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BUCHTIP/110: Doktorarbeit über den Persönlichkeitsschutz von Prominenten (idw)


Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf - 10.08.2010

Soraya, Böll, Caroline & Co.:
Doktorarbeit über den Persönlichkeitsschutz von Prominenten


Frage: Was haben Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll und Pop-Ikone Nena gemeinsam mit einer monegassischen Fürstentochter, derzeitige Prinzessin von Hannover? Was verbindet Schlager- und Filmstar Caterina Valente mit der persischen Ex-Kaiserin Soraya und Bühnenlegende Gustaf Gründgens? Antwort: Alle waren, alle sind prominent. Und alle führten Prozesse, weil sie sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sahen.Eine juristische Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität greift das Thema auf. Titel: "Wahrung der Intimität? Grenzen des Persönlichkeitsschutzes für Prominente".

Die Grundfragen sind einfach. Und kompliziert zugleich. "Müssen Prominente grenzen- und schutzlos Eingriffe in ihr Persönlichkeitsrecht hinnehmen" Wenn dies nicht der Fall ist, welche Grenzen müssen die Medien einhalten und welche müssen auf typische Kollisionsfälle hin modifiziert werden?" So fragt Autorin Nina Fechner (28) in der Einleitung ihrer Doktorarbeit. Und analysiert auf den folgenden 186 Seiten spektakuläre Gerichtsentscheidungen.

Zum Beispiel den "Fall Soraya". Soraya Esfandiary Bakhtiari (1932 bis 2001), Tochter eines persischen Diplomaten und einer deutschen Mutter, war von 1951 bis 1958 mit Schah Mohammad Reza Pahlavi verheiratet. Die Ehe wurde wegen Kinderlosigkeit geschieden. Seit den 50er Jahren war "die Deutsche auf dem Pfauenthron" Dauerthema der bundesrepublikanischen Regenbogenpresse und Trockenhaubenliteratur.

Zum Beispiel im "Neuen Blatt mit Gerichtswoche", eine zum Springer-Konzern gehörende Wochenzeitschrift. Auf Seite 1 der Ausgabe vom 29. April 1961 titelte die Gazette: "Soraya: Der Schah schreibt mir nicht mehr". Es folgte ein so genannter Sonderbericht mit "Exklusiv-Interview", inklusive Details aus dem Privatleben.

Das Interview stammte von einer freien Mitarbeiterin des Klatschblattes: Es war schlichtweg erfunden. Zwar brachte die Zeitschrift später eine kurze Gegendarstellung, dass das Interview nie stattgefunden habe, - eingerückt in eine neue Soraya-Story. Das Boulevard-Opfer gab sich jedoch damit nicht zufrieden. Soraya reichte Klage beim Landgericht ein, das ihr Schadensersatz aufgrund der Persönlichkeitsverletzung zusprach. Hiergegen wiederum legten Verlag und Chefredakteur Berufung beim Bundesgerichtshof ein. Und verloren.

Nina Fechner: "Der BGH begründete seine Entscheidung damit, dass das veröffentlichte, fingierte Interview Sorayas Persönlichkeitsrecht in rechtswidriger Weise verletze. Der Verlag habe in dem Bestreben, die öffentliche Anteilnahme an dem Schicksal Prinzessin Sorayas geschäftlich auszuwerten, über ihre Person verfügt, indem sie ihr Äußerungen über ihre Privatsphäre in den Mund gelegt hätten, die sie nicht getan habe. (...) Bei dem Aufsehen, das der Abdruck eines Interviews der Ex-Kaiserin von Persien in der interessierten Öffentlichkeit finden würde, hätte Anlass zu besonderer Sorgfalt bestanden: Eine einfache Rückfrage hätte den Schwindel sogleich aufgedeckt."

Das BGH-Urteil ging als "Soraya-Entscheidung" in die bundesdeutsche Rechtsgeschichte ein.

