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MEINUNG/032: Zur "Haushaltslogik" im verarmenden Osten (Karl Mai)


Zur "Haushaltslogik" im verarmenden Osten - Eine Kurzanalyse

von Karl Mai, 3. Juli 2013



Die Haushaltspolitik in Sachsen-Anhalt steht seit einigen Wochen im Stress: zahlreiche Politiker, Vertreter von Universitätsinstituten und Bildungseinrichtungen, von Kultureinrichtungen und Theatern in Halle haben sich bereits öffentlich zu Wort gemeldet, Medizin-Studenten haben protestiert - es geht um von der Landesregierung erzwungene oder angekündigte Kürzungsabsichten, die als unvermeidliche "Einsparungen" für den Landeshaushalt 2014ff. deklariert wurden. Der Kern des Problems bilden die existenzgefährdenden Absichten der Landesregierung, zahlreichen Einrichtung ihre bisherigen Finanzierungsfonds zu kürzen, um aus den noch verfügbaren, verringerten Finanzmitteln den höchsten Effekt zu erzielen. Der allgemeine "Aufschrei" der Empörten ist inzwischen auch über die Landesgrenzen hinweg bekannt geworden. Für heute sind neue Protestdemonstrationen in Halle angekündigt.

Wulf Gallert ist in Sachsen-Anhalt als Vorsitzender der Linksfraktion im Landtag seit Jahren ein bekannter Politiker, der sich selten eine Blöße gibt. In seinem Kampf gegen die als überzogen empfundene "Sparpolitik" der Landesregierung ist ihm jedoch ein arger Fehler unterlaufen. Zwar kann man seinem Interview vom 19.06.2013 in der "Mitteldeutschen Zeitung" in hohem Maße zustimmen, soweit er dort die exzessive "Sparpolitik" der Landesregierung als konzeptionslose Kürzungspolitik kritisiert.[1] Eine abweichende Meinung vertrete ich hingegen zu seiner folgenden Interview-Passage:

"Wir haben im Schnitt einen Bevölkerungsrückgang von einem Prozent im Jahr. Die Inflationsrate liegt aber deutlich höher, zwischen 1,5 und 2 Prozent. Damit sinkt der reale Wert der Altschulden stärker als die Bevölkerung, selbst ohne jede Tilgung." Soll hier etwa die Preisinflation eine langfristige Schuldentilgung automatisch ermöglichen? Dahinter verbirgt sich zweifellos ein Trugschluss! Dazu folgendes:

1. Gallert spricht hier von "Altschulden", die aber in Wirklichkeit sämtlich "Neuschulden" nach der deutschen Vereinigung sind. Er hatte unter dem früheren Ministerpräsident Hoeppner (SPD) ja selbst die damalige extreme Landesverschuldung mitgetragen, die sich zu dieser Zeit angesammelt hatte. Inzwischen hat der Landesschuldenstand im Jahre 2013 20,6 Mrd. Euro (Plan) erreicht, das ergibt pro Einwohner 9.142 Euro Schulden (Plan). (Mittelfristige Finanzplanung,[2] S. 11)

2. Aktiv getilgt werden im Lande Sachsen-Anhalt schrittweise nicht der "reale Wert" der Schuldensumme, sondern stets der nominelle Wert, einschließlich der jeweiligen Sollzinsen auf die Restschulden. Diese Sollzinsen belaufen sich allein von 2013 bis 2019 auf 4.948 Mio. Euro gemäß der "Mittelfristigen Finanzplanung" des Landes.[3] Diese Sollzinsen übertreffen bei weitem die vorgesehenen niedrigen Tilgungen der Landesverschuldung (jährlich -300 Mio. Euro) für diesen Zeitraum, auch wenn die Zinssätze nicht steigen sollten.

Nominell gibt es daher keine summarische Entlastung, sondern eventuell sogar bei künftig wachsenden Sollzinssätzen eine weitere Belastung bis zum Ende der tatsächlichen Tilgungszeit, die sich infolge der prognostizierten geringen Tilgungsbeträge von -300 Mio. Euro ab dem Jahre 2019 ohnehin noch "ewig lange" hinziehen dürfte: insgesamt 69 Jahre bei vollständigem Schuldenabbau. In dieser Zeit fallen allerdings ebenfalls Sollzinsen an, die sich nur langsam verringern, und die insgesamt für die 69 Jahre des Tilgungszeitraumes dann etwa 0,5 x 69 x 705 Mio. Euro Jahreszinsen = 24.322 Mio. Euro reine Zinslast erreichen dürften. Das heißt: die restlichen Sollzinsen übersteigen noch die jetzige Schuldensumme um ca. 4 Mrd. (!) Euro. Dies scheint manchen Haushaltspolitikern im Osten und insbesondere in Sachsen-Anhalt nicht gegenwärtig zu sein.

