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REDE/434: Westerwelle - Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus, 21.05.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, zum Gesetzentwurf zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vor dem Deutschen Bundestag am 21. Mai 2010 in Berlin


Frau Präsidentin!
Herr Kollege Gabriel,

noch einmal in aller Form: Gute Besserung! Das ist an den Menschen adressiert. Da Sie frisch operiert sind, dürfen Sie das kollegial hinnehmen, ohne gleich so zu reagieren, als wäre in diesem Hohen Hause alles politisch gemeint.

Herr Kollege Gabriel, Ihre heutige Rede war für die Motivlage Ihrer Entscheidungsfindung sehr erhellend, und zwar für alle hier im Hause und für alle, die uns zuschauen.

Sie haben hier eine innenpolitische Generalabrechnung mit der Bundesregierung gemacht. Das ist Ihr Recht als Opposition. Das ist auch Ihre Pflicht als Opposition. Aber es geht doch heute nicht darum, ob Sie die Regierung gut finden. Es geht darum: Wie stehen Sie zu Europa? Darüber wird heute entschieden. Sie haben hier wunderbare Argumente eingeführt, etwa dass im Jahresbericht der Regierung 2009 das Foto von Herrn Steinmeier und nicht meines zu sehen ist. Ich hätte Sie einmal sehen und hören wollen, wenn im Jahresbericht 2009 mein Foto zu sehen gewesen wäre. Dann hätten Sie uns Steuergeldverschwendung vorgeworfen. Herrgott noch mal! Ich kann Sie aber trösten: All das sind doch Lappalien.

Dann haben Sie Bilanz gezogen. Sie haben gesagt: Das Land ist in Armut, die Löhne sinken, die Spaltung der Gesellschaft wird immer größer. - Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Gabriel. Was ist das für eine entsetzliche Bilanz für den Vorsitzenden einer Partei, die Deutschland elf Jahre lang regiert hat! Ich sitze seit ein paar Monaten auf der Regierungsbank und soll für Ihre elf Jahre Regierungszeit haften. Das geht zu weit.

Ich möchte auf eine Sache eingehen, nämlich auf die Frage des Verfahrens selber. Ich habe die letzten elf Jahre hier als Abgeordneter im Deutschen Bundestag die ehrenwerte Aufgabe der Opposition wahrnehmen dürfen, denn zu jeder Demokratie gehört beides. Beide Aufgaben, Regierung und Opposition, sollte man ernst nehmen.

Ich kann Ihnen aber sagen: Ich habe hier in mehreren Situationen erlebt, dass eine Regierung schnell handeln musste. Ich erinnere mich beispielsweise auch daran - ich bin damals Vorsitzender der FDP-Fraktion in der Opposition gewesen -, wie im Bundestag am 15. Oktober 2008 über das große Bankenrettungspaket verhandelt worden ist.

Eine Woche ging das Verfahren; Herr Kollege Gysi erinnert sich auch. Es war genauso wie heute. Wir haben gemerkt: Das ist eine unglaublich ernste Situation. Wir haben in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai, morgens um halb drei die letzte Telefonkonferenz gemacht, weil wir schnell entscheiden mussten. Wir haben unverzüglich, am nächsten Tag, nachmittags, die Partei- und Fraktionsvorsitzenden eingeladen und sie unterrichtet. Wenn Sie behaupten, Sie seien nicht informiert worden, ist das nichts anderes als eine Täuschung der Öffentlichkeit.

Vier von Ihren Repräsentanten saßen damals da, zwei Parteivorsitzende und zwei Fraktionsvorsitzende. Zu viert sind Sie angefahren. Jeder von Ihnen hat dieses komplette Heft mit den Unterlagen bekommen. Zwei Erklärungen sind abgegeben worden. Staatssekretär Asmussen hat auf die Frage: "Können Sie sicherstellen, dass die Verträge über die so genannte Zweckgesellschaft dann schon schriftlich vorliegen?" gesagt: Das kann ich nicht sicherstellen, weil die Verhandlung mit allen Staaten geführt werden muss.

