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MEINUNG/024: "Wege aus der Staatsverschuldung" aus linker sowie makroökonomischer Sichtweise (Karl Mai)


"Wege aus der Staatsverschuldung" aus aktueller linker sowie makroökonomischer Sichtweise

Kritischer Überblick

von Karl Mai, 25. März 2013



Wer gehofft hat, dass dieses Thema einer baldigen oder raschen politischen EWU-weiten Lösung zugeführt wird, sieht sich zumeist einer gründlichen Desillusionierung oder sogar Entmutigung ausgeliefert. Ohne die wirtschaftliche Stabilität in der gesamten EWU zu untergraben, ohne die nationalen EWU-weiten Außenwirtschaftsungleichgewichte zwischen den zugehörigen Staaten gleichzeitig gezielt aufzulösen, und dabei schrittweise den unterdurchschnittlichen Lebensstandard zu erhöhen und dabei die Verarmungstendenzen großer Bevölkerungsgruppen weiter zu forcieren, ist die dominierende neoliberale Wirtschaftspolitik mit ihrem Latein am Ende.

Aus dem Scheitern der bisherigen Bemühungen um eine "gesamteuropäische", also nationalstaatlich einvernehmliche Problemlösung resultiert zunehmende Mutlosigkeit bis zur Resignation, motivieren sich nationalistische "Auswüchse" und rechtsradikale Tendenzen.

Was besagen die letzten bzw. aktuellen Vorschläge aus linker und (oder) makroökonomischer Sichtweise? Werfen wir einen ausgewählten Blick in die jüngste Literatur:


1. Zu Jürgen Leibigers komplexer Studie
(1)

In dieser Studie kommentiert Leibiger zunächst die Genesis der EWU-Staathaushaltsdefizite (oder der sogenannten "Euro-Krise"), auf deren Wiedergabe hier von mir verzichtet wird, und bewertet danach die erkennbaren Differenzen innerhalb der "Linken" bzw. des zugehörigen Diskussionsspektrums.

"Im linken Spektrum zeigt sich zwar eine Reihe gemeinsamer Grundpositionen, aber im Detail existieren beträchtliche Unterschiede [...] Dies war zum Beispiel in der Frage, ob ein Schuldenschnitt sinnvoll ist, zwischen Rudolf Hickel und Heiner Flassbeck oder auch in der jungen Welt zwischen Lucas Zeise und Andreas Wehr oder innerhalb der Bundestagsfraktion DIE LINKE der Fall." (S. 90) "Welche grundsätzlichen Positionen zur Zukunft des Euro und der Euro-Zone lassen sich im linken Spektrum also unterscheiden?", fragt Leibiger.

Nach einer Aufzählung der Standpunkte einiger Autoren "ergeben sich gemeinsame Forderungen, wie die Beendigung des Austeritätskurses und der Beggar-My-Neighbour-Politik (2) der exportstarken Nationen sowie des undemokratischen Prozedere der gegenwärtig in Europa politischen hegemonialen Kräfte." (S. 91) Dann folgen Forderungen nach strikter Regulierung der Finanzmärkte, Stärkung des Binnenmarktes mittels Lohnsteigerungen, nach Forderung einer Transferunion zwischen den Euroländern zwecks finanzieller Ausgleichung der Ungleichgewichte im Außenhandel sowie nach mehr Demokratie in den europäischen Institutionen.

Eine große Zustimmung in der Linken entstand - nach Leibiger - für die Rettung des Euro-System dadurch, dass die "sozialen Kosten der Auflösung der Euro-Zone [...] unkalkulierbar hoch" (S. 92) seien. Es "stellt sich also die Frage, ob ein sozial integriertes Europa gewollt ist und ob man die Krise des Euro als Chance für eine Forderung nach einem Umbau nutzen will... Von den Kräften, welche die gegenwärtige desaströse Euro-Politik zu verantworten haben, ist ein harmonischer Rückbau nicht zu erwarten." (S. 93) Ein neoliberal gesteuerter "Rückbau" würde absehbar chaotisch verlaufen.