3. Ob die Bevölkerungsrückgänge im Lande Sachsen-Anhalt künftig noch dem bereits zurückliegenden Trendverlauf entsprechen, ist völlig spekulativ. Eher ist mit einem verstärkten Rückgang aus demografischen Gründen zu rechnen, wenn man von ebenso ungewissen Abwanderungsverlusten absehen will. Demografischer Rückgang und Abwanderungssaldo kumulieren sich also. Damit sinken jedoch auch alle an den Bevölkerungsstand gebundenen Ausgleichszahlungen je Einwohner seitens der Länder, des Bundes und der EU.

4. Die derzeitigen landesüblichen Inflationsraten sind nicht zwingend identisch mit den zukünftigen. Die Inflationsprognose für die nächsten 10 Jahre ist im nationalen Maßstab reine Spekulation. Dies alles sollte auch Wulf Gallerts dargestellte "Gewissheit" relativieren. Daher steht über dem Problem des Schuldenabbaus "durch inflationäre Entwertung" im Landeshaushalt generell ein übergroßes Risiko-Fragezeichen. Gleichzeitig wird deutlich, welche gewaltige Bürde die nominelle Verzinsung für einen Landhaushalt wie in Sachsen-Anhalt darstellen muss.

5. Die geplanten Haushaltseinnahmen des Landes gehen im Mittelfristigen Zeitraum zusätzlich stets von einer "Unterdeckung" aus, die sich in einem "Handlungsbedarf" für weitere Sparpolitik niederschlägt, der bis 2020 kumulativ 1.765 Mio. Euro beträgt. Dies lässt dem Landeshaushalt auf lange Jahre auch für eine anwachsende Tilgung keinen "Handlungsspielraum". Das deshalb, weil mit einer niedrig geplanten Tilgung und den Soll-Zinsen auf die Restschulden auch noch weitere Kürzungen infolge des "Handlungsbedarfs" für sehr lange Zeit anfallen würden.

Fazit: Die Erwartung auf eine kontinuierliche Entwertung der nominellen Schulden des Landes sind abwegig. Hierin äußert sich eine zu "flache Denkweise", die der realen Komplexität des Problems der Landesverschuldung nicht gerecht wird. Die nominelle Schuldenlast und die restlichen Sollzinsen erreichen dagegen eine gewaltige kumulative Belastung, die eine Schreckensvision erzeugen muss - ca. 50 Mrd. Euro (geschätzt). Dazu kommt der "weitere Handlungsbedarf" auf Dauer in gleichfalls Milliarden-Höhe (kumulativ).

Eine völlig berechtigte, aber in der Politik ignorierte Tabu-Frage ist allerdings, ob ohne weitgehende einmalige Befreiung von den überhohen Landeshaushaltsschulden in Sachsen-Anhalt überhaupt noch eine politisch vertretbare Landespolitik betrieben werden könnte. Dies sehen bereits viele Experten äußerst skeptisch bis negativ, und die verbissene oder scheinbar verblendete "Sparwut" der jetzigen Landesregierung verrät eigentlich alles.

Halle, den 3.7.2013


Fußnoten:

[1] http://www.mz-web.de/mitteldeutschland/interview-mit-wulf-gallert--ich-erwarte-gar-nichts-mehr-,20641266,23413166.html

[2] Siehe: Mittelfristiger Finanzplan Sachsen-Anhalt, S. 11;
http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/Bibliothek_Ministerium_der_Finanzen/Dokumente/mipla/Mipla-12-16.1-.pdf

[3] Siehe: Mittelfristiger Finanzplan Sachsen-Anhalt, S. 33/34;
http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Elementbibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/Bibliothek_Ministerium_der_Finanzen/Dokumente/mipla/Mipla-12-16.1-.pdf

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Quelle:
© 2013 by Karl Mai
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2013