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MARKT/1473: Auf Talfahrt - Zur Krise der europäischen Autoindustrie (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 9 vom 1. März 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Auf Talfahrt
Zur Krise der europäischen Autoindustrie

von Klaus Wagener



Standortschließung und Erpressung in Bochum. Milliardeninvestitionen in Südkorea. Die Strategie international agierender Großkonzerne, wie General Motors, kennt weder Zusagen und Beschäftigungssicherheit. Hier zählen Profit und strategische Standortpositionierung. Während Europa in die Depression absinkt, traut man den Schwellenländern Asiens noch einiges an Expansion zu. Hier dabei zu sein, ist für die Herren in Detroit ebenso ein Muss, wie für jene in Wolfsburg, München oder Stuttgart.

Der Detroiter Gigant, nach Umsatz (150,3 Mrd. Dollar in 2012) noch immer die Nummer Drei der Autowelt, nach VW (254,2 Mrd. Dollar) und Toyota (226,1 Mrd. Dollar), liegt dank massiver Geldspritzen aus dem US-Finanzministerium wieder auf Gewinnkurs.

Zum bereinigten Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) von 7,9 Mrd. Dollar in 2012 hat GM-Europe nach Konzernangaben immerhin 1,8 Mrd. Dollar (23 Prozent) beigetragen. Eigentlich kein Grund nervös zu werden. Das in der Außendarstellung vermittelte Bild des europäischen "Fass ohne Boden" wird durch die eigenen Zahlen zumindest nicht gestützt. Das hält den Konzern natürlich nicht davon ab, die Opel-Belegschaft mit der Stilllegungskeule zu weiteren Zugeständnissen zu erpressen und gleichzeitig Gewinne in den Standort Südkorea zu investieren. Dort soll das erste vollelektrische Auto von GM produziert werden. Während dem "Standort Deutschland" die großen und teuren Spritschlucker als Sumpfblüten einer überlebten Zeit verbleiben, dürfte die automobile Zukunft in Asien entwickelt werden. Von der Idee der Kanzlerin, 1 Mio. Elektroautos bis 2020 auf die Straßen zu bringen, ist die Bundesrepublik so weit entfernt wie von der Energiewende. Zwar kann man über die Ökobilanz von E-Autos streiten, der Vorteil, auch regenerative Energien, so sie vorhanden sind, nutzen und vor allem speichern zu können, ist nicht so einfach aus der Welt zu diskutieren. Das allerdings würde erhebliche technologische Innovation bei den Fahrzeugen selbst, aber auch bei der Entwicklung intelligenter Netzinfrastrukturen voraussetzen. Ein fast aussichtsloses Unterfangen in Zeiten, in denen der Share-Holder-Value die Konzernpolitik bestimmt und die üblicherweise einspringenden öffentlichen Kassen überschuldet sind. Bislang gibt es nicht einmal einen einheitlichen Stecker.

Kein Wunder, dass von vielen allenfalls China der Sprung in die Elektromobilität zugetraut wird. Ein Land, das in knapp 10 Jahren ein Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz von fast 10.000 km aus dem Boden zu stampfen vermag, dürfte wohl am ehesten in der Lage sein, die Ressourcen für die nicht unbeträchtlichen technologischen und infrastrukturellen Hürden zu mobilisieren. Nicht, dass diese Ressourcen im "Westen", also den hochentwickelten kapitalistischen Kernstaaten, nicht vorhanden wären, die anlagesuchende Kapitalschwemme nimmt immer gewaltigere Dimensionen an, aber sie sind aufgrund der Profitlogik und der neoliberalen Austeritätsdiktate nicht mobilisierbar. Mit weitreichenden Folgen. Wie in anderen Schlüsseltechnologien, z. B. der Informationstechnologie, dürfte ein Wechsel in der Technologieführerschaft zu den aufstrebenden asiatischen Staaten auch in der Automobilindustrie nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Die mit der Weltwirtschaftskrise einhergehende Krise der Automobilindustrie konnte in vielen Staaten zunächst durch staatliche Stützungsprogramme (Abwrackprämien) gemildert werden. In der Eurozone macht sich nun aber der zweite Konjunktureinbruch und eine rapide steigenden Arbeitslosigkeit bemerkbar. Die von Bundesregierung und Bundesbank diktierten Austeritätsprogramme entfalten sukzessive ihre volle prozyklische Wirksamkeit. Und wie an der Berichterstattung über die Italienwahl erkennbar, hofft der publizistische Mainstream - nicht ohne Grund - es möge noch möglichst lange so weitergehen.