Diese gegenwärtigen neoliberalen "Kräfteverhältnisse ließen es mit Sicherheit auch nicht zu, linke Vorstellungen von einem geordneten Rückzug aus dem Euro zu verwirklichen", fährt Leibiger fort. Den Linken fehle es "nach wie vor an einer 'konsistenten Vorstellung einer europäischen Einigung jenseits des neoliberalen Modells'", zitiert Leibiger (S. 94) einen anderen kritischen Autor vor dem Schluss seiner Analyse. "Die meisten Autoren, die den Erhalt des Euro und seine Reformierung fordern, äußern sich zu den Durchsetzungschancen für eine solche Reformpolitik nicht oder sind eher pessimistisch", befindet Leibiger für das wissenschaftliche "Umfeld" seiner kompetenten Bewertung. (S. 94)

Abschließend noch eine erklärende Rückschau Leibigers auf die primären Motive der EWU: "Der europäische Markt sollte brutal geöffnet werden. Man wollte neue Möglichkeiten schaffen, mittels des Standort-Arguments Druck auf Löhne, Sozialabgaben und Steuern sowie die Politik überhaupt auszuüben Das Zentralbank-Statut und die so genannten Konvergenzkriterien der Euro-Zone dienten keineswegs einer ökonomischen oder womöglich politischen Konvergenz." (S. 5) Das erhellt die aktuellen Schwierigkeiten der politischen Institutionen in der EWU bei dem Versuch, den sichtbaren Konsequenzen dieser neoliberalen Wirtschaftspolitik zu entrinnen, ohne sie im Kern (und damit ihre derzeitigen einseitigen Vorzüge für die dominante Finanzoligarchie) aufzugeben.


2. Zu Johannes Schmidts Fundamental-Studie über die volkswirtschaftliche Saldenmechanik
(3)

Johannes Schmidt wendet sich vehement gegen die begrifflichen Verwirrungen bei "Sparen" gemäß seiner Bezugnahme auf die volkswirtschaftlichen Saldenmechanik. Nach diesen Grundsätzen müssen sich die jährlichen finanziellen Überschüsse und Defizite der vier Sektoren "Private Haushalte", "Unternehmen", "Staat" und "Ausland" immer zu Null ausgleichen. Von den jährlichen Finanzierungsgrößen unterscheiden sich grundsätzlich die Bestandsgrößen der Vermögensbildung, die sich ihrerseits ebenfalls immer zu Null rechnen: Bleiben die reinen Geldvermögen der "Privaten Haushalte", der "Unternehmen" sowie gegenüber dem "Ausland" im Überschuss, muss sich der "Staat" entsprechend ausgleichend hoch verschulden, d.h. den Staatsschulden stehen immer entsprechend hohe reine Geldvermögen in den anderen Sektoren gegenüber. Oder auch: Je höher der Bestand an Staatsschulden sowie Bestände an reinem Geldvermögen der "Privaten Haushalte" und der "Unternehmen", desto höher die Bestände an reinen Geldvermögen im "Ausland", die hauptsächlich durch die jährlichen Exportüberschüsse laufend gebildet werden. (Vergleiche die zu diesem Text erfolgten formelmäßigen Darstellungen → Anhang.) Hieraus folgt auch, dass ein hoher Auslandsanteil innerhalb der fiskalischen Staatsschulden (4) die Wirkung haben muss, dass die inländischen Sektoren über ihre originären Überschüsse hinaus sich mit den dadurch überhöhten positiven Leistungsbilanzsalden doch wieder zu Null ausgleichen. (Außerdem fließen enorme Soll-Zinsbeträge ins Ausland ab.)

Gründlich kritisiert Schmidt die verkürzte Denkweise der neoliberalen Ökonomen durch die Vernachlässigung oder Ignorierung der wissenschaftlich anerkannten makroökonomischen Lehrbuch-Saldenmechanik (→ Anhang). Schmidt zeigt analytisch, wie deren Ignorierung zu falschen und dramatischen Fehlbewertungen führt und die gewünschte Politikberatung in eine falsche Richtung führt. Er betont: Es "muss der Versuch aller Wirtschaftssubjekte, vermehrt Geldvermögen zu bilden, ohne Zweifel zu einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Aktivität führen. Die europaweite Einführung von Schuldenbremsen oder die immer stärkere Kapitaldeckung der Rentensysteme sind Schritte in diese - falsche - Richtung." (S. 83) Damit ist seine fundamentale Kritik der gegenwärtigen neoliberalen Staatshaushalts- und Finanzpolitik umrissen, an der auch die amtierende Bundesregierung absolut vorbeigeht.

