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INTERNATIONAL/229: Kuba - Wirtschaftsreformen erschließen Zivilgesellschaft kleine Handlungsspielräume (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Oktober 2014

Kuba: Wirtschaftsreformen erschließen Zivilgesellschaft kleine Handlungsspielräume

von Ivet González


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Fahrgäste vor dem Kleinbus einer städtischen Transportkooperative, die innerhalb der Hauptstadt Havanna verschiedene Strecken bedient
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Cárdenas, Kuba, 21. Oktober (IPS) - Cafés, Immobilienbüros, Taxiunternehmen und andere privatwirtschaftliche Kleinbetriebe und Kooperativen füllen die angeschlagene Wirtschaft Kubas mit neuem Leben. Sie haben den Städten und Dörfern Inseln eines bescheidenen Wohlstands gebracht. Auch die Zivilgesellschaft profitiert.

"Wir erleben einen Moment, in dem sich etwas bewegt und den wir unbedingt nutzen sollten, um eine Richtung einzuschlagen, die der Gemeinschaft mehr Solidarität und Integration verspricht", meinte der Psychologe Ovidio D'Angelo auf dem Seminar 'Kuba: Souveränität und Zukunft', das vom 10. bis 11. Oktober in Cárdenas, einer Stadt 150 Kilometer östlich von Havanna, stattfand.

Kontrovers diskutierte Themen wie bürgerliche Souveränität standen im Zentrum der ersten Veranstaltung des jungen Projekts 'Cuba Posible', an der 64 Intellektuelle und Aktivisten aus fünf Provinzen teilnahmen.

Gefördert von der norwegischen Universität von Oslo geht Cuba Posible auf eine Idee der katholischen Laienpriester Roberto Veiga und Lenier González zurück, die von dem ökumenischen 'Christlichen Zentrum für Reflexion und Dialog - Kuba' mit Sitz in Cárdenas aufgegriffen wurde.

Die Bürgerinitiative befasst sich mit drängenden politischen Fragestellungen. Sie veranstaltet Seminare und editiert Hefte in gedruckter und digitaler Form zur Gegenwart und Zukunft Kubas.

Derzeit arbeiten 473.000 Menschen in 188 von der kubanischen Regierung genehmigten Arbeitsfeldern als Selbstständige, das sind 28.000 mehr als noch zu Anfang des Jahres. Deutlich mehr - fünf Millionen - werden vom kubanischen Staat beschäftigt.


Selbstständige und alternative Genossenschaften

Der Ministerrat hat der Gründung von 498 nicht-landwirtschaftlichen Kooperativen stattgegeben, von denen sich 283 bereits konstituiert haben. Diese genossenschaftlich organisierten Privatbetriebe sind seit 2012 erlaubt und in der Gastronomie, im Abfallrecycling, Transport und in anderen Bereichen tätig.

"Selbstständige und Kooperativen sind die Ausgangsbasis für eine offenere Zivilgesellschaft", meinte D'Angelo, der in dem Bereich forscht. Dem Experten am staatlichen Zentrum für psychologische und soziologische Untersuchungen in Havanna zufolge waren die privatwirtschaftlichen Unternehmen und die neuen Kooperativen zugelassen worden, um den aufgeblasenen Kostenapparat der Behörden abzuspecken und die Ineffizienz der staatlichen Betriebe zu verringern.

Als die Behörden 2010 über die Ausweitung des Privatsektors informierten, präsentierten sie die Strategie als Alternative für 50.000 Staatsbedienstete, die Ende 2011 entlassen werden sollten. Später gaben die staatlichen Medien bekannt, dass die Übergangszeit verlängert werde.

Seither wurden nur vereinzelt einige wenige Zahlen über den Prozess bekannt, den die Regierung als Reorganisation der Arbeit bezeichnet. Bekannt geworden ist, dass zwischen 2010 und 2013 109.000 Stellen im Gesundheitsbereich gestrichen wurden. Auch in der zentralen staatlichen Verwaltung und im Agrarministerium wurden Arbeitsplätze abgebaut.