Bezüglich der Richtlinie ist die Frage gestellt worden: Haben Sie das? Daraufhin ist das verteilt worden. Es ist verteilt worden. Wenn Sie sagen, die Verfassung sei verletzt worden, dann ist das nichts anderes als die Suche nach einem innenpolitischen Grund, weil Sie heute keine Verantwortung übernehmen wollen. Das ist in Wahrheit der eigentliche Grund.

Ich möchte einmal das zitieren, was der damalige Finanzminister als Vertreter der Regierung gesagt hat. Ich war damals ebenso wie die Kollegen von den Grünen und von der Linkspartei in der Opposition. CDU/CSU und SPD hatten eine riesige Mehrheit im Deutschen Bundestag. Wir haben das damals verstanden. Wir haben dem Bankenpaket zugestimmt. Wir haben gesagt: Wir wissen, dass das notwendig ist. Auch wir waren damals mit Ihrer Regierungspolitik nicht einverstanden, aber wir haben gewusst: Es geht um Deutschland; jetzt muss man stehen. Enthaltung ist aber kein Stehen. Das ist wankelmütig.

Zu den Abläufen hat der damalige Finanzminister gesagt: Ich weiß, das ist eine Zumutung; aber in ungewöhnlichen Zeiten, in denen wir sind, und bei dem Problemdruck, unter dem wir stehen, sind ungewöhnliche Verfahren erforderlich.

Ja, wir wissen, das ist auch für das Parlament eine ganz schwere Belastung. Deshalb hat der Haushaltsausschuss gemeinsam entsprechende Regeln verabschiedet. Sie suchen aber nach Ausflüchten, weil Sie in Wahrheit innenpolitisch mit der Regierung abrechnen wollen. Dies ist aber nicht die Stunde, um uns zu sagen: Frau Merkel ist furchtbar, Herr Schäuble ist furchtbar, ich bin furchtbar! Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum: Finden Sie, dass Europa stehen soll, oder finden Sie, dass es fallen soll? Darum geht es heute. In welche Gesellschaft haben Sie sich begeben? In ganz Europa gibt es in allen Parlamenten Gruppen, die das Vorgehen im Augenblick ablehnen, Linkspopulisten und Rechtspopulisten. Das ist Ihre Gesellschaft.

Das ist eine traurige Entwicklung. Sie sind in ganz Europa isoliert, und Sie wissen das auch. Die anderen kämpfen für Europa, während Sie es heute fallen lassen.

In Ihren gestrigen Reden hörte man noch, zum Beispiel zu KFOR, wie wichtig Europa für den Frieden und den Wohlstand ist. Das, worüber wir hier reden, ist kein Altruismus. Es geht nicht darum, dass wir anderen Ländern einen Gefallen tun. Es geht darum, dass wir unsere Währung schützen, dass wir unser Land schützen, dass wir Europa als große Friedens- und auch Wohlstandsregion schützen. Darum geht es.

Es ist so oft die Rede von den Ländern in der Welt, aber wer weiß denn eigentlich, dass der Wirtschaftsaustausch mit den Niederlanden ein größeres Volumen als der mit ganz China hat? Der Wohlstand in Europa hängt auch von unserer Entscheidung heute ab. Der Wohlstand der Deutschen hängt an einer klaren europäischen Stabilität, und um die gilt es heute zu ringen.

Sie müssen sich entscheiden. Suchen Sie nicht nach Gründen, warum Sie Nein sagen, sondern bekennen Sie sich endlich zu einer Haltung. Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie die Regierung unterstützen, aber Europa müssen Sie heute beispringen. Das ist das Einzige, worum es geht. Europa liegt im deutschen Interesse, und es geht auch um die Arbeitsplätze in unserem Land.

