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UNTERNEHMEN/2445: Ästhetische Strategien als Wegbereiter für künstlerische Interventionen (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 145, September 2014
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Mit allen Sinnen
Ästhetische Strategien als Wegbereiter für künstlerische Interventionen

von Anke Strauß



Kurz gefasst: Vermittler von künstlerischen Interventionen in Organisationen aktivieren erfolgreich menschliche Vorstellungskraft. Sie bedienen sich unterschiedlicher ästhetischer Strategien, um lebendige Bilder im Kopf ihrer Zuhörerschaft hervorzurufen, die auf die Potenzialität künstlerischer Interventionen verweisen und den Wunsch wecken, Teil eines Prozesses zu werden, der ergebnisoffen ist. Narrative konkreter Beispiele hingegen laden Zuhörer dazu ein, das Potenzielle mit der Lebenswirklichkeit in ihrer Organisation zu verknüpfen und somit künstlerische Interventionen als Möglichkeit wahrzunehmen, die es auszuprobieren lohnt.


Künstlerische Interventionen werden oft als Weg bezeichnet, um in Organisationen Routinen aufzubrechen und Neues entstehen zu lassen. Doch der Weg selbst ist ungewöhnlich und für Organisationen keineswegs selbstverständlich. Bewährte Routine-Abläufe garantieren das effiziente Abarbeiten von Problemen und produzieren eine bestimmte Form von Erwartbarkeit; künstlerische Interventionen bedeuten für diese Abläufe immer eine Störung. Gleichzeitig sind Effekte von künstlerischen Interventionen von Organisation zu Organisation verschieden und entziehen sich den herkömmlichen Evaluierungsmethoden.

In ihrem Beitrag zu diesem Heft (siehe S. 9-12 [im Schattenblick unter www.schattenblick.de → Politik → Wirtschaft: UNTERNEHMEN/2443: Wenn Schräges das Neue anstößt (WZB)]) beschreibt Ariane Berthoin Antal das Zusammentreffen von mehreren Faktoren, die ein Einlassen auf solch einen neuen Ansatz wahrscheinlicher machen: Berichte darüber, wie andere Organisationen von künstlerischen Interventionen profitiert haben, Frustration über ein ungelöstes Problem innerhalb der Organisation und eine Führungspersönlichkeit, die es wagt, sich auf neues Terrain zu begeben.

Frustration allein jedoch bietet Führungspersönlichkeiten keinen hinreichenden Anlass, sich ausgerechnet für eine künstlerische Intervention in ihrer Organisation zu entscheiden. Für eine solche Entscheidung spielt Vorstellungskraft eine entscheidende Rolle. Vermittler künstlerischer Interventionen nutzen erfolgreich verschiedene ästhetische Strategien, um Narrative zu gestalten, die in der Lage sind, die menschliche Vorstellungskraft zu aktivieren.


Vom Möglichen erzählen

Die Verantwortlichen des Projekts "Unternehmen! KulturWirtschaft" am Nordkolleg Rendsburg stellten sich 2012 die Aufgabe, Kooperationen zwischen Kunst und Wirtschaft zu fördern. Wie die Projektleiterin berichtet, war die größte Schwierigkeit "die Ansprache an Unternehmen so zu gestalten, dass sie diese überzeugt, sich auf solch eine Kooperation einzulassen". Kunstförderung zu Marketingzwecken oder als mäzenatische Tätigkeit waren bekannte Arten für Organisationen, sich mit Kunst in Beziehung zu setzen, aber wie man mit Künstlern an organisationsrelevanten Themen arbeiten könnte und wie Kunst in den Arbeitsalltag oder auf strategischer Ebene einbezogen werden sollte, konnte sich niemand vorstellen. Obwohl die Projektverantwortlichen Begriffe wie Innovation oder Kreativität benutzten, blieb die Idee, durch Kunst etwas über das eigene Tun zu lernen, für die angesprochenen Unternehmen abstrakt. Dies änderte sich erst, nachdem Unternehmen! KulturWirtschaft die erste künstlerische Intervention angeregt und begleitet hatte.

Die Erfahrungen aus dieser ersten Intervention ermöglichten den Projektverantwortlichen, Narrative zu entwickeln, die abstrakte Begriffe aus der Wirtschaft mit konkreten Beispielen verbinden. Statt von verbesserter interner Kommunikation zu reden, können sie heute erzählen, wie die Mitarbeiter eines auf die gesamte Bundesrepublik verstreuten Unternehmens für Futtermittel gemeinsam mit zwei Comic-Zeichnern eine Landkarte ihrer Organisation schufen, die die Perspektiven aller Standorte mit einbezog. Solche Beispiele machen künstlerische Interventionen greifbar, denkbar. Gleichzeitig sind sie so offen, dass sich Vermittler künstlerischer Interventionen nicht auf starre Zusammenhänge von Ursache und Wirkung festlegen müssen, sondern Relevanz signalisieren können, ohne vorgefertigte Ergebnisse zu präsentieren.