Mittlerweile meldet das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) selbst für die "Konjunkturlokomotive Deutschland", bei den Pkw-Neuzulassungen in Januar 2013, verglichen mit dem Vorjahresmonat, ein Minus von 8,6 Prozent. Sogar der Krisengewinnler VW musste einen Verkaufs-Rückgang von 13,3 Prozent hinnehmen. Die deutsche Zulassungskurve, abgesehen von "Wiedervereinigungs-" und Abwrackprämienboom, seit zwanzig Jahren flach wie ein Brett, neigt sich erkennbar nach unten. Das sieht im Süden Europas naturgemäß schlechter aus. In Frankreich ist die Produktion von Pkw und leichte Nutzfahrzeuge 2012 um 16,4 Prozent zum Vorjahr eingebrochen. Zum Hoch in 2004 hat sie sich nahezu halbiert. Der 5-Mrd.-Rekord-Verlust von PSA Peugeot Citroen kommt nicht von ungefähr. Renault konnte nur Dank seiner Nissan-Beteiligung und seiner Finanzgeschäfte den operativen Verlust auf 25 Mio. Euro begrenzen.

Unmissverständlich abwärts geht es auch in Italien. Während das ehemalige Autoland Anfang der 1990er Jahre noch fast 2 Mio. Pkw produzierte, sank die Produktion in 2012 auf 396 000, etwa ein Fünftel. (Im gleichen Zeitraum hat die Volksrepublik ihre Automobil-Produktion etwa verzwanzigfacht.) Fiat konnte nur dank seiner Luxusmarken (Ferrari, Maserati) und seiner konsequenten Internationalisierung; und konkret in 2012, aufgrund der wieder sprudelnden Gewinne des Daimler-Milliardengrabs Chrysler einen Ebit von 3,6 Mrd. Euro ausweisen. Laut europäischem Automobilherstellerverband ACEA sanken im Januar 2013, im Vergleich zum Vorjahresmonat, die Zulassungszahlen in 19 von 26 EU-Staaten. Zum Teil drastisch (Niederlande -31,2 Prozent, Griechenland -4,5 Prozent). Selbst die Schweiz lag mit -10,1 Prozent noch deutlich auf Schrumpfkurs. Für die gesamte EU-27 lag der Wert im Vergleichszeitraum bei -8,7 Prozent. Die europäischen Automobilbauer zahlen die Zeche der asozialen Berliner Austeritätspolitik. Der Pkw-Gesamtmarkt in der EU-27 schrumpfte von 15,5 Mio. in 2007 bis heute um mehr als 2 Mio. Einheiten. Die Kfz-Weltjahresproduktion (Pkw, Lkw, Busse) liegt bei 80 Mio. Einheiten. Derzeit bewegen sich weltweit mehr als 1,1 Mrd. Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Diese gigantische Flotte verbraucht etwa die Hälfte der gesamten Erdölförderung bzw. 26 Prozent der globalen Erdenergie. Die globale CO2-Emission (aus energetischer Nutzung) liegt bei 34 Gigatonnen (Mrd. Tonnen). In Deutschland zeichnet der Straßenverkehr für 20 Prozent der CO2-Produktion verantwortlich. Inklusive der Kfz-Produktion für etwa ein Drittel. Bis 2030 dürfte sich die globale Kfz-Flotte mehr als verdoppelt haben. Angesichts der zur Neige gehenden Ressourcen und der klimatischen Veränderungen ein nicht gerade sympathisches Szenario.

Beim KBA meldete am 15. Januar 2013 Deutschland einen Kfz-Bestand von 52,4 Millionen. Die Auswirkungen dieser hohen Individualverkehrsdichte ist auf den Autobahnen und in den Städten kaum zu übersehen. Statt den Weg in den Verkehrsinfarkt weiter zielstrebig zu verfolgen wären Investitionen in Energie-, Zeit- und Ressourcen sparende alternative Verkehrskonzepte und die dazu erforderliche Hardware zukunftweisend.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 9 vom 1. März 2013 2013, Seite 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2013