Zusammengefasst führt Schmidt dann nochmals aus: "Unter Berücksichtigung der saldenmechanischen Zusammenhänge würde es demgegenüber naheliegen, Förderungen der Geldvermögensbildung zu vermeiden, demgegenüber stärker die Bildung von Sachvermögen, sprich Investitionen, zu fördern und den Abbau des staatlichen Finanzierungsdefizits in einen Zusammenhang zu bringen mit dem Abbau von Überschüssen und Defiziten im Außenhandel. (Hervorhebung durch mich - K.M.) In diesem Sinne wäre dann in Europa zweifellos eine größere Koordination der Wirtschaftspolitik erforderlich." (S. 83)


3. Zu Heiner Flassbecks grundsätzlicher Gesamtkritik
(5)

Heiner Flassbeck hat seine makroökonomische Kritik an der EWU primär an der Frage der Außenhandelsungleichgewichte logisch ausgerichtet. Er beklagt daher:

"Seit Jahren sitzen die deutschen Unternehmen auf extrem hohen Gewinnen aus dem Exportgeschäft, die sie jedoch lieber zur Bank getragen als in Sachanlagen investiert haben". (S. 2) Dies hat zur Entstehung von überschießenden "Finanzblasen" geführt.

Dazu hat natürlich ursächlich beigetragen, dass die Renditen im Sachkapital (unter dem neoliberalen Regime der Finanzoligarchie) erheblich niedriger blieben oder begrenzt wurden als die Renditen auf dem reinen Finanzsektor. Daraus resultiert die spezifische korrigierende Grundforderung an die Länder mit Exportüberschüssen, ihre egoistischen Profitinteressen zu missachten und die hohen Exportüberschüsse zu reduzieren, die andere Länder in die Defizite im Außenhandel und im Staatshaushalt treiben. Flassbeck stellt daher aus begründeter makroökonomischer Sichtweise fest:

"Wenn die Problemländer in Euroland aber ihre Defizite abbauen, dann kann das wichtigste Überschussland nicht gleichzeitig seine Überschüsse halten, es sei denn, man fände auf der Welt ein Land, das bereit wäre, die Defizitposition zu übernehmen, wenn ganz Euroland massiv in den Überschuss geht. Das Land aber gibt es ausweislich der jüngsten Diskussionen in den G 20 nicht. Folglich ist ein Abbau des gewaltigen" [Export-]"Überschusses in Deutschland unumgänglich. Dann aber müssen die Beiträge zum Inlandsprodukt, die vom Außenhandel kommen, absolut sinken." (S. 1)

Diese logische Position, die aus der Saldenmechanik folgt, ist natürlich für die neoliberal verkürzt denkenden Fachökonomen und Politiker, besonders jedoch für die dominante Finanzoligarchie, unzumutbar und stößt dort auf rabiaten oder hinhaltenden Widerstand.

Zu bemerken ist zusätzlich, dass Flassbeck das ergänzende ursächliche finanzpolitische "Gegenstück" zum Ungleichgewicht in der Außenwirtschaft, nämlich das nationale Dumping in der Entwicklung der Lohnstückkosten, ebenso ausdrücklich hervorhebt. Hierin geht er mit den meisten kritischen Makroökonomen konform. Flassbeck fragt daher seine Opponenten:

"Wie kann es sein, dass genau dann, als man sich darauf geeinigt hat, Wechselkursänderungen nicht mehr zu brauchen, riesige außenwirtschaftliche Ungleichgewichte entstehen und Wechselkurse wieder gebraucht würden? Woher kamen die Inflationsunterschiede bei gleicher Geldpolitik?" (6) Damit legt Flassbeck den finanzpolitischen Widersinn im Euro-System bloß. Seine Folgerung lautet logischer Weise: "Um aus der Krise herauszukommen, müsste man letztlich vorschlagen, die Lohnentwicklung im Euro-Raum, über Jahre zu kontrollieren, um die Aufwertung der Defizitländer zu beseitigen." (ebda.)

