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INTERNATIONAL/131: Handel im Süden (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012
Mehr, Mehr, Mehr?
Handelspolitik zwischen "Weiter so" und Nachhaltigkeit

Handel im Süden
Süd-Süd-Zusammenarbeit und Politikkoordination

von Peter Lunenborg



Man hat bereits seit langem erkannt, wie wichtig strategisches und gemeinsames, kollektives Handeln seitens der Entwicklungsländer auf internationaler Ebene ist - angefangen beim Aktionsplan von Buenos Aires zur Süd-Süd-Zusammenarbeit 1978, über den Konsens von Yamoussoukro über die Süd-Süd-Zusammenarbeit von 2008, bis hin zur Bekräftigung der Prinzipien für die Süd-Süd-Zusammenarbeit durch die Gruppe der 77 und China im September 2009.


ORGANISATIONEN UND Mechanismen der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Länder des Südens sind wichtige Foren für die Süd-Süd-Zusammenarbeit. Zu nennen sind hier beispielsweise die Gruppe der 77, die Bewegung der blockfreien Staaten (Non-Aligned Movement, NAM), die verschiedenen Organisationen zur regionalen Zusammenarbeit und Wirtschaftsintegration im Süden, ebenso wie das South Centre als multilateraler Thinktank der Regierungen der Entwicklungsländer. Die Süd-Süd-Zusammenarbeit und -Politikkoordination sind wesentliche Elemente im Entwicklungsprozess des Südens und ebenso für den Nord-Süd-Dialog und die globale Regierungsführung.


Die Prinzipien der Süd-Süd-Zusammenarbeit der G77 und Chinas

Der grundlegende Rahmen und die Prinzipien für die Süd-Süd-Zusammenarbeit wurden von den Ländern des Südens formuliert. Das Aktionsprogramm von Havanna aus dem Jahr 2000, der Rahmenplan von Marrakesch für die Durchführung der Süd-Süd-Zusammenarbeit von 2003 und der Aktionsplan von Doha von 2005 stellen einen umfassenden Rahmen für die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsländern dar. Übergreifende Prinzipien für die Süd-Süd-Zusammenarbeit wurden im September 2008 von den Außenministern der Gruppe der 77 verabschiedet und von den Staats- und Regierungschefs auf dem XV. Gipfel der BlockfreienBewegung im Juli 2009 bestätigt.(1)

Wie man aus den Prinzipien zur Süd-Süd-Zusammenarbeit, die von der Gruppe der 77 und China verabschiedet wurden, ersehen kann, steht dabei folgende Überzeugung im Mittelpunkt: Die Umsetzung von Entwicklungszielen liegt in der eigenen Verantwortung der Länder des Südens, und eine Entwicklung kann nur unter den Bedingungen von Gleichheit, sozialem Fortschritt, Respekt vor der Souveränität und gleichberechtigten wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit den Industrieländern erreicht werden. Das bedeutet, dass eine Politikkoordination der Länder des Südens dringend erforderlich ist, damit diese effektiv und produktiv miteinander und mit den Industrieländern in Dialog treten können, und damit gewährleistet ist, dass die Entwicklungsbedürfnisse und -ziele der Entwicklungsländer ins Zentrum des multilateralen Diskurses und der Regierungsführung gerückt werden.


Zentrale Bereiche der Politikkoordination in den Ländern des Südens

Multilaterale Zusammenarbeit, gestützt auf Süd-Süd-Zusammenarbeit und Nord-Süd-Dialog, ist erforderlich, damit die Weltgemeinschaft die Herausforderungen, von denen unsere heutige Zeit geprägt ist, erfolgreich bewältigen kann. Diese Herausforderungen - unter anderem der Klimawandel, die globale Finanzkrise, Handelsbeziehungen und Entwicklung - müssen auf eine Art und Weise bewältigt werden, die wirtschaftliche, politische, soziale und ökologische Gerechtigkeit, Fairness und Nachhaltigkeit garantiert.

