden. Sie müssen Teil einer demokratischen Wirtschaftspolitik sein, die es dem Staat ermöglicht, gestaltend in Arbeitsplatzentwicklung und Strukturpolitik einzugreifen. Öffentliche Unternehmen, wie zum Beispiel Energieversorger oder Gesundheitsbetriebe, dürfen nicht weiter privatisiert und müssen rekommunalisiert werden, da es hier nicht um Gewinnmaximierung gehen darf, sondern um die Versorgung der Menschen in den wichtigsten Lebensbereichen.

Die Volkswagen AG, die Salzgitter AG und die Deutsche Messe AG zeigen, dass Unternehmen mit staatlicher Beteiligung erfolgreich am Markt operieren können und Stabilität sowie Sicherheit für die Arbeitsplätze bieten. Dies gilt im übrigen auch für zahlreiche andere Konzerne mit staatlichen Beteiligungen, wie zum Beispiel Lufthansa, Telekom, Deutsche Post, Deutsche Bahn, KfW-Bank, Landesbanken und Sparkassen. Diese staatlichen Beteiligungen haben sich bewährt und sind keine Auslauf-, sondern Zukunftsmodelle. Es ist klar, dass die Beteiligung (siehe z. B. HSH Nordbank) auch einer weitaus effektiveren demokratischen Kontrolle unterliegen muss. Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Vergesellschaftung aller privaten Unternehmen, sondern um eine differenzierte Debatte über Eigentumsformen an Unternehmen und Banken. Nicht in jedem Fall ist eine staatliche oder öffentliche Beteiligung an Unternehmen sinnvoll, möglich oder finanzierbar. Deswegen sind differenzierte Antworten erforderlich. Es sollte daher über eine sinnvolle Kombination von privatem und öffentlichem Eigentum weiter nachgedacht und diskutiert werden.

Die IG Metall hat auf dem Höhepunkt der Krise einen 100 Milliarden Euro Beteiligungsfonds zur Unternehmenssicherung vorgeschlagen. Dieser Beteiligungsfonds sollte an eindeutige Bedingungen geknüpft werden, wie zum Beispiel die Vorlage eines tragfähigen unternehmerischen Zukunftskonzeptes, substantielle Beiträge der Eigentümer, Erhalt der Arbeitsplätze, Einhaltung der Tarifverträge, Sicherung der betrieblichen Ausbildung und Übernahme der Auszubildenden. Darüber hinaus sollten bei einer Entscheidung über eine öffentliche Beteiligung gesamtwirtschaftliche und regionale Kriterien sowie Branchenentwicklungen berücksichtigt werden. Die Entscheidungsgremien über die Gewährung von einem solchen öffentlichen Beteiligungskapital sind danach drittelparitätisch mit VertreterInnen der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und der öffentlichen Hand zu besetzen. Dieser Vorschlag für eine sinnvolle Kombination von privatem und öffentlichem Eigentum ist in der Krise entstanden, sollte jedoch als Teil einer sinnvollen Maßnahme im Rahmen eines neuen Konzeptes der Wirtschaftsdemokratie aufgegriffen werden, weil hierin die Chance besteht, als Staat gestaltend und steuernd strukturpolitische Maßstäbe zu setzen.


Weiter auf der Suche nach Alternativen:

Wir stehen erst am Anfang einer Diskussion eines Alternativkonzeptes zum marktradikalen Kapitalismus. Die Idee der Wirtschaftsdemokratie wird dabei ein wesentlicher Baustein sein, der im Rahmen eines Gesamtkonzeptes von Gewerkschaften und SPD in die gesellschaftspolitische Diskussion eingebracht werden muss. Dabei stehen wir am Scheideweg, ob marktradikaler Kapitalismus oder der Einstieg in eine Gesellschaft, die von mehr Mitbestimmung eines jeden Einzelnen in den Betrieben, einer demokratischen, ökologischen und nachhaltigen Wirtschaftsordnung, einer gerechten Verteilung des Wohlstandes und einem ebenso leistungsfähigen wie solidarischen Sozialstaat bestimmt ist. Und was es so schwer macht, ist die Machtfrage. Ohne gesellschaftliche Mehrheit aus Gewerkschaften, Parteien, Verbänden, Kirchen und sozialen Bewegungen, wird ein Alternativkonzept politisch nicht mehrheitsfähig und umsetzbar sein.


Jutta Blankau ist Bezirksleiterin der IG Metall Küste und Mitherausgeberin der spw.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2010, Heft 180, Seite 30-32
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2010