Doch nicht nur der Inhalt, auch die Form des Erzählten spielt eine Rolle. Während die Träger von Unternehmen! KulturWirtschaft anfangs vor allem eine Sprache benutzten, die von abstrakten Begriffen aus der Wirtschaft dominiert wurde, wurde ihre Sprache im Laufe der Zeit immer bildhafter. Das Bild einer Reise erlaubte ihnen beispielsweise zu vermitteln, dass es bei den Kooperationen vor allem um den Prozess, nicht so sehr um ein fertiges (Kunst-)Produkt geht. Eine solche Sprache ist bewusst darauf ausgelegt, in den Köpfen der Zuhörer ein lebendiges Bild hervorzurufen, das nicht schon Bekanntes abbildet, sondern das einlädt, sich unter dem Vorhaben etwas Neues vorstellen zu können.

Von ähnlicher Bedeutung für das Erkennen von künstlerischen Interventionen als Möglichkeit, sich anders mit sich und seinem Tun auseinanderzusetzen, sind visuelle Elemente.


Das Mögliche zeigen

Seit 2011 beschäftigt sich das an der Universität der Künste Berlin angesiedelte Projekt "lived/space/lab" mit dem Zusammenhang zwischen gebautem und gelebtem Stadtraum im Berliner Stadtteil Lichtenberg, der kurz nach Projektstart Stadtentwicklungsgebiet wurde. Die Teilnehmer des Projekts begannen mit einer Erkundung des Stadtraums. Ihre leitenden Fragen waren: Welche Atmosphäre nehme ich an verschiedenen Orten wahr? Wie orientiere ich mich - welche anderen Sinne werden neben dem Auge angesprochen? Die Eindrücke hielten sie visuell fest. Auf einer Karte wurden unterschiedliche sinnliche Eindrücke innerhalb des Stadtgebiets farbig markiert und mit Zeichnungen, Fotografien oder Kollagen kombiniert, die das Gefühl repräsentierten, das an den markierten Orten entstand.

Zur abschließenden Präsentation wurden auch die zuständigen Stadtplaner von Bezirk und Senat eingeladen, die von dieser Art, Stadtraum zu beschreiben, begeistert waren. "Das war für mich ein Aha-Erlebnis. Auf dem Plan waren Aspekte verzeichnet, die sich genau mit meinen Empfindungen gedeckt haben, die ich hatte, als ich durch dieses Gebiet gegangen bin. An einer Stelle war beispielsweise verzeichnet, dass es nach Rosen geduftet hat, das weiß ich noch", beschreibt eine Mitarbeiterin der Senatsverwaltung ihren ersten Eindruck. Es war die Visualisierung von sinnlichen Qualitäten des Stadtraums, die den Berliner Stadtplanern einen neuen Blick auf ihr Gebiet eröffnete und ihnen zeigte, was auch möglich ist. Dabei realisierten sie, dass diese Darstellung etwas vom Stadtraum erfasste, das mit den herkömmlichen stadtplanerischen Methoden nicht greifbar war. "Mit den planerischen Verfahren, mit denen wir das Gebiet bewerten und quantifizieren, nimmt man Atmosphärisches nicht wahr, und auch nicht, wie die Anwohner ihr Gebiet wahrnehmen oder es sich aneignen. Das fand ich unglaublich, denn das hab ich vorher so noch nie gesehen", sagte ein Mitarbeiter des Stadtplanungsamts Lichtenberg. Die für den Stadtumbau Zuständigen aus Politik und Verwaltung waren so begeistert von dem künstlerischen Projekt, dass sie entschieden, es Teil des Planungsprozesses werden zu lassen.

Auch die Verantwortlichen von Unternehmen! KulturWirtschaft bedienen sich in ihrer Arbeit zunehmend visueller Elemente. Die Illustration ihrer Beispiele mit Comic-Zeichnungen versieht Texte mit einer ästhetischen Dimension, die auf die Mannigfaltigkeit möglicher Interpretationen hinweisen. Die Visualisierung wird somit ein Gegengewicht zu den abstrakten Begriffen aus der Wirtschaftssprache, die einen eher homogenen Interpretationsrahmen für die Narrative über die Möglichkeiten künstlerischer Interventionen in Organisationen liefern. Gemeinsam mit der Verwendung von bildhafter Sprache ist eine solche ästhetische Dimension darauf ausgelegt, die Vorstellungskraft der Angesprochenen zu aktivieren und sie anzuregen, das Mögliche mit dem Existierenden im eigenen Kontext zu verknüpfen.


Mögliches erfahrbar machen

Neben Erfahrungsberichten, die ein Bild im Kopf der Zuhörer entstehen lassen, und visuellen Elementen, die multiple Interpretationsweisen zulassen, kann eine vorübergehende Veränderung von Räumen oder Situationen Mögliches erfahrbar machen.

Nachdem die Verantwortlichen des Bezirks Lichtenberg eine mehrjährige Finanzierung des Projekts bewilligt und die Studierenden gemeinsam mit Anwohnern den erfahrbaren Raum und gelebte Orte dokumentiert hatten, war es Zeit, sich mit der Zukunft zu beschäftigen. Neben Orten, die sie kannten, erzählten die Anwohner auch über Orte, die sie sich (anders) wünschten. Einer dieser Orte war eine überdimensionierte Kreuzung, die für alle Verkehrsteilnehmer unübersichtlich und daher auch von den Stadtplanern als Problem wahrgenommen wurde.

