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TOURISTIK/407: El Salvador - Geschichtstourismus auf den Spuren des Bürgerkriegs (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Februar 2015

El Salvador: Auf den Spuren des Bürgerkriegs - Neue Route für geschichtsinteressierte Touristen geplant

von Edgardo Ayala


Bild: © Edgardo Ayala/IPS

Florentino Menjívar, seine Frau María Dolores Gómez und Víctor Manuel Escalante (von links) vor einer Mauer, die mit den Porträts ehemaliger salvadorianischer Rebellen bemalt wurde
Bild: © Edgardo Ayala/IPS

El Paisnal, El Salvador, 2. Februar (IPS) - In El Salvador will eine kleine Ortschaft mit Hilfe des Geschichtstourismus den Weg aus der Armut finden. El Paisnal ist das Heimatdorf eines landesweit bekannten Jesuitenpaters, der in der Zeit vor dem Bürgerkrieg von Regierungstruppen ermordet worden war. Auf seinen Spuren sollen künftig Besucher aus dem In- und Ausland wandeln.

Geplant ist eine 'Touristenroute der historischen Erinnerung' ('Ruta Turística de la Memoria Histórica'), die an den Jesuitenpriester Rutilio Grande erinnern soll. Der berühmteste Sohn von El Paisnal war am 12. März 1977 zusammen mit drei Begleitern außerhalb des Dorfes von Regierungstruppen umgebracht worden.

"Pater Rutilio predigte von der Befreiung und der Pflicht, sich der Bedürftigen anzunehmen. Deshalb musste er sterben", erzählt die 62-jährige María Dolores Gómez, eine ehemalige Rebellin. Bevor sie sich 1980 dem bewaffneten Kampf anschloss, war sie Katechetin gewesen und kannte Grande persönlich. Heute gehört sie dem Gemeindekomitee für Tourismus von El Paisnal an.

"Zu uns kommen Besucher aus dem In- und Ausland, um des Mordes an Pater Grande zu gedenken", erläutert die Ex-Guerrillera. "Wir werden für die erforderliche Infrastruktur sorgen, damit wir diese Delegationen besser empfangen können."


Rundgang für Wissensdurstige

Die erste Phase der Tourismusinitiative beginnt im nächsten Monat. Dann sollen wissensdurstige Besucher ins Dorf geholt werden, die ihre Kenntnisse über den Bürgerkrieg und das Leben des berühmten Jesuiten erweitern wollen.

Grande war der erste Geistliche, der im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 ermordet wurde. Der bewaffnete Konflikt forderte 70.000 Menschenleben. 8.000 Menschen verschwanden.

Nachdem Militärs und Oligarchen Jahrzehnte lang die Wahlen manipuliert hatten, um sich an der Macht zu halten, schlossen sich Oppositionelle mit dem Ziel, eine sozialistische Regierung zu ermöglichen, zu einer Widerstandsgruppe zusammen.

Bei dem Attentat auf Grande starben auch der 72-jährige Manuel Solórzano und der 16-jährige Nelson Rutilio Lemus. Die Gebeine der drei befinden sich in der Kirche von El Paisnal, die längst zu einer Art Wallfahrtsort für touristische Pilger aus dem In- und Ausland geworden ist und einen wichtigen Knotenpunkt auf der neuen Tourismusroute bilden wird.

Historiker und Theologen stimmen darin überein, dass Grandes pastorale Arbeit und auch der Mord an dem Geistlichen das ehemals konservative Weltbild des damaligen Erzbischofs von San Salvador, Óscar Arnulfo Romero erschüttert hat. Romero selbst wurde drei Jahre später, im März 1980, ermordet, als er in einer kleinen Kapelle in San Salvador eine Messe hielt.

Drahtzieher des Verbrechens war nach Erkenntnissen der von den Vereinten Nationen nach dem Bürgerkriegsende eingerichteten Wahrheitskommission der Armeemajor Roberto D'Aubuisson, der Gründer der extremen Rechtspartei Republikanisch-Nationalistische Allianz (Arena), die El Salvador von 1989 bis 2009 regierte und dann von der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) abgelöst wurde. Die FMLN war eine ehemalige Rebellenorganisation, die nach Kriegsende als Partei zugelassen wurde.

Vor und während des Bürgerkrieges hatte sich ein Teil der Katholischen Kirche El Salvadors der Theologie der Befreiung angeschlossen, die sich für die Bekämpfung der Armut einsetzt und die traditionelle Allianz mit den Machthabenden aufkündigte.

