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INTERNATIONAL/076: Syrien - Abwertung, Devisenschwund und Tourismusflaute, Wirtschaftskrise droht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Januar 2012

Syrien: Abwertung, Devisenschwund und Tourismusflaute - Wirtschaftskrise droht

von Mona Alami


Beirut, 26. Januar (IPS) - Syriens Wirtschafts- und Finanzwelt bekommt die Auswirkungen der seit Monaten anhaltenden bürgerkriegsähnlichen Zustände in den aufständischen Regionen Homs, Hama und Jabal al-Zawiya inzwischen massiv zu spüren.

"Die Lage ist außerordentlich schwer einzuschätzen", meinte der in Damaskus ansässige Wirtschaftsexperte Jihad Yazigi in einem Telefoninterview mit IPS. Er ist Verfasser des sogenannten Syrien-Berichts, der von der 'Middle East Information and Communication Agency' (MEICA) mit Sitz in Paris herausgegeben wird und als eine der wichtigsten Informationsquellen über den Zustand der syrischen Wirtschaft gilt.

Die von der Ratingagentur Moody's vorgenommene Herabstufung der Monatsprognose von stabil auf negativ ist auch für Syrien eine Hiobsbotschaft, weil das Engagement libanesischer Banken in Syrien und anderen Krisenherden der Region als besonders riskant bewertet wird.

Während der Internationale Währungsfonds (IWF) für Syriens Wirtschaft einen Rückgang um zwei Prozent voraussagt, spricht 'Business Monitor International' von 9,6 Prozent. Nach Yazigis Einschätzung ist auch eine Schrumpfung der syrischen Wirtschaft um bis zu 15 Prozent möglich.


Europa als wichtigster Kunde weggebrochen

Anzeichen für eine solche Negativentwicklung gibt es zu Genüge. So kamen nach Angaben des Tourismusministeriums seit März 2011 64 Prozent weniger Touristen ins Land. Auch die internationalen Sanktionen, vor allem das von der Europäischen Union verhängte Ölembargo, werden zunehmend spürbar. "Europa war der größte Abnehmer von syrischem Öl. Jetzt muss das Land neue Kunden finden", erklärte Nassib Ghobril, Chef-Ökonom der libanesischen Byblos-Bank, die auch in Syrien engagiert ist.

Syrien hatte 99 Prozent seiner Erdölproduktion von täglich 385.000 Barrel nach Europa geliefert. Der syrische Ölminister Sufian Allaw bezifferte Mitte Januar die seit September 2011 registrierten Verluste im Geschäft mit Erdöl und Erdölprodukten auf über zwei Milliarden US-Dollar.

Für die bislang von Protesten wenig betroffene Hauptstadt Damaskus wurde inzwischen eine dreistündige Stromsperre pro Tag verhängt. Nach Angaben von Einwohnern gibt es in manchen Außenbezirken bereits bis zu acht Stunden lang keinen Strom.

Syriens Finanzsektor leidet ebenfalls unter der Krise. Aufgrund der Kapitalflucht ist das syrische Pfund gegenüber dem Dollar bereits um 50 Prozent abgewertet. Nach Einschätzung des Experten Yazigi beträgt die Inflationsrate inzwischen 20 Prozent. Nach offiziellen Zahlen der syrischen Zentralbank lag sie noch im September vorigen Jahres bei 3,38 Prozent.


Der Druck auf die Geschäfte der Banken wächst

Regierungsbehörden versuchen, mit Auflagen für die Banken den Abwärtstrend aufzuhalten. Sie belegten Dollar-Transaktionen mit Sondergebühren, erhöhten die Zinsen für Bankeinlagen und schränkten den Ankauf von Dollar ein. Daraufhin kündigte die saudische Fransi-Bank, ein wichtiger, zur 'Crédit Agricole SA' gehörender Geldgeber, den Verkauf von 27 Prozent seiner Beteiligung an der syrischen Bank 'Bemo Saudi Fransi' an und begründete diesen Schritt mit finanziellen Risiken.

Der Gesamtwert syrischer Bankeinlagen beträgt derzeit 44 Milliarden Dollar und verteilt sich nach Angaben des Bankexperten Ghobril auf 14 Privat- und sechs Staatsbanken.

Ein auf Anonymität bestehender Banker berichtete, etliche Konsumkredite seien bereits geplatzt. "Dagegen können die Banken wenig unternehmen. Es ist schwierig, Autos oder Computer zu konfiszieren", meinte er. Auch zunehmend mehr Unternehmen hätten Schwierigkeiten, ihre Kredite zu bedienen, erklärte er. Sie bäten um Fristverlängerung, Überziehungskredite, Rabatt und Dokumentenakkreditive.

Es sei fraglich, wie lange noch die Regierung ihre Budgetverpflichtungen von jährlich 21 Milliarden Dollar erfüllen könne, erklärte der Insider. Vor der Krise betrug der Devisenbestand der Zentralbank 18 Milliarden Dollar. Nach Schätzungen einiger Experten ist er bereits auf rund elf Milliarden Dollar geschrumpft.

Der syrischen Regierung bleibe nichts weiter übrig als die Geldpresse anzuwerfen, auch wenn damit die Inflation weiter angeheizt wird, sagte Yazigi.

Syriens wirtschaftliche Zukunft wird davon abhängen, wie weit das Assad-Regime mit der Unterstützung seiner Verbündenten, vor allem Irak und Iran, rechnen kann. (Ende/IPS/mp/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2012