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INTERNATIONAL/014: Lateinamerika - Stolzes Wirtschaftswachstum, Sorge über schwachen Dollar (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Februar 2011

Lateinamerika: Stolzes Wirtschaftswachstum - Sorge über schwachen Dollar

Von Sebastián Lacuna


Buenos Aires, 11. Februar (IPS) - Die lateinamerikanischen Länder können nach einem leichten Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) im Zuge der internationalen Finanzkrise 2008 wieder stolze Wachstumszahlen vorweisen. Nur die Schwäche des US-Dollar gegenüber ihren Währungen gibt Anlass zu Sorge.

Wie die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und Karibik (CEPAL) in einem vorläufigen Wirtschaftsüberblick für 2010 Ende letzten Jahres bekannt gab, legte die argentinische Wirtschaft um 8,4 Prozent zu. Brasilien zog mit 7,7 Prozent und Mexiko mit 5,3 Prozent nach. Den lateinamerikanischen Durchschnittswachstumswert gab die CEPAL mit sechs Prozent an.

Doch auch verbuchen die meisten Staaten der Region eine Aufwertung ihrer lokalen Währungen gegenüber dem US-Dollar. Das gilt insbesondere für den brasilianischen Real, der verglichen mit dem Wechselkurs der Jahre 1990 bis 2009 um 26 Prozent an Wert gewann. Am anderen Ende der Skala befindet sich Argentinien, wo der Peso um 36 Prozent seines Wertes verlor.

Argentinien ist Brasiliens wichtigster Partner innerhalb der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR. Weitere Bündnispartner sind Paraguay und Uruguay und bald auch Venezuela, sobald das Verfahren für den Beitritt des südamerikanischen Landes als fünftes Vollmitglied abgeschlossen ist. Brasilien ist Argentiniens wichtigster Exportmarkt, während Argentinien der drittwichtigste Absatzmarkt brasilianischer Exporte ist.

Die Währungen Kolumbiens, Venezuelas, der meisten zentralamerikanischen Staaten, Uruguays, Ecuadors, Chiles und Paraguays haben gegenüber dem Dollar ebenfalls an Wert gewonnen. In Peru und Mexiko blieb der Wert des Neuen Sol und des Peso gegenüber dem US-Dollar im Vergleich zu seinem Durchschnittswert von 1990 bis 2009 unverändert.


Währungsreserven als Rettungsschirm

Vom gezielten Ankauf von US-Währungsreserven über eine Erhöhung der Zinsraten bis zu Steuern auf Spekulativkapital - im Umgang mit ihren Währungen greifen lateinamerikanische Regierungen zu unterschiedlichen Maßnahmen. Wie Lia Valls Pereira vom Brasilianischen Institut für Wirtschaftswissenschaften der Getulio-Vargas-Stiftung berichtet, hat Brasilien eine der höchsten Zinsraten der Welt.

Als Spar- und Anti-Inflationsmaßnahme erhöhte Brasiliens Zentralbank am 19. Januar die Zinssätze des SELIC-Indexes um 0,5 auf 11,25 Prozentpunkte, nachdem die Teuerungsrate im letzten Jahr mit 5,91 Prozent einen vorläufigen Höchstwert erreichte. "Derzeit machen weiterverarbeitete Erzeugnisse 40 Prozent unserer Exporte aus", erläutert Valls Pereira. Den Anstieg der brasilianischen Exporteinnahmen im letzten Jahr führt sie auf die hohen Rohstoffpreise und die gesteigerte Nachfrage aus China zurück. Brasilien konnte vor allem mehr Industriegüter nach Argentinien exportieren.

Die Handelsbilanz zugunsten Brasiliens könne zu neuen Spannungen mit Argentinien führen, warnt Valls Pereira. Die Verzerrungen seien praktisch der einzige Gesprächsstoff der Präsidentinnen beider Länder, Cristina Fernández (Argentinien) und Dilma Rousseff, bei ihrem Zusammentreffen in Buenos Aires Ende Januar gewesen.

In Mexiko sind die Möglichkeiten für den konservativen Staatschef Felipe Calderón, wirtschaftlich strategisch zu agieren, eingeschränkt. "Die Zinssätze auf den internationalen Märkten sind niedrig und die Mexikanische Zentralbank traut sich angesichts der Inflationsgefahr nicht, sie weiter zu drücken", schildert der Finanzexperte Édgar Amador das mexikanische Dilemma. Der Verbraucherpreisindex sei im letzten Jahr um 4,4 Prozent gestiegen.

So wie im Fall Brasilien und Argentinien auch sind die Währungsreserven der mexikanischen Zentralbank in Höhe von 118,5 Milliarden Dollar ein wichtiger Schutz vor Wirtschaftskrisen. Sie veranlassten im Januar den Internationalen Währungsfonds (IWF) einer Kreditlinie in Höhe von 72 Milliarden Dollar zuzustimmen.

Mexiko war das Land der Region, das als wichtigster Handelspartner der USA von der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise am schlimmsten betroffen war. In den USA hatte die Krise in der zweiten Hälfte 2008 ihren Anfang genommen. Das mexikanische BIP schrumpfte 2009 um 6,7 Prozent, und rund 900.000 Jobs gingen verloren.

Der Fall Argentinien ist anders gelagert. Dort ist die Wirtschaft jährlich zwischen sieben und fast zehn Prozent seit 2003 gewachsen - dem Zeitpunkt, an dem sich das Land von dem schweren sozialen und wirtschaftlichen Niedergang Ende 2001 erholte. Einzige Ausnahme war das Jahr 2009, als das Wachstum gleich blieb. Auch was seine Währungsreserven angeht, kann Argentinien mit fast 53 Milliarden Dollar ein Rekordergebnis vorweisen.

Inflation gefürchtet

Doch in den letzten Jahren bereitet die Inflation der argentinischen Linksregierung zunehmend Kopfzerbrechen. Dem Nationalen Statistikamt zufolge sind die Verbraucherpreise 2010 um 10,9 Prozent gestiegen. Die politische Opposition, Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmer und Gewerkschaften halten eine doppelt so hohe Inflationsrate für realistischer.

Claudio Katz, Wirtschaftsprofessor an der staatlichen Universität von Buenos Aires und Mitglied des Netzwerks 'Wirtschaftswissenschaftler der Linken', hält die Wechselkurssituation für Argentinien für weitgehend unbedenklich. Kritisch sei die Lage in den 1990er Jahren gewesen, als der Peso an den US-Dollar gekoppelt, der Haushalt nicht ausbalanciert und ein riesiges Handelsdefizit vorhanden war.

Die Fernández-Administration begegnet Kritik gegen den Inflationszuwachs meist mit dem Hinweis auf die vorgenommenen Lohnerhöhungen. Doch Katz zufolge ist die Inflation in Argentinien keine Frage der staatlichen Ausgabepolitik, sondern den Unternehmen anzulasten. Nach vielen Jahren rapiden Wachstums hätten sie die Preise nach oben angepasst, ohne Investitionen vorzunehmen.

"Wenn öffentliche Gelder verwendet werden, um Banken zu retten, wird das als selbstverständlich hingenommen. Doch wenn es um Subventionen und Sozialausgaben geht, sind Unternehmen schnell dabei, Kürzungen einzufordern", so der Experte. Den Regierungen empfahl er, die durchaus vorhandenen Mechanismen endlich zu nutzen, "um gegen solche oligopolistischen Gruppen vorzugehen, die trotz unglaublicher Profite die Preise erhöhten". (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2011