Von Herrn Kollegen Schäuble und auch von anderen Rednern ist das, wie ich finde, sehr gut auf den Punkt gebracht worden: Natürlich gibt es Exzesse auf den Märkten, und natürlich müssen wir sie gemeinsam bekämpfen. Wir wollen aber eines nicht vergessen: Die Hauptursache dafür, dass diese Spekulationswelle überhaupt greifen konnte, ist, dass zu viele Staaten in Europa in zu kurzer Zeit zu viele Schulden gemacht haben. Die Spekulationswelle konnte überhaupt nur deshalb verfangen, weil die Fundamente durch zu viel Schulden sandig geworden sind. Deswegen haben wir zwei Aufgaben, um aus dieser Krise zu lernen:

Aufgabe Nummer 1. Wir müssen in ganz Europa zu einer stabilen Haushaltspolitik zurückkehren.

Aufgabe Nummer 2. Wir müssen die Finanzmärkte regeln und für entsprechende Regeln sorgen.

Ich komme jetzt noch einmal zur Aufgabe Nummer 1. Da Sie damit angefangen haben, will ich das hier noch einmal ganz klar sagen: Wir haben in Europa zu viele Staaten, die zu viel Schulden gemacht haben. Dadurch sind sie zu wackelig geworden. Eines wollen wir hier aber festhalten: Das ist nicht nur das Ergebnis von einigen Ländern, die unsolide gewirtschaftet haben, sondern dafür trägt auch Deutschland eine Verantwortung. Das kann man ganz einfach sagen: Die Aufweichung des Stabilitätspaktes, die unter der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden ist, war ein historischer Fehler. Dass Sie sich heute weigern, die Folgen dieses Fehlers mit zu beheben, wiegt aber doppelt schwer.

Wir haben in Europa - das können wir gar nicht im Alleingang - selbstverständlich auch Maßnahmen ergriffen. Deswegen ist es die richtige Entscheidung der Bundesregierung gewesen, dass wir nicht einfach einen Scheck ausgestellt und gesagt haben, wir lösen die Probleme mit Geld, sondern dass wir gesagt haben: Wer unter den Schutzschirm will, der muss auch bereit sein, seine Hausaufgaben zu erledigen und zu einer soliden Haushaltspolitik zurückzukehren.

Sie waren diejenigen, die uns vor ein paar Wochen gefragt haben, warum wir Griechenland nicht gleich Geld gegeben haben. Das wäre ein Fehler gewesen. Man gibt jemandem, der sich überschuldet hat, kein Geld, wenn man nicht gleichzeitig von ihm verlangt, die Ursachen seiner Misere zu beseitigen. Bei der Regulierung hat doch diese Regierung Tempo gemacht.

Ich muss dazu einmal festhalten, was gerade auch von Frau Hendricks und auch von anderen noch einmal eingeführt worden ist: Die Hedgefonds, die in Ihren Augen ja kein Problem sind - das wollen wir hier doch bitteschön einmal festhalten -, sind unter Ihrer Regierungszeit, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, zugelassen worden, und zwar unreguliert.

Wir haben in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, dass es jetzt eine europäische Richtlinie gibt. Innerhalb von wenigen Monaten ist eine Regulierung gelungen, die Ihnen in elf Jahren nicht ein einziges Mal gelungen ist.

Auch über das Verbot der ungedeckten Leerverkäufe muss klar gesprochen werden. Das Verbot, das ausgesprochen worden ist - hier können Sie einmal auf Herrn Gysi hören; Sie hören mittlerweile ja sowieso immer mehr auf ihn -, war ein von Ihnen befristetes Verbot.

Es lief zum 31. Dezember 2009 aus. Wir haben in dieser Regierung - auch der Finanzminister - mit Unterstützung der gesamten Koalition dafür gesorgt, dass dieses Verbot der ungedeckten Leerverkäufe jetzt wieder eingeführt worden ist. Wir haben gehandelt und den Schaden beseitigt, den Sie angerichtet haben.