Ein anderes Beispiel: der "Fall Böll". In der Spätausgabe der "Tagesschau" am 21.11.1974 berichtete die ARD über den Staatsakt aus Anlass der Beisetzung des zehn Tage zuvor von der "Bewegung 2. Juni" ermordeten Präsidenten des Berliner Kammergerichts, Günter von Drenkmann. Anschließend wurde ein Kommentar von Mathias Walden, Chefkommentator des SFB, ausgestrahlt. Darin fanden sich folgende Passagen: "Der Boden der Gewalt wurde durch den Ungeist der Sympathie mit den Gewalttätern gedüngt. Jahrelang warfen renommierte Verlage revolutionäre Druckerzeugnisse auf den Büchermarkt. Heinrich Böll bezeichnete den Rechtsstaat, gegen den die Gewalt sich richtet, als 'Misthaufen' und sagte, er sehe nur 'Reste verfaulender Macht, die mit rattenhafter Wut verteidigt würden'. Er beschuldigte diesen Staat, die Terroristen 'in gnadenloser Jagd' zu verfolgen."

Gegen diesen Kommentar erhob Böll, gerade zwei Jahre vorher mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, Klage mit den Verweis darauf, er sei falsch zitiert worden.

Nina Fechner: "Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht gab ihr statt. Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und stellte das klageabweisende Urteil mit der Begründung wieder her, dass die Äußerungen Waldens durch ein vertretbares Verständnis von Bölls Veröffentlichungen gedeckt seien und somit nicht in unzulässiger Weise in das Persönlichkeitsrecht Bölls eingriffen. Das Bundesverfassungsgericht hob wiederum die Entscheidung des BGH auf.

Diese Entscheidung begründete es zum einen damit, dass die getätigten Äußerungen eine Herabsetzung Bölls in der Öffentlichkeit hervorriefen, insbesondere, da sie durch Zitate belegt zu sein schienen. Derjenige, der zitiere, dürfe seine Kritik nicht derart in das Zitat einfließen lassen, dass es den Inhalt des Gesagten entstellt wiedergebe."

Hauptabwägungskriterien bei gerichtlichen Grundrechtsabwägungen, so Nina Fechner, seien - gerade bei prominenten Einzelfällen - die "Intensität des Eingriffs" und der "Wahrheitsgehalt der Aussage".

Ärger mit der Presse hatte auch Gabriele Susanne Kerner, besser bekannt als "Nena" ("99 Luftballons"). Das Landgericht Hamburg musste sich mit einem nicht genehmigten Zweitabdruck eines "Bodypainting-Fotos" des Schlagerstars auf der Titelseite der Ost-Postille "Super-Illu" befassen.

Die Kammer hielt die "blickfangmäßige Veröffentlichung" des Nena-Nacktfotos auf dem Titel "wegen der damit verbundenen Vereinnahmung für die Verkaufs- und Eigenwerbung der Zeitschrift für unzulässig". Das Gericht bezog sich in seiner Entscheidung auf ein BGH-Urteil, das der Schauspieler Paul Dahlke (Kästner-Verfilmung "Drei Männer im Schnee") 1956 erwirkt hatte: Er war, ohne sein Einverständnis, auf einer Reklameseite für Motorroller abgebildet worden (Werbung: "Berühmter Mann auf berühmtem Fahrzeug"). Ausschlaggebend für den BGH: das "wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht als Ausprägung des Persönlichkeitsrechts". Nina Fechner: "Die für die Abwägung maßgebliche Frage lautet: Dient die Veröffentlichung dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit oder lediglich dem Kaufanreiz der Kunden" (..) Der Werbeaspekt überwiege in diesem Einzelfall ein mögliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Wiedergabe der Aufnahme, da eine angemessene Berichterstattung über die Existenz und Entstehungsgeschichte des Fotos auch auf eine andere Weise hätte erfolgen können. Im Ergebnis wurde somit eine Verletzung des Schutzes vor kommerzieller Ausnutzung Prominenter festgestellt. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Prominenten überwog die Pressefreiheit der Zeitschrift."

Dann der juristisch-journalistische Dauerbrenner. Nina Fechner überschreibt das ausführliche Kapitel "Verfassungsrechtsprechung am Beispiel des Klassikers 'Caroline von Monaco'". Zitat: "Niemand hat in den letzten Jahren mehr für die verfassungsrechtliche Weiterentwicklung des Persönlichkeitsschutzes - insbesondere im Bereich des Rechtes am eigenen Bild - gegenüber Massenmedien getan und erreicht als Prinzessin Caroline von Hannover, die vormalige Prinzessin Caroline von Monaco."

