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GEWERKSCHAFT/638: Bsirske - Fiskalpakt-Politik ist eine tickende Zeitbombe für Europa (ver.di)


ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft - Presseinformation vom 1.‍ ‍Mai 2012

Bsirske: Fiskalpakt-Politik ist eine tickende Zeitbombe für Europa - Arbeitnehmerrechte verteidigen, Niedriglohnbereich zurückdrängen, allgemeinen Mindestlohn einführen



Berlin, 01.05.2012 - Der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Frank Bsirske, hat sich in seiner Rede zum 1. Mai für ein soziales, demokratisches und solidarisches Europa, für bessere Arbeitsbedingungen sowie faire und gerechte Löhne ausgesprochen. Die herrschende Finanz- und Wirtschaftspolitik, die Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy den übrigen Staaten aufzwängten, habe verheerenden Folgen für die europäische Integration, für soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Arbeitnehmerrechte. "Sie führt in eine europäische Wettbewerbsunion der niedrigsten Löhne, der niedrigsten Unternehmenssteuern und sozialen Standards", warnte Bsirske bei der DGB-Kundgebung in Saarbrücken vor mehr als 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Der europäische Fiskalpakt mache aus der Euro-Zone "eine Rotstift-Union, die einseitig auf eine Überdosis Sparen setzt". Europa spare sich so immer tiefer in die Krise und nehme dabei die soziale Spaltung zwischen den Mitgliedsstaaten, aber auch innerhalb der Staaten in Kauf. Dabei würden erkämpfte Errungenschaften der sozialen Demokratie wie Tarifautonomie und soziale Schutzsysteme attackiert und demokratische Verfahren außer Kraft gesetzt, wenn der Fiskalpakt selbst mit verfassungsändernder Mehrheit nicht mehr kündbar sein solle. "So untergräbt man die Legitimation des europäischen Projekts, diese Politik ist eine Zeitbombe für die europäische Integration, und zwar eine Zeitbombe, die bereits zu ticken begonnen hat", betonte der ver.di-Vorsitzende. Deshalb seien sich die DGB-Gewerkschaften darin einig, dass der Fiskalpakt abgelehnt und neu verhandelt werden müsse.

Statt einseitig auf radikale Haushaltskürzungen zu setzen, müssten Finanztransaktionen in Europa drastisch besteuert werden. Für Staatsanleihen müsse die Eurozone gemeinsam bürgen, die Staatsfinanzen müssten von den Kapitalmärkten entkoppelt werden. Ausgleichszahlungen sollten helfen, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte des Euroraums abzubauen. "Wir brauchen eine europaweite Investitionsoffensive, einen Marshallplan mit Investitionen in Infrastruktur und Energiewende, der eine neue Wachstumsdynamik bewirkt, auch für die Länder des Südens", forderte Bsirske.

Gefordert seien aber auch die Gewerkschaften und die Politik in Deutschland. "In Deutschland müssen die Löhne wieder stärker steigen als in den vergangenen Jahren, um die ständige Umverteilung zugunsten der Gewinneinkommen zu beenden, um den Binnenmarkt zu stärken, um auch Ungleichgewichten in der EU entgegen zu wirken", verlangte Bsirske. Eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt sei ebenso unverzichtbar wie das Zurückdrängen des Niedriglohnsektors und der prekären Arbeit.

Bsirske forderte "einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn auf dem Niveau unser westeuropäischen Nachbarländer von durchschnittlich 8,50 Euro als Einstieg und dann schnell aufsteigend Richtung zehn Euro". Es sei ein Unding, dass immer noch sechs Millionen Menschen für Stundenlöhne unter 8 Euro arbeiten, darunter mehr als eine Million mit Stundenlöhnen von 5 Euro und weniger. "Das ist arbeitende Armut, nichts anderes, und die darf es in unserem Land nicht mehr geben. Arbeit darf nicht arm machen und sozial entwürdigen", mahnte der Gewerkschaftsvorsitzende.

Niedriglohn, die Rückkehr der Unsicherheit, die Entsicherung der Arbeit, treffe vor allem Frauen und Jugendliche. Mehr als 30 Prozent der Erwerbstätigen unter 25 Jahren arbeiteten unter unsicheren Bedingungen, in Leiharbeit, Scheinselbständigkeit oder unfreiwilliger Teilzeit. "Jeder zweite Berufsanfänger wird nur befristet eingestellt. Das erschwert nicht nur den beruflichen Einstieg, sondern auch die persönliche Lebensplanung", mahnte Bsirske.

Deshalb seien starke Gewerkschaften nötig, die die Politik unter Zugzwang bringen könnten. "Gewerkschaften, mit denen sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben schützen können und mit denen sie für faire Entlohnung, gute Arbeitsbedingungen und auskömmliche Renten streiten. Gewerkschaften, die in der Lage sind, Kräfte zu bündeln und berechtigten Forderungen den nötigen Nachdruck zu verleihen", so der ver.di-Vorsitzende. "Wir stehen für fundamentale moralische Werte in unserer Gesellschaft, für soziale Gerechtigkeit, für gegenseitigen Respekt, für die Würde des Menschen, in der Arbeit und im Alter, stehen für die Interessen auch der Jungen, in Bildung und Ausbildung, und streiten für die Übernahme nach erfolgreicher Ausbildung in möglichst gesicherte und unbefristete Arbeitsverhältnisse."

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Quelle:
Presseinformation vom 01.05.2010
ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Christoph Schmitz - ver.di-Bundesvorstand
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2012