Damit dies geschehen kann, muss ein Erfahrungsaustausch, ein gemeinsamer, aktiv geführter Dialog der Länder des Südens untereinander und mit den Ländern des Nordens stattfinden, mit dem Ziel, gemeinsame, gleichzeitig jedoch differenzierte und gleichberechtigte Ansätze zur Bewältigung globaler Probleme zu finden. Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf den Welthandel, systemische Regierungsführung und globale Antworten auf die Finanzkrise.


Welthandel

Gegenwärtig stagniert die Doha-Runde eindeutig aufgrund fortbestehender großer Meinungsverschiedenheiten bei den Verhandlungspositionen der Vertragsparteien. Bei diesen Verhandlungen geht es um das Potenzial der Entwicklungsländer, Gewinne für ihre Entwicklung durch ein gerechteres, ausgewogenes, entwicklungsorientiertes multilaterales Handelssystem zu erzielen. Dies steht im Gegensatz zu einem multilateralen Handelssystem, das zu zusätzlichen Einschränkungen des handelspolitischen Spielraums der Entwicklungsländer führt.

Süd-Süd-Zusammenarbeit und -Politikkoordination, die im Kontext der Förderung einer entwicklungsorientierten Agenda in den WTO-Verhandlungen (World Trade Organization - Welthandelsorganisation) stattfanden, waren in den vergangenen Jahren sehr gut erkennbar und effektiv. In den WTO-Verhandlungen entstanden starke Ad-hoc-Gruppen der Entwicklungsländer wie beispielsweise die G-20 und G-33. Außerdem engagierten sich verschiedene formellere Gruppen der Entwicklungsländer aktiv, die auf bereits existierenden regionalen Organisationen wie der Afrikanischen Gruppe, der Gruppe der AKP-Staaten (Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten), der Gruppe der LDCs (Least Developed Countries - die am wenigsten entwickelten Länder) und der CARICOM (Caribbean Community and Common Market - karibische Gemeinschaft) basierten. Dies hat dazu geführt, dass in den Verhandlungen die Belange und Perspektiven der Entwicklungsländer stärker berücksichtigt wurden. Eine solche Politikkoordination zwischen den Ländern des Südens sollte fortgesetzt und in allen Bereichen der WTOVerhandlungen verstärkt werden - zum Beispiel in der Landwirtschaft, dem Marktzugang für nicht-landwirtschaftliche Güter (NAMA), bei Dienstleistungen, geistigen Eigentumsrechten und Handelserleichterungen.

Außerdem sollten die Handelsbeziehungen der Länder des Südens untereinander weiter gestärkt und belebt werden. Insbesondere sollten die Staaten in den einzelnen Regionen Afrikas stärkere Wirtschaftsbeziehungen untereinander aufbauen und keine Wirtschaftspartnerschaftsabkommen akzeptieren, die ihre wirtschaftlichen Entwicklungschancen behindern.


Systemische Regierungsführung und das Entwicklungsgefälle

Die globale Entwicklungskrise setzt sich weiter fort, da die Einkommensunterschiede zwischen den meisten Entwicklungsländern und den Ländern des Nordens immer größer werden. Einige Entwicklungsländer haben zwar beeindruckende Entwicklungsfortschritte gemacht - großenteils aufgrund strategischer wirtschaftspolitischer Maßnahmen, die im Allgemeinen nicht mit den politischen Maßnahmen des Washingtoner Konsens' übereinstimmten, die viele andere Entwicklungsländer gezwungenermaßen umsetzen mussten. Dennoch ist die Einkommensungleichheit weltweit insgesamt größer geworden, und eine Annäherung der Einkommen hat großenteils nicht stattgefunden. Das globale Einkommen ist weiterhin stark in den Industrieländern konzentriert.

