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INTERNATIONAL/318: Neue Wege aus der Globalisierungskrise (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2017

We are the Champions
Exportweltmeister Deutschland: Erfolgsmodell oder Problem für den Rest der Welt?

Neue Wege aus der Globalisierungskrise
Ein kritischer Blick auf die deutsche G20-Präsidentschaft 2017

Von Klaus Schilder


Seit rund 3 Monaten hat Deutschland nun den Vorsitz der G20 - der Gruppe der reichsten Wirtschafts- und Industrienationen der Welt - inne. Und das in Zeiten, die kaum unruhiger sein könnten: Die Globalisierung steckt nach wie vor in einer handfesten Krise, Wohlstandgewinne sind weltweit immer ungleicher verteilt und die ökologische Krise spitzt sich vielerorts zu. Populistische, protektionistische und nationalistische PolitikerInnen nutzen diese globalisierungskritische Stimmung geschickt für ihre durchsichtigen propagandistischen Zwecke - in Europa und weltweit. Und nicht zuletzt ist in Deutschland 2017 Wahljahr und der G20-Gipfel im eigenen Lande ein willkommener Anlass für Kanzlerin Merkel, in Zeiten stagnierender Zustimmung für ihre Politik politische Führungsstärke zu beweisen. Zeit also für eine Zwischenbilanz der G20-Präsidentschaft - und Zeit, um auf die Aktivitäten der internationalen Zivilgesellschaft zu blicken.


Unter dem Motto "Eine vernetzte Welt gestalten" hat die deutsche Bundesregierung und amtierende G20-Präsidentschaft scheinbar anerkannt, dass ein einfaches "Weiter so!" nicht ausreicht, um angesichts der unerfüllten Wohlstandversprechen und wachsender Ungleichheiten für Millionen von Menschen die Akzeptanz für weltweite Liberalisierungen und Deregulierungen zu erhöhen. Die Zeiten haben sich geändert und die bisherige Globalisierung befindet sich in den Augen vieler politischer BeobachterInnen an einem Wendepunkt; zukünftige Richtung unbekannt. Das Selbstverständnis der G20 unter dem Vorsitz Deutschlands 2017 ist klar: Die G20, ein informeller Club der reichsten Nationen der Welt, spielt eine bedeutende Rolle bei der Überwindung der globalen Krisen und der Stabilisierung der Weltwirtschaft. Denn seit der Finanzkrise 2008 hat die G20 zum Teil umfängliche Regulierungen für Banken und andere Finanzakteure umgesetzt sowie ein umfassendes Programm gegen Unternehmenssteuervermeidung beschlossen. Allerdings blieben die systemischen Risiken der Finanzmärkte in dem Maße weiter bestehen, indem der Reformwille der G20 nachließ. Zudem setzte die G20 in anderen Politikfeldern weiter auf eine weitgehend auf Liberalisierung, ungebremsten Ressourcenverbrauch und Deregulierung aufbauenden Wirtschafts- und Finanzpolitik, die der Schaffung eines gerechten und nachhaltigen Finanzsystems im Sinne der Agenda 2030 entgegenstehen. Deutschland hat 2017 die Chance, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der G20 wieder stärker an den Erfordernissen nachhaltiger Entwicklung auszurichten.

Die Agenda der deutschen G20-Präsidentschaft ruht auf 3 thematischen Säulen: 1. die Stabilität und Widerstandfähigkeit der Weltwirtschaft durch nachhaltiges, ausgeglichenes und inklusives Wachstum zu erhöhen, 2. die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit in allen Politikfeldern zu erhöhen und 3. stärkere Verantwortung für globalen Frieden, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung zu übernehmen. Das Spektrum der Themen wird von Jahr zu Jahr breiter: Es reicht von der Regulierung der Finanzmärkte über die Stärkung wirtschaftlicher Widerstandsfähigkeit, Schaffung von Arbeitsplätzen und Reformen im internationalen Steuerregime bis hin zu gemeinsamen Ansätzen im internationalen Klima- und Energieregime und der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Kaum ein Thema, das nicht genannt ist.

Doch die Wirklichkeit zeichnet ein anderes Bild: Die Politiken der G20 wirken aus Sicht armer und marginalisierter Menschen in vielen Gesellschaften krisenverschärfend anstatt transformativ und gerechtigkeitsorientiert. Die G20 werden in vielerlei Hinsicht eher als Teil des Problems denn als Teil der Lösung wahrgenommen. Zudem erscheint fraglich, wie die deutsche Präsidentschaft in Zeiten eines auf Populismus bauenden US-Präsidenten und eines auf Selbstermächtigung zielenden türkischen Präsidenten politische Mehrheiten für ihre Vorhaben schaffen will. Denn mehr denn je scheinen die Zeichen der Zeit auf dem internationalen politischen Parkett auf Konfrontation statt auf Kooperation zu stehen.