Die Dozentin ließ mit ihren Studenten die Kreuzung für einen Tag sperren, um gemeinsam mit Anwohnern und verschiedenen lokalen Akteuren den Platz für eine begrenzte Zeit anders zu nutzen. Während dieses Tages wurde auf dem Platz eine große Tafel aufgebaut, an der Menschen gemeinsam aßen, es wurde ein Fußballturnier veranstaltet und Konzerte gegeben. Die Teilnehmer an diesem Ereignis - unter ihnen auch die Bezirksverantwortlichen aus Politik und Verwaltung - konnten erfahren, wie eine mögliche Zukunft des Platzes aussehen könnte. "Obwohl wir theoretisch wussten, dass da was geschehen muss, hat [sie] mit ihren Studenten den Platz mit Leben erfüllt und uns das bewusst vor Augen geführt, wie das aussehen könnte, wenn der Platz belebt ist." Diese Erfahrung ließ die Gestaltung des Platzes als einen Raum der Begegnung in der Priorität der Stadtplaner steigen.

Auch andere Vermittler von künstlerischen Interventionen gestalten temporäre Zusammenhänge, in denen das Mögliche erfahrbar wird. So veranstaltet zum Beispiel TILLT Schweden regelmäßig sogenannte innovation labs, in denen Vertreter verschiedenster Organisationen gemeinsam mit einem Künstler über 24 Stunden an häufig auftretenden Herausforderungen für Organisationen arbeiten, wie beispielsweise an der Kommunikation in internationalen Projekten. Die Gestaltung solcher temporären Räume der Zusammenarbeit dient vor allem dazu, den Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen mit künstlerischen Arbeitsweisen zu machen und somit künstlerische Interventionen als Möglichkeit wahrzunehmen, die es in der eigenen Organisation auszuprobieren gilt.


Fazit

Um sich auf künstlerische Interventionen einzulassen, muss in einer Organisation das Potenzial einer solchen Intervention erkannt und als wertvoll erachtet werden. In Organisationen wird Kunst jedoch oft als das andere wahrgenommen, sodass die Schwelle, den Wert einer künstlerischen Intervention zu sehen, oft sehr hoch ist. Vermittlung spielt daher eine zentrale Rolle für das Zustandekommen von solch ungewöhnlicher Zusammenarbeit. Vermittler von künstlerischen Interventionen in Organisationen benutzen nur bedingt organisationsrelevante Sprache, da sich das Potenzial von Kunst so nicht erschließen lässt.

Vermittler von künstlerischen Interventionen entwickeln vielmehr Narrative, die an die Vorstellungskraft von Entscheidern zu appellieren. Dafür verwenden sie unterschiedliche ästhetische Strategien, wie etwa die Verwendung einer bildhaften Sprache, visuellen Elementen oder das Herstellen von Situationen, in denen das Mögliche erfahrbar wird. Solche ästhetischen Strategien sind darauf ausgelegt, Bilder im Kopf der Angesprochenen entstehen zu lassen, die eine Vielfalt von Deutungsweisen erlauben, und dazu einladen, eine Verbindung zu der eigenen Lebenswelt zu ziehen. Das Potenzial von künstlerischen Interventionen wird somit sinnlich erschlossen. Dieses sinnliche Erkennen von Möglichkeiten künstlerischer Interventionen in die eigene Organisation sät den Wunsch nach realer Veränderung, die das Beschreiten eines solch ungewöhnlichen Weges sinnvoll erscheinen lassen.

Anke Strauß ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt "Künstlerische Interventionen in Organisationen" der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem Verhältnis zwischen Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft vor allem in Bezug auf die Rolle der Künstler. Zurzeit forscht sie zu Intermediären und beschäftigt sich mit ästhetischen Fragen zu alternativen Prozessen des Organisierens.
anke.strauss@wzb.eu


Literatur

Berthoin Antal, Ariane/Strauß, Anke: "Multistakeholder Perspectives on Searching for Evidence of Values-added in Artistic Interventions in Organizations". In: Ulla Johansson/ Jill Woodilla/Ariane Berthoin Antal (Eds.): Artistic Interventions in Organizations: Research, Theory and Practice. London: Routledge (forthcoming).

Berthoin Antal, Ariane/Strauß, Anke: "Record, Replay, Shuffle and Switch: How to See More and Differently with Artists in Organizations". In: International Journal of Professional Management, 2013, Vol. 8, No. 5, pp. 17-28.

Hebert, Saskia: lived space lichtenberg # 1. Berlin: Universität der Künste Berlin 2014.

Strauß, Anke: Researchers, Models and Dancing Witches: Tracing Dialogue between Art and Business. PhD Thesis. University of Essex, UK 2013 (unpublished manuscript).

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 145, September 2014, Seite 13-16
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2014