Für Zypern gilt Heiner Flassbecks scharfe Kritik an der neoliberal agierenden "Troika" des internationalen Finanzkapitals: "Man verlangt aus heiterem Himmel und ohne eine ernst zu nehmende sachliche Begründung sechs Milliarden Beteiligung" am Rettungspaket der EWU, "was für ein Land mit einem Bruttoinlandsprodukt von sage und schreibe 17 Milliarden Euro einfach nicht ohne katastrophale Folgen zu stemmen ist." (siehe: Flassbeck-Blog) Danach sollte man von einer "guten Absicht" dieser Troika nicht mehr reden, sondern eher an eine gigantische Falle für den restlichen "Wohlstand der Bewohner Zyperns" denken.


4. Zum komplexen "DGB-Marshallplan für Europa"
(7)

Der DGB-Bundesvorstand hat sich in die Diskussion um die EWU-weite Finanzkrise aus seiner eigenen Sichtweise kritisch und fordernd eingeschaltet, um die Staaten der Euro-Zone aus der Krise zu führen. "Ein zukunftsfähiges und international wettbewerbsfähiges Europas bedeutet, unsere Wirtschaft und Gesellschaft so zu gestalten, dass sie ressourcenschonend, effizient, nachhaltig, innovativ, armutsfest und einer alternden europäischen Gesellschaft gerecht wird. Das erfordert Investitionen in Energieerzeugung, in die Reduktion des Energieverbrauchs, in nachhaltige Industrien und Dienstleistungen, in Bildung und Ausbildung, in Forschung und Entwicklung, in moderne Verkehrsinfrastruktur, emissionsarme Städte und Gemeinden, in die Effizienz der öffentlichen Verwaltungen etc."

Das Dokument führt für die innovativen Sektoren bzw. Bereichen der Wirtschaft einen gründlichen Nachweis der weiteren technisch-technologischen Möglichkeiten an, die hier (im Text) nicht nachvollzogen werden können. Es bietet ein umfassendes Programm, das sich aus den damit gewonnenen ökonomischen bzw. finanziellen Effekten weit über die hierfür erforderlichen investiven Ausgaben hinaus selbst trägt, was in diesem Dokument auch zahlenmäßig ausführlich nachgewiesen wird. (Tabelle S. 10) Zusammengefasst:

"Der DGB-Marshallplan beinhaltet also entscheidende Impulse für qualitatives Wachstum sowie neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Denn die vorgeschlagenen Investitionen und Investitionsförderungen in Höhe von jährlich 260 Mrd. Euro bestehen aus 160 Mrd. Euro Direktinvestitionen und Investitionszulagen und aus 100 Mrd. Euro zehnjähriger günstiger Kredite an private Investoren [...] Diese wiederum würden weitere private Investitionen nach sich ziehen und einen jährlichen zusätzlichen Wachstumsimpuls von insgesamt 400 Mrd. Euro erzielen. Das entspräche einen zusätzlichen Wachstumsimpuls von über 3% des Bruttoinlandsprodukts der EU im Jahr 2011." (S. 24)

Soweit dieses BIP-Wachstum sich in neuen Exportüberschüssen darstellt, würde es m. E. unter die Kriterien der volkswirtschaftlichen Saldenmechanik fallen und damit die gravierenden Widersprüche in der Euro-Zone spezifisch verschärfen, mithin seinem vermeintlichen Ziel gemäß DGB-Beschluss zuwider laufen. Leider fehlt diese einschränkende Erkenntnis in diesem DGB-Dokument.


5. Zu Rudolf Hickels Bankenkritik
(8)

Hier zeigt Hickel den perversen Profittrieb des großen Bankkapitals in ungeschminkter Art, der sich im deregulierten und zu schwach kontrollierten globalen Finanzmarkt austobt und dabei die ökonomischen Grundlagen der von internationalen Bankenkrediten abhängigen EWU-Staaten aushöhlt. Gleichzeitig fordern drohende Großbankenpleiten eine zunehmende Verschuldung der nationalen Steuerzahler durch den eigenen Staatshaushalt auch in den (noch) nicht von Finanzmarktkrisen betroffenen "reichen Geber"-Ländern.

Rudolf Hickels umfassende Kritik an den bankseitigen Investmentgeschäften, an den diversen "Produkten" der Finanzmärkte und ihren Verkaufs- und Verschleierungstechniken, an den "Gewinnern der Finanzspekulationen" und ihren allgegenwärtigen Antreibern und absolut gewissenlosen Nutznießern geht bis auf den Kern der finanzmarktmäßigen Interessen.

