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ROHSTOFFE/107: Rohstoffimporte statt Recycling (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015
Kreislaufwirtschaft
Ist Recycling eine Illusion?

Rohstoffimporte statt Recycling

von Michael Reckordt


Die deutsche Rohstoffstrategie unter die Lupe genommen Eine deutsche Rohstoffstrategie könnte verbindliche Recycling-Ziele festlegen und die Kreislaufnutzung von Rohstoffen verankern. Stattdessen werden einseitig Versorgungsinteressen der deutschen Industrie durch Importe bedient.


Die deutsche Rohstoffpolitik ist stark und einseitig an den Interessen der deutschen Industrie ausgerichtet. [1] Die Rohstoffstrategie der Bundesregierung (BMWi 2010) [2] wurde im Jahr 2010 auf dem Rohstoffkongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) vorgestellt und liest sich wie deren Forderungskatalog.


Exportzölle und Exportverbote

Handelspolitische Maßnahmen sind die zentrale Säule der Rohstoffstrategie der Bundesregierung. Diese zielen auf die Abschaffung von Exportverboten und Exportzöllen vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern ab. Bekannt ist der Handelsstreit mit China um die Beschränkung der Exportmengen bei Seltenen Erden, den die Europäische Union mit anderen Ländern vor der WTO angestrebt und gewonnen hat. Die Bundesregierung und der BDI sehen durch Verbote und Zölle die deutsche Industrie benachteiligt und die hiesige Versorgung gefährdet. Die deutsche Industrie ist zu nahezu 100 % von Importen dieser primären metallischen Rohstoffe abhängig. In den letzten Jahren haben viele Länder wie Vietnam, die Philippinen oder Indonesien Exportverbote und höhere Exportzölle beschlossen. Wiederkehrende Argumente dafür sind: Erstens die Verlängerung der Wertschöpfung im eigenen Land und die Hoffnung auf weitere industrielle Entwicklungen, zweitens die Schaffung von Industrie-Arbeitsplätzen, drittens die Erhöhung des Steueraufkommens durch die verlängerte Wertschöpfung und viertens die Unabhängigkeit von schwankenden Weltmarktpreisen für einzelne Rohstoffe.

Aus entwicklungspolitischer Sicht sind diese Markteingriffe durchaus zu begrüßen, so merkt Mark Curtis an: "Ausfuhrsteuern sind kein Allheilmittel und nicht immer das Mittel der ersten Wahl, doch sie können eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung wettbewerbsfähiger Industrien sowie beim Schutz der Umwelt und der natürlichen Ressourcen spielen. Ferner können sie Einnahmen für öffentliche Aufgaben generieren. [...] Die Förderung von Weiterverarbeitung und Fertigung sowie damit verbundener Dienstleistungen ist für Entwicklungsländer ein Muss, wenn sie sich aus ihrer Abhängigkeit von Rohstoffexporten befreien wollen." [3] Auch politisch muss man den jeweiligen Regierungen diese politischen Freiräume lassen.

Die Bundesregierung hingegen verspricht in der Rohstoffstrategie im Rahmen der EU Handelspolitik diesen "Verzerrungen im internationalen Rohstoffhandel noch konsequenter als bisher [zu begegnen]". Sie will dazu WTO-Beitrittsverhandlungen, Streitschlichtungsverfahren, aber auch die EU-Freihandelsabkommen umfassend nutzen. Dazu ist auch "eine Überprüfung von Handelspräferenzen für Entwicklungsländer" vorgesehen, wenn diese deutschen Unternehmen keinen Zugang zu ihren Rohstoffmärkten geben. Unter dem Begriff der Politikkohärenz werden entwicklungs- und umweltpolitische Ziele der industriellen Rohstoffversorgung unterworfen: "Der Abbau von Exportbeschränkungen spielt eine wichtige Rolle für eine gesicherte Rohstoffversorgung. Armen/ ärmsten Entwicklungsländern sollte eine gewisse Flexibilität wie Übergangsfristen beim Zollabbau eingeräumt werden, um Alternativen zur Sicherstellung der Staatseinnahmen aufzubauen."

Auch der BDI erneuerte im Januar 2015 seine Forderungen an die Politik diesbezüglich. Er kritisiert vor allem die zu laschen WTO-Regeln bei Exportzöllen, die laut ihm "eine Subvention der inländischen Industrie zulasten des Wettbewerbs darstellen". [4] Zudem müsse der Zugang zu den Rohstoffmärkten für die deutsche Industrie "Bedingung für den Abschluss von [neuen] Handelsabkommen" sein.


Widerspruch primäre und sekundäre Rohstoffe

Eine weitere Handelsliberalisierung auf globaler Ebene sei für den Zugang zu primären Metallen und (Industrie-) Mineralen notwendig, so der Industrieverband. Interessanterweise sieht der Ansatz bei sekundären Rohstoffen anders aus. In den letzten Jahren rückten die Recyclingstoffe, die auf unseren Müllhalden unter dem Schlagwort Urban Mining ein ungenutztes Dasein fristen, stärker in den Fokus. Viele Länder haben reagiert und unter anderem Exportverbote für Schrotte erlassen, um die Rohstoffe selbst zurückzugewinnen. Während der BDI bei primären Rohstoffen jegliche Einschränkung von Exporten in Entwicklungs- und Schwellenländer bekämpft, argumentiert er bei den sekundären Rohstoffen, dass die "Verfügbarkeit an Sekundärrohstoffen unter anderem durch illegale Exporte von Abfällen, die als gebrauchte Produkte deklariert werden, erheblich eingeschränkt" [5] werden. Daher lautet die Forderung eindeutig: "Illegalen Abfluss von Sekundärrohstoffen unterbinden". Und weiter: "Die vor kurzem beschlossene Verschärfung der europäischen Abfallverbringungsverordnung sollte konsequent umgesetzt, der Vollzug gestärkt und kontrolliert sowie Zuwiderhandlungen sanktioniert werden." [6]