Civil20 - Für eine andere Globalisierung

Die im Civil20 (C20) - dem zivilgesellschaftlichen Begleitprozess der G20-Politik - organisierte internationale Zivilgesellschaft fordert daher eine grundlegende Neugestaltung der Globalisierung. Dazu hat die C20 jetzt Politikempfehlungen für einen radikalen Wandel erarbeitet:

Für ein gerechteres Finanz- und Steuersystem

Um die Stabilität der Finanzmärkte zu erhöhen, fordern die C20 die G20 auf, sich gegen eine weitere Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu wenden, Schattenbanken wirksamer zu regulieren und klimabezogene Risiken von ökologischen Anleihen offenzulegen. Zudem ist es überfällig, die internationale Steuerpolitik transparent und gerecht zu gestalten.

Für nachhaltige und klimagerechte Infrastrukturfinanzierung

Um die Finanzwirtschaft gemäß den globalen Nachhaltigkeitszielen auszurichten, fordern die C20, die verpflichtende Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Risiken öffentlicher und privater Investitionen durchzusetzen. Private Investitionsflüsse müssen an die verbindliche Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gebunden werden.

Für starke öffentliche Gesundheitssysteme

Das Recht auf Gesundheit erfordert eine nachhaltige und gerechte Gesundheitspolitik, die Gesundheitssysteme stärkt und die allgemeine Krankenversicherung verbreitert. Zu diesem Zweck sollten die G20 die Weltgesundheitsorganisation stärken, multilaterale Initiativen wie den Global Fund unterstützen und effektive Vorsorge gegen die Ausbreitung von Pandemien treffen.

Für das Recht auf Wasser und eine intakte Umwelt

Der Zugang zu Wasser, Sanitärversorgung und einer intakten Umwelt für alle Menschen ist ein Menschenrecht. Die G20 müssen sich daher zur absoluten Reduzierung der Beanspruchung der natürlichen Ressource Wasser verpflichten, auf weitere Privatisierungen verzichten und den Menschen wieder den vollumfassenden Zugang zur Ressource Wasser ermöglichen.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz

Die G20-Staaten müssen eine rasche und ambitionierte Umsetzung der Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz vorantreiben und verlässliche Pläne für eine kohlenstofffreie Wirtschaft entwerfen. Zudem gilt es, die Widerstandsfähigkeit insbesondere armer und verletzlicher Bevölkerungsgruppen gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu stärken und Infrastrukturinvestitionen nachhaltig, klimaresilient und armutsorientiert zu machen.

Ungleichheiten verringern, Geschlechtergerechtigkeit durchsetzen

Die Achtung und der Schutz der Menschenrechte sind ebenso bedeutend wie die umfassende Beteiligung der Zivilgesellschaft an politischen Entscheidungsprozessen. Insbesondere gilt es, durch die explizite Ausrichtung aktiver Umverteilungspolitiken sicherzustellen, dass die Ärmsten und Ausgegrenzten in der Gesellschaft von der G20-Politik profitieren. Die Verankerung von Geschlechtergerechtigkeit erfordert neben der Stärkung der Rechte von Frauen eine gendersensitive Haushaltsführung sowie den Abbau von Diskriminierungen aller Art.

Die Alternativen zu einer neoliberalen Globalisierung sind vielfältig, so die Kernbotschaft der C20. Die G20 können Teil der Lösung sein, ein radikales Umsteuern in zentralen Politikbereichen vorausgesetzt. Allem voran darf der Glaube an ein weiteres Wachstum der G20-Volkswirtschaften nicht als Allheilmittel gelten, denn dies steht im eklatanten Widerspruch zu den Zielen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und den überbeanspruchten ökologischen Belastungsgrenzen unseres Planeten. Dieser Widerspruch ist von den G20 bislang nicht aufgelöst. Und auch in einem anderen Bereich sind die G20 weiter denn je davon entfernt, international ein gutes Beispiel zu setzen: Statt politische Spielräume für das Recht auf freie Meinungsäußerung der Zivilgesellschaft in einigen der G20-Mitgliedstaaten einzuengen, sollten die G20 allen zivilgesellschaftlichen Gruppen ermöglichen, ihre Interessen frei und ungehindert in die politischen Entscheidungsprozesse einbringen zu können - national wie international. Gleichzeitig müssen die politischen und bürgerlichen Rechte und die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft als höchstes demokratisches Gut in den G20-Ländern und darüber hinaus uneingeschränkt geachtet werden.

Vom 17. bis 18. Juni 2017 richtet die Civil20 in Hamburg das internationale C20-Gipfeltreffen aus, zu dem neben 300 Mitwirkenden des C20-Prozesses eine Reihe von VertreterInnen lokaler Organisationen, die sich kritisch mit der Politik der G20 auseinandersetzen, eingeladen werden. Kurz darauf bietet der Gipfel der Globalen Solidarität vom 5. bis 6. Juli 2017 in Hamburg einen Ort zur Diskussion gelebter Alternativen. Denn neue und andere Wege aus der Globalisierungskrise sind möglich, davon ist die internationale Zivilgesellschaft überzeugt.


Autor Dr. Klaus Schilder ist Politikreferent beim Bischöflichen Hilfswerk MISEREOR in Berlin und Mitglied im Steuerungskreis der Civil20.

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Quelle:
Rundbrief 1/2017, Seite 23 - 24
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2017

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