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INTERNATIONAL/152: Nahost - Isoliert und abgewürgt, Ost-Jerusalems Wirtschaft am Boden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2013

Nahost: Isoliert und abgewürgt - Ost-Jerusalems Wirtschaft am Boden

von Jillian Kestler-D'Amours


Bild: Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Die israelische Sperranlage von dem Ort Al Ram im Westjordanland aus gesehen
Bild: Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Ost-Jerusalem, 31. Mai (IPS) - Dicke Schlösser hängen an den Eingangstüren der Geschäfte. Die staubigen und mit Graffiti verzierten Rollläden sind heruntergelassen und nur wenige Menschen auf der spärlich beleuchteten Straße unterwegs. Manche bleiben kurz stehen, um sich Mustafa Sunocrets Obst und Gemüse anzuschauen.

"Mein Laden ist der einzige, der hier noch geöffnet hat. Das war einmal die beste Adresse am Ort", sagt der 64-Jährige, der seine Waren nahe dem Haus seiner Familie im muslimischen Viertel von Jerusalems Altstadt anbietet.

Die Palästinenser, die Schals, Kleidung und Teppiche, Keramik und Devotionalien verkaufen, kämpfen um ihre Existenz. Für Sunocret, mit dem es gesundheitlich immer weiter bergab geht, gibt es keine Alternative, als weiterhin in der Altstadt auszuharren, obwohl die Betriebskosten eine große Belastung für ihn sind. Die Strompreise sind hoch, hinzu kommen die Abgaben an die Kommune. "Ich habe nur diesen einen Laden", sagt er und fügt hinzu. "Aber ich bin müde."


"Sie besetzen die Stadt noch einmal"

Abed Ajloni, der einen Antiquitätenladen führt, schuldet der Stadtverwaltung von Jerusalem umgerechnet mehr als 68.000 US-Dollar an Steuern. Fast jeden Tag kommen die Steuereintreiber gemeinsam mit israelischen Polizisten und Soldaten in die Altstadt, um Druck auf säumige Zahler auszuüben, wie er klagt. "Ich habe das Gefühl, sie besetzen die Stadt noch einmal."

Israel hatte den Ostteil Jerusalems einschließlich der Altstadt 1967 besetzt. Im Juli 1980 trat ein Gesetz in Kraft, dem zufolge das "vereinigte Jerusalem" die Hauptstadt Israels sei. Die internationale Staatengemeinschaft erkennt jedoch die Annexion Ost-Jerusalems nicht an. Gemäß dem Völkerrecht gilt Ost-Jerusalem als besetztes Gebiet, ebenso wie das Westjordanland, der Gazastreifen und die syrischen Golanhöhen. Die palästinensischen Einwohner der Stadt werden durch die Vierte Genfer Konvention geschützt.

In der Vergangenheit war Jerusalem das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum der gesamten palästinensischen Bevölkerung. Doch in Jahrzehnten des Siechtums, in denen Israel die Isolierung der Stadt von den übrigen besetzten Gebieten betrieb und es an städtischen Dienstleistungen fehlte, ist Ost-Jerusalem in Armut und Trostlosigkeit abgeglitten.

"Nach etwa 45 Jahren Besatzung leidet die arabische Bevölkerung Jerusalems an einer politischen und kulturellen Schizophrenie, sieht sie sich einerseits mit ihren beiden Gebieten verbunden - mit Ramallah und dem Westjordanland im Osten - und einerseits von ihnen - durch Westjerusalem und Israel im Westen - getrennt", heißt es in einem kürzlich verbreiteten Bericht der 'International Crisis Group'.

Zur Isolation des Ostteils von Jerusalem hat beigetragen, dass Israel die Stadtplanung und den Wohnungsbau einschränkt und wenig in Bildung und Arbeitsplätze investiert. Die palästinensischen Vororte sind durch eine fast zweieinhalb Meter hohe Sperranlage abgetrennt. Um nach Jerusalem zu gelangen, benötigen die Bewohner Sondergenehmigungen.

Zudem (dürfen palästinensische Parteien in der Stadt keinen Sitz nehmen. Zwischen 2001 und 2009 schloss Israel die Büros von schätzungsweise 26 Organisationen, darunter den Hauptsitz der ehemaligen Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Jerusalem, das Orient-Haus und die Handelskammer von Jerusalem.

Das Vorgehen Israels hat die Preise für grundlegende Güter und Dienstleistungen in die Höhe getrieben. Viele palästinensische Geschäftsleute mussten ihre Läden schließen und nach Ramallah oder in andere palästinensische Orte jenseits der Mauer ausweichen. Viele Palästinenser in der Stadt kaufen inzwischen lieber im Westjordanland oder im Westen Jerusalems ein, weil die Preise dort niedriger sind.


Großteil der Palästinenser in Jerusalem verarmt

Heute machen die Palästinenser 39 Prozent der Stadtbevölkerung aus. Nahezu 80 Prozent der Einwohner von Ost-Jerusalem, davon 85 Prozent Kinder, leben unterhalb der Armutsgrenze. "Wie kann es für die Palästinenser wirtschaftlich bergauf gehen, wenn sie keine Kontrolle über die Grenzen haben?", fragt Zakaria Odeh, der Direktor der Bürgerkoalition für Palästinenserrechte in Jerusalem. Von einer unabhängigen Wirtschaft in Jerusalem, dem Westjordanland oder dem übrigen Palästina könne ohne einen freien Waren- und Personenverkehr keine Rede sein.

Wie die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in einem kürzlich veröffentlichten Bericht feststellt, sind den Palästinensern in Jerusalem durch den israelischen Sperrwall bereits Einnahmen in Höhe von mehr als einer Milliarde Dollar verloren gegangen. Aufgrund der Einschränkungen entgehen ihnen auch weiterhin rund 200 Millionen Dollar jährlich.

Auch die Kontrolle Israels über die historische Handelsstraße zwischen Jerusalem und Jericho im Westjordanland hat zum ökonomischen Niedergang der Stadt beigetragen. Vor Beginn des ersten Palästinenseraufstands Ende der achtziger Jahre hatte Ost-Jerusalem etwa 14 bis 15 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der besetzten Palästinensergebiete beigetragen. Bis zum Jahr 2000 sank der Anteil auf weniger als acht Prozent. 2010 trug Ost-Jerusalem nur noch sieben Prozent zur Wirtschaftsleistung der Palästinensergebiete bei.

Um den Anteil der palästinensischen Einwohner Jerusalems auf höchstens 26,5 Prozent zu begrenzen, hatte Israel bereits vor Jahrzehnten damit begonnen, zahlreiche jüdische Siedlungen im Stadtgebiet und in der Umgebung zu bauen. Palästinensische Vororte wurden durch eine Neudefinition der Stadtgrenzen aus Jerusalem ausgegrenzt. Schätzungen zufolge leben derzeit etwa 90.000 Palästinenser, die als Bürger Jerusalems registriert sind, tatsächlich auf der anderen Seite des Sperrwalls. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.civiccoalition-jerusalem.org/
http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/gdsapp2012d1_en.pdf
http://www.acri.org.il/en/2013/05/07/ej-figures/
http://www.ipsnews.net/2013/05/isolation-devastates-east-jerusalem-economy/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2013