Seine konsequenten, weitreichenden Vorschläge oder Absichten zur Eindämmung der Spekulationswut der Großbanken und zur Rückbildung des Systems "dienender Banken" an der Gesellschaft (durch vorrangige Finanzierung der staatlichen und privaten Realinvestitionen im nationalen Inland sowie innerhalb des EWU-Binnenmarktes) bleiben jedoch ein "zorniger Appell" an die Einsicht der neoliberal dominierten Politik, die sich - inzwischen wiederum - voll den Interessen der Finanzoligarchie unterworfen hat und die dramatischen Bankkrisenerfahrungen von 2008 verdrängt.

Wie aber die "sprudelnden Quellen" der rein finanziellen Geldvermögen in der EWU erfolgreich und kontrolliert in die Realwirtschaft transformiert werden können bzw. wie finanzielle Geldeinkommen aus Geschäften nicht zu "Finanzblasen" eskalieren, die jede extreme Gewinnsucht befördern, scheint immer noch als ein ungelöstes, ja utopisches Problem für den gegenwärtigen Finanzkapitalismus und seine "engsichtigen" Institutionen zu bleiben. Daran ändern auch erste Absichtserklärungen der EWU-Institutionen zwecks künftiger Bankenkontrolle nichts.

In diesem Buch von Rudolf Hickel fällt leider nicht ins Auge des Lesers, wie der Zusammenhang zur Export-Überschuss-Politik einiger Euro-Länder herzustellen ist. Bekanntlich wird dieser Überschuss von den meisten Makoökonomen für die vagabundierenden Anlagekapitalien der Finanzsphäre verantwortlich gemacht. Ohne eine Bezugnahme auf diese Krisenursache erscheint Hickels Feldzug gegen die Großbanken notgedrungen als faktisch "zu kurz gesprungen". Dies wird flankiert durch das Fehlen jeglicher Konzepte zur Auflösung der volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der EWU-Außenwirtschaftsbeziehungen.


6. Zum praktischen Fortschreiten der Euro-Finanzmarktkrise

Die Medien zeigen gegenwärtig das Spektakel der Finanzmarktkrise im EWU-Staat Zypern, das allen regulären Formen zu entgleiten droht und die EWU in Konflikt zu ihren eigenen Krisenbewältigungsstrategien gebracht hat. Um einem Schuldenschnitt für die kleineren Gläubiger des Staates zu entgehen, also diese Anleger zu schonen oder zu entlasten, jedoch den offiziellen Bankrott des Staates zu vermeiden und das lokale Bankensystem zu retten, werden seitens der zypriotischen Regierung dramatische Anstrengungen unternommen.

Noch ist für Zypern keine tragende Dauerlösung ausgehandelt. Der Schuldenstand des Landes erreichte 2012 bereits 86,5 % des BIP, der Finanzierungssaldo des Staates erreichte 2012 -5,5 % des BIP (nach 2011: -6,3%), das Wirtschaftswachstum sank 2012 auf -2,3 % des BIP.(9)

Die kumulierte Verschuldung (einschließlich der Zinslasten) der zypriotischen Banken bei ausländischen Gläubigern und des zypriotischen Staates im "Ausland" ist zu hoch (im Verhältnis zu den originären oder landeseigenen Einnahmen aus dem kleinen lokalen Produktionssektor) und daher relativ erdrückend, mithin eine Tilgung der Gesamtschulden der BIP-Wirtschaftsleistung Zyperns aussichtslos. Das "Schwert des Staatsbankrotts" hängt auch über den Staaten Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Slowenien. Eine Wende in der europäischen Finanzmarktpolitik weg von neoliberalen Vorzeichen ist immer dringlicher, für die jedoch z. Z. die objektiven Erfolgsbedingungen unverändert negativ zu werten sind. Daran kann auch die beabsichtigte neue Bankenaufsicht der EZB für die europäischen Großbanken nichts grundlegend oder nachhaltig ändern, solange die realwirtschaftlichen Außenwirtschafts- oder Leistungsbilanzüberschüsse (hauptsächlich Exportüberschüsse bzw. - defizite) in der EWU nicht schrittweise gemindert oder aufgelöst werden. Ein zwischen den EWU-Staaten einvernehmlicher institutioneller und praktikabler Abgleichungsmechanismus hierfür ist jedoch keineswegs greifbar. Offenbar sehen sogar manche deutschnational angehauchten Ökonomen hierin kein gravierendes Problem.

