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MELDUNG/727: Hans-Böckler-Stiftung - Der Aufschwung geht weiter und gewinnt etwas an Breite (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 30.03.2017

Neue Prognose des IMK: Der Aufschwung geht weiter und gewinnt etwas an Breite

Konjunktur robust, doch Sorgen um Brexit und Trump


Die deutsche Wirtschaft bleibt für weitere zwei Jahre in einem moderaten Aufschwung - gestützt auf einen robusten privaten Konsum und etwas anziehende Investitionen sowie weitere fiskalische Impulse. Im Jahresdurchschnitt 2017 wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,3 Prozent wachsen, 2018 um durchschnittlich 1,8 Prozent. Dabei bleibt die Wachstumsdynamik gleich - der niedrigere Durchschnittswert in diesem Jahr beruht darauf, dass mehr Feiertage auf einen Wochentag fallen.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt entwickelt sich weiter positiv: Die Zahl der Erwerbstätigen steigt auf deutlich über 44 Millionen. Obwohl das Arbeitskräfteangebot durch die Zuwanderung spürbar wächst, geht die Arbeitslosigkeit kontinuierlich zurück, die Arbeitslosenquote ist mit jahresdurchschnittlich 5,8 Prozent 2017 und 5,6 Prozent 2018 auf dem niedrigsten Stand seit der deutschen Vereinigung. Dagegen ist die Unterbeschäftigung zuletzt etwas gestiegen, weil Geflüchtete zunehmend Qualifizierungsmaßnahmen durchlaufen (mehr Details und Zitat dazu unten). Zu diesem Ergebnis kommt die neue Konjunkturprognose, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorstellt.(*)

"Der Aufschwung geht weiter, und er gewinnt sogar etwas an Breite", sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Die Inlandsnachfrage wird nach Analyse der Forscher weiterhin wesentlich durch Lohnsteigerungen getragen. Die lassen unter Wahrung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit die Kaufkraft der Beschäftigten steigen, was den privaten Konsum und auch die Beschäftigung antreibt. "Dieser Effekt schwächt sich zwar ab, weil die Reallöhne bei höherer Teuerung in diesem und im kommenden Jahr weniger stark steigen. Anziehende Investitionen und robuste Exporte kompensieren diesen Rückgang aber", erklärt Horn. Da die Importe stärker steigen als die Ausfuhren, leistet der Außenhandel per saldo allerdings einen negativen Beitrag zur BIP-Entwicklung. "Dabei gilt: Was auf den ersten Blick unerfreulich aussehen mag, ist wirtschaftlich sehr sinnvoll. Nach dem erneuten Höchstwert 2016 ist es dringend notwendig, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss reduziert wird", so Horn. Das verbessere auch die deutsche Position in der Auseinandersetzung mit der US-Regierung etwas (weiteres Zitat dazu am Ende der PM).

Gegenüber seiner Vorhersage vom Dezember 2016 hebt das IMK die Wachstumsprognose für 2017 minimal um 0,1 Prozentpunkte an. Für 2018 gibt es erstmals eine Prognose ab.

Die Risiken: Überzogene Wende in der Geldpolitik, Trump, Brexit

Trotz ihres insgesamt positiven Konjunkturausblicks warnen die Düsseldorfer Konjunkturforscher vor erheblichen globalen Risiken. Für die USA prognostizieren sie 2017 und 2018 zwar eine leichte Wachstumsbeschleunigung (2,0 bzw. 2,2 Prozent). Sowohl eine zu weitgehende geldpolitische Straffung durch die US-Notenbank als auch mögliche Handelsbeschränkungen durch die Trump-Administration könnten die weltweite und die Konjunktur in Deutschland aber treffen. Gleiches gelte für einen voreiligen Ausstieg der Europäischen Zentralbank aus ihrer expansiven Geldpolitik, die die behutsame wirtschaftliche Erholung im Euroraum (durchschnittliche Wachstumsrate in beiden Jahren 1,6 Prozent) abwürgen könnte und für mögliche Folgen des Brexits.

China, Indien, Russland, Brasilien, Türkei: Entwicklung uneinheitlich

Für die großen Schwellenländer erwartet das IMK unter dem Strich nur eine geringfügige Wachstumsbelebung, wobei die Tendenzen sehr unterschiedlich sind: In China dürfte das Wachstum weiter zurückgehen auf 6,3 Prozent in diesem und 5,9 Prozent im kommenden Jahr. Indien wird durch die chaotisch verlaufene Bargeldreform laut IMK leichte Wachstumsverluste erleiden. Und während Russland durch die Erholung der Rohstoffpreise aus der Rezession kommt, wird das in Brasilien noch bis 2018 dauern. In der Türkei "drohen nach den jüngsten innenpolitischen Entwicklungen massive Einbußen im Tourismus und damit deutliche Wachstumsverluste", schreiben die Ökonomen (Daten zu allen Ländern in Tabelle 1 des IMK-Reports; Link unten).