Den Anfang der neuen Tourismusroute wird 'Las Tres Cruces' ('Die drei Kreuze') machen: hier auf halbem Wege zwischen El Paisnal und Aguilares waren Grande und seine beiden Begleiter erschossen wurden.

Wie die Ex-Guerillera Gómez erklärt, wird das Bürgermeisteramt von El Paisnal 350.000 Dollar in die Tourismus-Infrastruktur investieren. Die Mittel sind für Unterkünfte und kleine Restaurants bestimmt, die dann von den Dorfbewohnern geführt würden.

"Gut ist, dass die Gemeinde aktiv an dem Projekt partizipiert", freut sich Florentino Menjívar, der 62-jährige Mann von Gómez und ebenfalls ein ehemaliger Kämpfer. "Dadurch können die Voraussetzungen für ein wirtschaftliches Wachstum geschaffen werden."

Das Paar lebt in der Ortschaft Dimas Rodríguez, seit der Demobilisierung der Rebellen 1992 eine Siedlung ehemaliger Ex-Rebellen, die ebenfalls eine feste Größe der Touristenroute sein wird, Der Name der Siedlung geht auf einen Kommandanten der Volksbefreiungskräfte (FPL) zurück, einer der fünf bewaffneten Kräfte, die der FMLN unterstanden.

An jedem 15. Dezember, dem Gründungstag der Gemeinschaft, halten die Einwohner der Siedlung in Anwesenheit von in- und ausländischen Touristen eine Militärparade in Erinnerung an die Guerilla ab, um deren Kommandanten zu ehren, der 1989 bei bewaffneten Auseinandersetzungen ums Leben kam.

In den letzten Jahren kommen finden sich immer häufiger auch Regierungsbeamte in Dima Rodriguez ein, die einst selbst in der Siedlung gelebt hatten. "Der derzeitige Vizepräsident des Landes, Oscar Ortiz, war einst für die Siedlung zuständig gewesen", berichtet Víctor Escalante.


Museum und Feldlager vorgesehen

Im Rahmen des Projekts ist auch ein Museum geplant, in dem die ehemaligen Waffen der Guerillaverbände ausgestellt werden sollen, die allerdings nach den Friedensgesprächen 1992 unschädlich gemacht worden waren. Auf einer bewaldeten Parzelle soll zudem ein Guerillalager nachgebaut werden.

"Ich habe noch meinen Rucksack aus jener Zeit. Andere sind noch im Besitz von Funkgeräten und anderen Gegenstände aus der Zeit des Bürgerkriegs. Wenn wir alles zusammentragen, könnten wir das Museum gut bestücken", meint der 45-jährige Escalante.

Die Bewohner denken derzeit über die Dienstleistungen nach, die sie den Touristen anbieten könnten, wie den Verkauf von Speisen oder kunsthandwerklichen Gegenständen. In El Paisnal mit seinen 4.500 Einwohnern sind Jobangebote rar. Der Großteil der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft.


Ökokomponente

Eine Ökotourismuskomponente soll die Route abschließen. Sie beinhaltet die Möglichkeit, den El-Chino-Gipfel sieben Kilometer von El Paisnal entfernt zu erklimmen. Auch der Besuch von Conacastera, einem Abschnitt am Ufer des Flusses Lempa, ist vorgesehen. Zudem können sich Touristen in der San-Carlos-Kooperative einmieten, um sich von der Arbeit der Genossenschaft ein Bild zu machen.

Es gibt einige Regionen des Landes, die seit Jahren versuchen, den Geschichtstourismus zu etablieren. Das Dorf Perkin im Norden des östlichen Departements Morazán gehört zu den prominentesten Orten, die sich mit Projekten in Anlehnung an den Bürgerkrieg einen Namen gemacht haben. Dort befindet sich ein Museum, das mit Waffen, Fragmenten von Artilleriegeschützen und einem Hubschrauberrumpf einen Einblick in die Geschichte des bewaffneten Konfliktes gibt.

In diesem kleinen zentralamerikanischen Land mit seinen 6,7 Millionen Einwohnern hat der Tourismus im ersten Halbjahr 2014 Devisen in Höhe von 650 Millionen Dollar erwirtschaftet. Gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres war dies ein Anstieg um 33,3 Prozent. (Ende/IPS/kb/2015)


Link:

http://www.ipsnoticias.net/2015/01/historias-de-guerra-impulsan-turismo-rural-en-pueblo-salvadoreno/

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IPS-Tagesdienst vom 2. Februar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2015


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