Die Aussagen der "volkswirtschaftlichen Saldenmechanik" bilden ein "Menetekel an der Wand" der europäischen Wirtschafts- und Finanzmarktpolitik.

Halle, den 25.03.2013


Anlage:

Kurze formelmäßige Darstellung zur Saldenmechanik

Aus der volkswirtschaftlichen Fachliteratur (10) folgt die nachstehende Darstellung der Saldenmechanik in Formeln:


1. Strömungsrechnung:

Die jährliche Finanzierungsrechnung für die 4 volkswirtschaftlichen Hauptsektoren ergibt sich aus den jährlichen Finanzierungssalden (F) zu:

"Private Haushalte" = (+/-)PH(F)

"Unternehmen" = (+/-)U(F)= UP(F) + UF(F)

   dar.: Produktionssektor = (+/-)UP(F)
   dar.: Finanzsektor = (+/-)=UF(F)

"Staat" = (+/-)S(F)

"Ausland" = ("Export" ./. "Import") = +/-Außenwirtschaftsbilanz = +/- Leistungsbilanzsaldo ⇒ (+/-)A(F)

Gleichung 1: PH(F) + U(F) + S(F) + A(F) = 0 (null)


2. Bestandsrechnung:

Die kumulative Vermögensrechnung (Geldvermögensbestände = (+/-)V) nimmt die analoge Form an für die volkswirtschaftlichen 4 Hauptsektoren:

Gleichung 2: PH(V) + U(V) + S(V) + A(V) = 0 (null)

Die jährlichen Finanzierungssalden (+/-)F gehen in die kumulierte Bestandsrechnung der Vermögensrechnung (+/-)V ein. Der kumulative "Unternehmenssektor" (UV) besteht auch hier aus dem Geldvermögen des "Produktionssektors" (UPV) und dem Geldvermögen des "Finanzsektors" (UFV).


Anmerkungen:

(1) Dr. Jürgen Leibiger, "Das Euro-Projekt: Geschichte und linke Kritik", Zeitschrift Z-Nr. 93.pdf

(2) "Beggar-My-Neighbour-Politik" = "Schlag-meinen-Nachbarn-Politik" = Verdrängungspolitik

(3) Johannes Schmidt, "Sparen - Fluch oder Segen? Anmerkungen zu einem alten Problem aus Sicht der Saldenmechanik", in: "Lehren aus der Krise der Makroökonomik", Marburg 2012, Schriftenreihe "Normative und institutionelle Grundfragen der Ökonomik", Bd. 11

(4) Für diesen ausländischen Anteil innerhalb der deutschen fiskalischen Staatsschulden in Höhe von über 50 % sehen manche Ökonomen kein Risiko, solange er durch Guthaben im Ausland gedeckt ist. Dabei werden die unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse hierfür ignoriert.

(5) Siehe z.B.: Heiner Flassbeck, "Der Export-Junkie hängt weiter an der Nadel", aus: FDT, 20.11.2012

(6) Flassbeck, in: FDT, 31.07.2012

(7) DGB, "Ein Marshallplan für Europa", Beschluss des DGB-Bundesvorstandes vom 4.12.2012

(8) Rudolf Hickel, "Zerschlagt die Banken", 3 Auflage 2012, ECON-Verlag

(9) Nach aktuellen Presseangaben ("Mitteldeutsche Zeitung" vom 25.3.2013).

(10) Vergl.: Michael Frenkel/Klaus Dieter John, "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung", Vahlen 6. Auflage 2006

z.B. bei Heine/Herr, "Volkswirtschaftslehre", Verlag Oldenbourg, 1999. Hier heißt es: "... die Saldenmechanik der volkswirtschaftlichen Sozialproduktberechnung besagt, dass sich die Überschüsse und Defizite der verschiedenen volkswirtschaftlichen Sektoren auf Null addieren müssen. Die Salden bewirken entsprechende Vermögensänderungen bei den entsprechenden Sektoren bzw. bei den Subjekten, die in diesen Sektoren erfasst werden." (S. 309)

z.B. die Darstellung im Vier-Sektoren-Modell der Volkswirtschaft nach: Clement/Terlau/Kiy, "Grundlagen der Angewandten Makroökonomie", 5. Auflage 2013, Verlag Vahlen

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Quelle:
© 2013 by Karl Mai
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2013