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ARBEITSRECHT/259: Videoüberwachung von Arbeitnehmern als Beweismittel? (idw)


Hochschule Fresenius - 15.08.2018

Videoüberwachung von Arbeitnehmern als Beweismittel?
Bundesarbeitsgericht entscheidet am 23.8.2018


Wer als Arbeitnehmer klaut, dem darf gekündigt werden. Diese Erkenntnis verwundert wenig. Wie ist es aber, wenn der Arbeitgeber die Beweismittel durch eine Videoüberwachung des Arbeitnehmers gewonnen hat? Dürfen diese Beweismittel verwendet werden? Nein, urteilte die Vorinstanz und gab der Arbeitnehmerin, die gegen die Kündigung geklagt hatte, Recht. Hiergegen legte der Arbeitgeber Revision ein - das Bundesarbeitsgericht entscheidet hierüber am 23.8. Angesichts des Inkrafttretens der neuen Datenschutzgrundverordnung, ist die anstehende Entscheidung daher mit Spannung zu erwarten. Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius, gibt dazu eine Einschätzung.


Hamburg. Den Arbeitnehmer schützen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Diese im Grundrecht verankerten Rechte gestatten dem Arbeitnehmer, über die Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich allein zu entscheiden. Der Arbeitgeber hat hingegen ein berechtigtes Interesse, Straftaten und Pflichtverletzungen seiner Arbeitnehmer im Betrieb aufzuklären. "Im Zweifel ist zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht und den berechtigten Interessen des Arbeitgebers abzuwägen", weiß Prof. Dr. Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius.

Datenschutzrecht gibt genaue Vorgaben

Das Datenschutzrecht sieht daher eine solche Abwägung zwischen den beiderseitigen Interessen gem. § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vor. "Auf einzelne Arbeitnehmer gerichtete Ermittlungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn der Arbeitgeber einen konkreten Verdacht einer Pflichtverletzung oder Straftat hat. Ermittlungen 'ins Blaue hinein' sind unzulässig. Dabei gewonnene Erkenntnisse sind dann oftmals nicht verwertbar", so Fuhlrott.

Sonderregelungen für Videoüberwachungen

Für Videoüberwachungen finden sich im BDSG zudem genaue Regelungen, was erlaubt ist und was nicht. Diese sind nach Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung zum 25.5.2018 nochmals verschärft worden. Öffentlich zugängliche Räume dürfen nur überwacht werden, wenn dies zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist, so schreibt das BDSG es in § 4 vor. Durch einen entsprechenden Hinweis muss auf die bestehende Videoüberwachung hingewiesen werden. Die erhobenen Daten sind zudem unverzüglich zu löschen, wenn die Speicherung zur Zweckerreichung nicht mehr erforderlich ist. "Durch das neue Datenschutzrecht sind die Vorgaben für offene Videoüberwachungen, die Arbeitgeber zu wahren haben, nochmals verschärft worden", so Fuhlrott. Um eine solche Videoüberwachung handelte es sich in dem aktuellen Fall.

Verdeckte Videoüberwachungen nur in Ausnahmen

Noch strenger ist hingegen der Maßstab bei verdeckten Videoüberwachungen, also solchen, von denen der Arbeitnehmer keine Kenntnis hat. "Verdeckte Videoüberwachungen von Arbeitnehmern sind nur in Ausnahmefällen erlaubt, wenn der Arbeitgeber einen konkreten Verdacht hat und andere Mittel zur Aufklärung ausscheiden", erklärt der Arbeitsrechtler.

Sachverhalt der aktuellen Entscheidung

Über welchen Fall muss das BAG am 23. August entscheiden? Der Arbeitgeber betrieb eine Lottoannahmestelle und verdächtigte eine Arbeitnehmerin aufgrund von im August 2016 angesehenen Videoaufnahmen der offenen Videoüberwachung im Verkaufsraum, bereits im Februar 2016 mehrere Geldbeträge unterschlagen zu haben. Er kündigte daraufhin außerordentlich fristlos.

Diese Kündigung war vor dem Landesarbeitsgericht Hamm erfolglos. Der Arbeitgeber habe durch die lange Aufbewahrung der Videobänder gegen datenschutzrechtliche Vorgaben verstoßen. Die Aufnahmen hätten unverzüglich gelöscht werden müssen. Eine Einsichtnahme erst nahezu ein halbes Jahr später sei unzulässig. Daher sei gegen das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmerin verstoßen worden. Das Gericht qualifizierte die Videoaufnahmen und die hierauf beruhenden Aussagen von Zeugen als unverwertbar. Der Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Arbeitnehmerin überwiege hier das Arbeitgeberinteresse an Aufklärung. Daher sei die Kündigung unwirksam.

Entscheidung des BAG mit Blick auf neues Datenschutzrecht?

"Die Vorinstanz stellt sich damit auf eine eher formalistische Betrachtung", so Fuhlrott. Es sei richtig, dass das Datenschutzrecht die unverzügliche Löschung von Aufnahmen vorschreibt. "Allerdings muss auch in solchen Fällen eine Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteresse erfolgen." In anderen Fällen in der Vergangenheit habe das BAG etwa Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorgaben dahinstehen lassen, wenn es bei einer Abwägung zu einem Überwiegen des Arbeitgeberinteresses kam. "Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Normen nicht per se zur Unverwertbarkeit führt", meint Fuhlrott. Ob das BAG dieser Linie treu bleibt, hält er für offen: "Einerseits hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit deutlich gemacht, welches Gewicht es der Interessenabwägung beimisst. Andererseits sind durch das neue Datenschutzrecht viele Anforderungen wie weitergehende Dokumentationspflichten gestärkt worden, sodass das Gericht künftig auch eine strengere Linie zugrunde legen könnte", so Fuhlrott. Die Entscheidung am kommenden Donnerstag bleibe jedenfalls mit Spannung abzuwarten.


Prof. Dr. Fuhlrott hat sich mit der Thematik des Arbeitnehmerdatenschutzes und Fragen der Beweisverwertung bereits mehrfach ausführlich in Fachzeitschriften befasst:

Fuhlrott: Keylogger & Arbeitnehmerdatenschutz, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2017, S. 1308 ff.

Fuhlrott/Schröder: Beschäftigtendatenschutz und arbeitsgerichtliche Beweisverwertung, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2017, S. 278 ff.

Fuhlrott: Aktuelle Rechtsprechung zum Beschäftigtendatenschutz, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (GWR) 2017, S. 448 ff.



Weitere Informationen unter:
http://www.hs-fresenius.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hochschule Fresenius, 15.08.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2018

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