Nina Fechner dokumentiert drei verschiedene Foto- und Klageserien. Die erste Fotoserie ist aus dem Jahre 1993. Die Zeitschriften "Freizeit Revue" und "Bunte" veröffentlichten Bilder, die Caroline mit einem Schauspieler im Restaurant, bzw. beim Reiten und Kanufahren zeigten. Die Prinzessin klagte vor dem Landgericht Hamburg auf Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes. Sie scheiterte als "absolute Person der Zeitgeschichte", die eine ständige Belagerung durch Paparazzi hinnehmen müsse. Auch ihre Berufung beim OLG Hamburg wurde abgelehnt. Die Prinzessin legte Revision beim BGH ein. Der urteilte: Die intimen Restaurantfotos beim Privatgespräch erfüllten das Kriterium einer "örtlichen Abgeschiedenheit", die auch Personen der Zeitgeschichte zugebilligt werden müsse. Die Veröffentlichung der Bilder sei also zu untersagen. Anders die Sportfotos, die in aller Öffentlichkeit gemacht wurden. Hier habe die Bevölkerung ein legitimes Interesse am Alltagsleben der Prinzessin. Die legte nun gegen das BGH-Urteil eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Und scheiterte.

Die zweite Foto- und Klageserie datiert von 1997. Die "Bunte" veröffentlichte Bilder der Prinzessin beim Skifahren, Tennisspielen und beim Besuch eines Reitturniers in Begleitung von Prinz Ernst August von Hannover ("Der Kuss. Oder: jetzt verstecken sie sich nicht mehr"). Das Landgericht Hamburg lehnte ihre Klage ab, das Bundesverfassungsgericht nahm, mit Verweis auf seine vorherige Entscheidung, die Beschwerde erst gar nicht an.

Die dritte Fotoserie (1997) zeigte die Prinzessin in einem Beach-Club in Monte Carlo. Fechner: "Abgebildet wurde die Prinzessin bei einem Stolperer, der sie zu Boden stürzen lässt. Die Bildkommentierung in der 'Neuen Post' lautete: 'Prinz Ernst August haut auf den Putz und Prinzessin Caroline fiel auf die Nase.'"

Die Prinzessin schaltete ihre Anwälte ein. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht wiesen die Klage ab, auch das Bundesverfassungsgericht stellte keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte fest.

Caroline blieb hartnäckig, - und wandte sich im Jahr 2000 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Der sollte nun die Leitentscheidung des BGH und die Verfassungsgerichtsentscheidung prüfen. Fechner: "Vier Jahre später gelangte dieser zu dem Urteil: Gewogen und für zu leicht befunden."

Der EGMR widersprach dem Bundesverfassungsgericht in allen wesentlichen Punkten. Fechner: "Die wohl weitreichendste und entscheidendste These betrifft die Einordnung der Unterhaltungsmedien in den Schutzbereich der Pressefreiheit. Der EGMR fordert eine fundamentale Trennung zwischen Berichten über Tatsachen, die einen Beitrag zur öffentlichen Debatte in einer demokratischen Gesellschaft leisten können, und Berichten über das Privatleben von Personen ohne offizielle Funktionen. Die hier zu beurteilenden Fotos seien nur dazu bestimmt, die Neugier der Leserschaft zu befriedigen. Aus diesem Grund bestehe nur ein eingeschränkter Schutz durch die Pressefreiheit."

Selbst bei einem möglichen Interesse der Öffentlichkeit am Alltag einer prominenten Person habe deren Privatsphäre Vorrang. Die Kategorie "absolute/relative Person der Zeitgeschichte" sei allein für Politiker in öffentlichen Ämtern zutreffend.

Das "Caroline-Urteil" von 2004 hatte für die deutsche Rechtsprechung weitreichende Folgen und gilt seitdem als Orientierung und Auslegungshilfe.

Nicole Fechners Fazit: "Fakt ist und bleibt - auch nach der Entscheidung des EGMR -, dass wir uns der bunten Bilder der Prominenten in der Regenbogenpresse, ob mit oder ohne Einwilligungserfordernis, nicht werden entziehen können. Denn was ist ein Leben in der Öffentlichkeit ohne das Sahnehäubchen Titelblatt?" (R. W.)

Nina Fechner: "Wahrung der Intimität? Grenzen des Persönlichkeitsschutzes für Prominente" (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 2, Rechtswissenschaft Vol. 5062), Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main, 2010, 186 Seiten, 42,80 Euro

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution223


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Rolf Willhardt, 10.08.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2010