Kerndaten der Prognose (siehe auch Tabelle 8 im Report):

Arbeitsmarkt
Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland nimmt weiter kräftig zu - um knapp 500.000 auf 44,09 Millionen im Jahresdurchschnitt 2017 und weitere gut 430.000 im Jahresmittel 2018. Das entspricht einem Zuwachs um 1,1 Prozent und 1,0 Prozent. Obwohl mehr anerkannte Asylbewerber und andere Zuwanderer auf den Arbeitsmarkt kommen, sinkt die Arbeitslosigkeit weiter spürbar: Für 2017 erwarten die Forscher einen Rückgang um gut 110.000 Personen, so dass im Jahresdurchschnitt rund 2,58 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Für 2018 erwartet das IMK, dass die Arbeitslosenzahl um jahresdurchschnittlich rund 80.000 auf etwa 2,49 Millionen Personen sinkt. Die Arbeitslosenquote beträgt in diesem Jahr 5,8 und im kommenden Jahr 5,6 Prozent. Die Zahl der Unterbeschäftigten, zu denen neben den arbeitslos gemeldeten Personen auch Menschen gezählt werden, die in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder kurzzeitig arbeitsunfähig sind, ist hingegen vor allem durch mehr anerkannte Asylbewerber in Qualifikationsprogrammen zuletzt etwas gestiegen: Im Februar 2017 lag sie bei knapp 3,8 Millionen Personen - 50.000 oder rund 1,4 Prozent mehr als im Februar 2016.

Außenhandel
Das globale Wirtschaftswachstum ist im Prognosezeitraum insgesamt mäßig. Vor diesem Hintergrund behaupten sich die deutschen Ausfuhren gut. Sie nehmen im Jahresdurchschnitt 2017 um 3,6 Prozent und im Jahresmittel 2018 um 4,2 Prozent zu. Die Importe wachsen infolge der robusten deutschen Binnennachfrage in beiden Jahren kräftiger als die Ausfuhren: jahresdurchschnittlich um 5,6 und 5,2 Prozent. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss wird also leicht sinken, bleibt aber weiterhin sehr hoch.

Investitionen
Trotz historisch niedriger Zinsen und einer hohen Kapazitätsauslastung vieler Unternehmen entwickeln sich die Investitionen im Jahresdurchschnitt 2017 noch schwach: Die Unternehmen dürften ihre Ausrüstungsinvestitionen um gerade einmal 0,8 Prozent ausweiten. 2018 zieht die Quote immerhin auf 3,6 Prozent an. Da die Nachfrage nach Wohnraum groß bleibt und auch die öffentliche Hand vermehrt baut, entwickeln sich die Bauinvestitionen besser: 2017 legen sie im Jahresmittel um 2,6 Prozent zu, 2018 um 3,6 Prozent.

Einkommen und Konsum
Der private Konsum bleibt wesentlicher Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, sein Zuwachs wird sich in diesem Jahr aber abschwächen. Wesentlicher Grund dafür ist, dass bei moderaten nominalen Lohnzuwächsen die Inflation nicht mehr so extrem niedrig sein wird wie zuletzt. Die verfügbaren Einkommen nehmen 2017 real um durchschnittlich 1,1 Prozent zu, 2018 um 1,4 Prozent. Die Sparquote sinkt leicht. Die realen privaten Konsumausgaben wachsen 2016 um 1,2 Prozent, 2018 um 1,5 Prozent.

Inflation und öffentliche Finanzen
Die allgemeine Preisentwicklung in Deutschland ist vor allem durch den höheren Ölpreis deutlich stärker als in den Vorjahren, sie erreicht 2017 mit 1,8 Prozent aber gerade einmal knapp das EZB-Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent. 2018 geht die Inflationsrate dann wieder auf 1,6 Prozent leicht zurück.

Der moderate Aufschwung sorgt mit seiner Binnenfundierung für Einnahmeüberschüsse bei Gebietskörperschaften und Sozialkassen. Da die Steuereinnahmen aber etwas langsamer steigen als in den Vorjahren und die öffentliche Hand für Sozialleistungen (vor allem Pflege und Flüchtlinge) sowie Investitionen mehr ausgibt, fällt der Überschuss im Staatsbudget kleiner aus: 2017 beträgt der Budgetsaldo 0,4 Prozent des BIP, 2018 sind es 0,3 Prozent.


O-Töne zur Studie

Prof. Dr. Gustav A. Horn, wissenschaftlicher Direktor des IMK: "Der moderate Aufschwung in Deutschland geht ins vierte und fünfte Jahr. Wenn die Löhne weiter spürbar steigen, die Beschäftigung wächst und der Staat mehr Geld in die Hand nimmt, kommen auch die Investitionen langsam wieder in Gang. Sorgen machen uns der Brexit und die Politik von Donald Trump. Es ist noch völlig offen, ob es bei einem Wetterleuchten bleibt, das vorüberzieht, oder ob sich da ein Gewitter nähert."

Dr. Alexander Herzog-Stein, Arbeitsmarktexperte: "Der deutsche Arbeitsmarkt kommt bislang mit der starken Zuwanderung gut zurecht. Die Arbeitslosigkeit sinkt weiter spürbar. Das liegt einerseits am dynamischen Beschäftigungsaufbau. Andererseits daran, dass der Staat auf den verstärkten Arbeitsmarktzugang von Geflüchteten mit einer Ausweitung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen reagiert hat. Das ist völlig richtig, weil diese Menschen viel Qualifizierung brauchen, um in Arbeit zu kommen. Dass die Unterbeschäftigung zuletzt gestiegen ist, stellt die insgesamt positive Bilanz daher nicht in Frage."


Weitere Informationen unter:
https://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_123_2017.pdf
- (*) Alexander Herzog-Stein, Peter Hohlfeld, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Thomas Theobald, Silke Tober, Sebastian Watzka: Aufschwung setzt sich fort. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2017/2018. IMK Report Nr. 123, März 2016.
https://youtu.be/JAROJGazfYI
Videostatement von IMK-Konjunkturforscher Peter Hohlfeld zur Prognose

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution621

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 30.03.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2017

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