Um diese zentrale Herausforderung zu bewältigen, ist eine Politikkoordination der Länder des Südens erforderlich, die als Basis für den Dialog mit den Ländern des Nordens dient, um fundamentale Veränderungen des globalen Wirtschaftssystems zu bewirken. Diese Veränderungen beinhalten:

  • tiefgreifende Reformen der Weltbank und des IWF (Internationaler Währungsfonds) im Hinblick auf ihre Steuerung, Politik, Konditionalitäten und ihr Verhältnis zu den Vereinten Nationen;
  • die Wiederherstellung der eigentlichen Rolle der Vereinten Nationen als zentraler Mittelpunkt für die Gestaltung der multilateralen Wirtschaftspolitik, indem die verschiedenen Gremien und Organe der UN gestärkt werden, die sich mit wirtschaftlichen und Entwicklungsfragen beschäftigen;
  • wirkliche Veränderungen bei der Umsetzung der Entwicklungszusammenarbeit, um sicherzustellen, dass die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe beendet wird.

Globale Antworten auf die Finanzkrise

Eine regionale und interregionale Zusammenarbeit der Länder des Südens bei Finanz- und Währungsfragen (wie beispielsweise die Chiang Mai-Initiative in Asien oder die Bank des Südens in Lateinamerika) ist äußerst wichtig. Sie ist wichtig, um die Kapazität des Südens zu fördern, externe makroökonomische Finanzschocks aufzufangen und zu überstehen, die von den hochverschuldeten, fremdfinanzierten Volkswirtschaften des Nordens ausgehen. Ebenso wichtig ist sie, um alternative Quellen für dringend benötigte Finanzmittel zur Finanzierung von Süd-Süd-Entwicklungsinitiativen bereitzustellen.

Unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Finanzkrise, die ihren Ursprung in den großen Volkswirtschaften des Nordens hat, leiden die meisten Entwicklungsländer immer noch. Viele Länder des Südens sind mit verschiedenen, externen Schocks konfrontiert, die durch die Finanzkrise entstanden sind, beispielsweise Handelsverluste, Kapitalflucht, spekulative Kapitalzuflüsse oder schwankende Steuereinnahmen.

Um diese Krise zu bewältigen und künftige Krisen zu vermeiden, müssen die Länder des Südens miteinander zusammenarbeiten und mit den Ländern des Nordens und multilateralen Institutionen einen Dialog führen, damit:

  • ein internationales System eingerichtet wird, das die finanzielle Stabilität für Entwicklungsländer fördert;
  • sie Zugang zu angemessenen, stabilen Finanzmitteln haben;
  • eine neue Finanz- und Schuldenkrise vermieden wird und Krisen angemessen bewältigt werden können, wenn sie auftreten;
  • Exporte aus dem Süden freien Zugang zu den Märkten des Nordens erhalten;
  • Kollateralschäden im Süden durch politische Reaktionen und Maßnahmen seitens der Industrieländer im Hinblick auf die Finanzkrise vermieden werden;
  • der politische Spielraum zur Durchführung geeigneter politischer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Wiederbelebung und Entwicklung für die Länder des Südens erhalten bleibt und erweitert wird.

Der Autor forscht beim Trade for Development Programme des South Centre. Er kann per E-mail unter lunenborg@southcentre.org kontaktiert werden. Die in diesem Papier geäußerten Ansichten spiegeln nicht unbedingt die offizielle Sichtweise des South Centre wieder.


Anmerkung:

(1) Siehe die ministerielle Erklärung der 33. Jahrestagung der Außenminister der Mitgliedsstaaten der Gruppe der 77 und Chinas vom 25. September 2009 (http:// www.g77.org/doc/Declaration2009.htm, para. 70). Darin wird die Annahme der Prinzipien für die Süd-Süd-Zusammenarbeit auf der 32. Jahrestagung (26. September 2008) erneut bekräftigt. Diese gehen auf eine Empfehlung der zwölften Sitzung des Intergovernmental Follow-up and Coordination Committee on Economic Cooperation among Developing Countries (IFCC-XII) vom 10.-13. Juni 2008 zurück. Die Grundsätze für die Süd-Süd-Zusammenarbeit wurden von den Staats- und Regierungsführern der Blockfreien-Bewegung auf ihrem XV. Gipfeltreffen im Juli 2009 (NAM Doc. No. NAM/2009/FD/ Doc.1, para. 358) in Ägypten unterstützt.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012, S. 13-14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2013