D'Angelo ist der Meinung, dass sich angesichts der Umwälzungen Privatunternehmen und Kooperativen mit den Gemeinden besser vernetzen. Bisher war die bürgerliche Mitwirkung an den wirtschaftlichen Veränderungen eher formeller Natur, begrenzt, zweckmäßig und unregelmäßig.

Bild: © Ivet González/IPS

Teilnehmer des Seminars 'Kuba: Souveränität und Zukunft' in der kubanischen Stadt Cárdenas
Bild: © Ivet González/IPS

Wie er betonte, hat ein einziger Personenkreis entschieden, in welchen Bereichen sich die Bürger selbstständig machen durften. Er kritisierte, dass den Kubanern in dieser Frage keine Mitsprache eingeräumt worden sei, und dass die Gründung von Beratungsfirmen und anderen für Fachkräfte attraktiven Betätigungsfeldern gar nicht erst in Erwägung gezogen worden sei.


Harmonische Zusammenarbeit

"Seitdem die Wirtschaftsreformen durchgeführt werden, erleben wir eine Zeit der stabilen, friedlichen Beziehung mit den Behörden", betonte die CCRD-C-Chefin Rita María García. Die CCRD-C ist eine von mehr als 2.200 Organisationen, die als nationale Vereinigungen beim Justizministerium registriert und somit anerkannt sind.

"Inzwischen erfahren wir für unser soziales Engagement und die Gemeindearbeit in Bereichen wie Bildung und Umwelt sowie in den Gemeinden, die vom Staat vernachlässigt wurden, Wertschätzung", erklärte García, die auch dem Lenkungsausschuss von Cuba Posible angehört.

García zufolge hat der kubanische Staat inzwischen erkannt, dass er die wirtschaftlichen Probleme nicht allein tragen könne. Nun sollte die Regierung einsehen, dass sie auch bei der Bewältigung der sozialen Herausforderungen etwa bei der Betreuung älterer Menschen, Behinderter oder HIV-Positiver die Unterstützung der Zivilgesellschaft brauchen könnte.

Im Rahmen ihres 23-jährigen Engagements kümmert sich die CCRD-C in Zusammenarbeit mit lokalen Institutionen um ältere Menschen und berät Kinder, Jugendliche und Opfer sexueller Gewalt. Sie hat zudem mehr als 300 Biogasanlagen gebaut und setzt sich für agroökologische Landwirtschaft und Gleichheit ein.

Doch García hält den Handlungsspielraum, über den die CCRD-C und andere Einrichtungen verfügen, nicht für weitreichend genug. Auch warte man auf Veränderungen etwa am Vereinigungsgesetz von 1986. Seit Jahren wird gemunkelt, dass es modernisiert werden soll. Doch bisher ist unklar, wann die Reform erfolgt und wie weit sie gehen wird.

Nach derzeitigem Recht ist die Gründung von wissenschaftlichen, technischen, kulturellen, künstlerischen, sportlichen, religiösen, Freundschafts-, Solidaritäts- und anderen Verbänden zu Zwecken erlaubt, die von sozialem Interesse sind. Doch eine Registrierung beim Justizministerium von Aktivitäten, "die gegen soziale Interessen verstoßen könnten" oder die von einer anderen Vereinigung abgedeckt werden, ist ausgeschlossen.

"Zwar bietet sich uns inzwischen ein heterogeneres Bild als früher, doch sind die Möglichkeiten für bürgerliche Autonomie und die Vereinigungsfreiheit weiterhin begrenzt", bestätigt auch der Journalist und Aktivist Maykel González vom Regenbogen-Projekt, das sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzt, in einer E-Mail an IPS. Laut González haben die Reformen den Reifeprozess der Zivilgesellschaft beschleunigt. Was fehle, sei politische Bildung.

Oppositionsgruppen sind in Kuba nach wie vor illegal und werden von der Regierung als kleine Einheiten US-amerikanischer "Söldner" verunglimpft, die jeder sozialen Basis entbehrten und nur dank der logistischen und finanziellen Unterstützung aus Washington, dem ideologischen Erzfeind der letzten 50 Jahre, existieren könnten. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/10/sociedad-civil-se-abre-camino-entre-las-reformas-cubanas/
http://www.ipsnews.net/2014/10/civil-society-in-cuba-finds-more-space-under-the-reforms/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2014