Ich komme zum Schluss. Herr Kollege Gabriel, das ist heute eine Entscheidung von einer wahrscheinlich historischen Dimension, und zwar weniger in der Frage des Geldes und der Garantien als vielmehr in der Frage: Was ist uns Europa wert? Und: Ist unsere Generation, die den Krieg nicht mehr erlebt hat, bereit, Europa auch in schweren Zeiten zu verteidigen? Das wird die eigentliche Bewährungsprobe von Europa und für Europa sein. Wir haben jedes Mal in den letzten zehn Tagen einen Schritt auf Sie zugemacht. Sie sind jedes Mal einen Schritt zurückgegangen. Das war am Freitag, dem 7. Mai, so. Es war in dieser Woche so, und es ist auch heute noch einmal durch die Rede des Bundesfinanzministers deutlich geworden. Wir gehen jedes Mal einen Schritt auf Sie zu. Sie wollen sich heute nicht entscheiden, weil Sie wissen, dass es zu Hause wegen der verantwortungsvollen Entscheidung Ärger geben könnte.

Aber in solchen Stunden geht es darum, dass man darauf achtet, was für Deutschland und Europa richtig ist, statt darauf, ob man zu Hause ein paar Stimmenvorteile kriegen kann. Innenpolitik ist Ihr Motiv, aber nicht die Verantwortung für unser Land.

Herr Kollege Trittin, zu Ihrer Fachfrage. Sie haben gesagt, ich hätte als Außenminister zur Politik geschwiegen. Es ist Ihr gutes Recht, das zu sagen. Das entspricht aber nicht den Tatsachen. Ich habe in beiden dritten Lesungen hier - am Freitag, dem 7. Mai, und heute - gesprochen. Ich habe in der letzten Woche in der Sendung "Was nun?" beim ZDF Rede und Antwort gestanden. Genauso werde ich es weitermachen, nämlich dort zu reden, wohin es gehört. Ich glaube, solche Debatten gehören in den Deutschen Bundestag. Deswegen ist es richtig, dass ich hier als Außenminister das Wort ergreife.

Ich möchte Sie davon überzeugen, heute zuzustimmen, nicht weil es um mich, Frau Merkel, Herrn Schäuble oder die Regierungskoalition geht, sondern weil es um die Frage geht: Stehen Sie heute zu Europa? Um nichts anderes geht es.

Letzte Bemerkung zu den Abläufen. An der angesprochenen Sitzung hat der Kollege Schäuble nicht teilgenommen. Aber die Frau Bundeskanzlerin, Herr de Maizière, meine Person und andere haben daran teilgenommen. Herr Asmussen hat dort ausdrücklich als Staatssekretär auf Bitten der Bundeskanzlerin die Frage beantwortet - das ist wichtig für alle Abgeordneten im Umgang miteinander; das ist keine Kleinigkeit; für die Bürger draußen ist es vielleicht nur eine Randnotiz; aber für die Abgeordneten und das Parlamentsverständnis ist das eine wichtige Erklärung -: Können wir sicherstellen, dass das in dieser Woche auch schriftlich vorliegt? Er hat gesagt: Es handelt sich hier um einen Vertrag zwischen mehreren nationalen Regierungen; ich kann das nicht sicherstellen. Genauso ist es geschehen, und genauso ist es dort gesagt worden. Vielleicht haben Sie das Ihren Leuten gesagt, damit sie sich heute ihrer Stimme enthalten und nicht wie beim letzten Mal mit Ja stimmen. Aber mit der Wahrheit hat das nichts zu tun; darauf lege ich hier Wert.


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Quelle:
Bulletin Nr. 57-2 vom 21.05.2010
Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
zum Gesetzentwurf zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines
europäischen Stabilisierungsmechanismus vor dem Deutschen Bundestag
am 21. Mai 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2010