Während bei dem Zugang zu primären Rohstoffen Umwelt- und Sozialstandards entlang der Lieferkette nur eine untergeordnete Rolle für die deutsche Industrie spielen, weshalb diese sich gar sehr vehement gegen verbindliche Sorgfaltspflichten und Transparenz in der Lieferkette engagiert, werden beim Thema Recycling ökologische und soziale Argumente vorgeschoben, um die eigenen Wettbewerbsinteressen durchzusetzen. Gut sichtbar wird das beim Widerstand gegen die Einführung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette. Die Wirtschaftsverbände und viele Unternehmen wehren sich dagegen, Risiken zu analysieren, aktiv zu werden und transparent berichten zu müssen. So hatte sich das europäische Parlament Mitte Mai 2015 für eine umfangreiche Konfliktmineralien-Verordnung ausgesprochen. Die ParlamentarierInnen forderten eine verbindliche Sorgfaltspflicht für die gesamte Industrie entlang ihrer Lieferketten, um die Konfliktfinanzierung durch den Abbau oder Handel von Gold, Tantal, Wolfram oder Zinn zu unterbinden. Die Industrieverbände hatten im Vorfeld massiv Lobbyismus gegen diese Sorgfaltspflichten betrieben. Auch im Anschluss wandten sich die beiden BDI-Mitgliedsverbände Wirtschafts-Vereinigung Metalle (WVM) und der Verband Deutscher Metallhändler (VDM) an Medien und Politik: "Die EU-Entscheidung zu Konfliktrohstoffen droht zu großen Schwierigkeiten beim Metall-Recycling zu führen", warnen sie. Franziska Erdle, Hauptgeschäftsführerin der WirtschaftsVereinigung Metalle, sagte, dies sei keine sinnvolle Entscheidung für mehr Recycling und Nachhaltigkeit.

Dabei besagt der Vorschlag des Europaparlaments nur, dass Unternehmen, die die genannten vier Rohstoffe auch als Recyclingprodukte nutzen, nachprüfen müssen, ob ihr Rohstoffeinkauf blutige Konflikte oder schwere Menschenrechtsverletzungen finanziert und unterstützt. Die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte geben dafür einen geordneten Rahmen. Dieses Instrument könnte auch genutzt werden, um Umwelt- oder Arbeitsstandards bei der Aufarbeitung wertvoller Rohstoffe in Entwicklungs- und Schwellenländern zu prüfen und zu verbessern.


Rohstoffpartnerschaften

Um auf Exportzölle und -verbote bei Sekundärrohstoffen zu reagieren, schlägt der BDI zudem vor, die Rohstoffpartnerschaften zu Recyclingpartnerschaften weiterzuentwickeln. "Recycling von Rohstoffen wird zudem für die Versorgung der deutschen Industrie mit Rohstoffen immer wichtiger", schreibt der BDI in einem Positionspapier mit dem Titel "Recycling in Rohstoffpartnerschaften" im Juni 2014. [7] Rohstoffpartnerschaften sind ein weiteres Instrument der Rohstoffstrategie der Bundesregierung und wurden bisher mit Ländern wie der Mongolei, Kasachstan und Peru abgeschlossen. Auch dieses Instrument steht unter den Paradigmen der Versorgungssicherheit und der Schaffung neuer Absatzmärkte für die deutsche Industrie. Anstatt also in Deutschland höhere Recyclingquoten und einen geringeren Verbrauch voranzubringen, werden die Probleme in den globalen Süden verlagert.

Die deutsche Zivilgesellschaft, darunter die im AK Rohstoffe zusammengeschlossenen Organisationen, haben schon frühzeitig die Einseitigkeit der Strategie sowie deren Instrumente deutlich kritisiert. Es fehlen in der Rohstoffstrategie ambitionierte Ziele, das Recycling und somit die Sekundärrohstoffnutzung zu stärken. Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft und einer nachhaltigen Nutzung der Rohstoffe, müsste eine nahezu hundertprozentige Rückgewinnung der Rohstoffe das eigentliche, langfristige Ziel sein. Zudem müssten menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für alle Rohstoffe verbindlich eingeführt werden, da noch heute fast ein Drittel aller Menschenrechtsverletzungen im Wirtschaftsgeschehen mit der extraktiven Industrie in Verbindung stehen.


Der Autor arbeitet bei PowerShift e. V. als Koordinator des AK Rohstoffe, einem bundesweiten Zusammenschluss von Entwicklungs-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen.


Anmerkungen

[1] Vgl. Reckordt (2014): Verantwortungsloser Rohstoffbezug - Rohstoffpolitik im Interesse der Industrie; In: Forum Umwelt und Entwicklung: Rundbrief III/ 2014.

[2] BMWi (2010): Rohstoffstrategie der Bundesregierung - Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen.

[3] Vgl. Curtis (2010): Die neue Jagd nach Ressourcen: Wie die EU-Handels- und Rohstoffpolitik Entwicklung bedroht.

[4] BDI (2015): Anforderungen an eine ganzheitliche und nachhaltige Rohstoffpolitik - BDI-Grundsatzpapier zur Rohstoffpolitik im 21. Jahrhundert.

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] BDI (2014): Recycling in Rohstoffpartnerschaften - Chancen und Herausforderungen.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2015, S. 2-3
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2015

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