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EUROPA/013: Die Rechtsstaatlichkeit in der EU kann man nicht aussetzen (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 3. März 2020

Die Rechtsstaatlichkeit in der EU kann man nicht aussetzen


Berlin (DAV). Die Ankündigung Griechenlands, für einen Monat keine neuen Asylgesuche mehr zu registrieren, bietet Anlass zu großer Sorge. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) fordert, rechtsstaatliche Verfahren und den Zugang zum Recht aufrechtzuerhalten. Das jetzige Vorgehen stellt auch ein Versagen der gesamten EU dar, da es in dieser Situation nicht allein Griechenland überlassen bleiben kann, ein rechtsstaatliches Verfahren zu garantieren.

"Die Lage vor der griechischen Grenze zur Türkei ist eine große gesamteuropäische Herausforderung", gibt Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der DAV-Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht, zu bedenken. Dieses unionsrechtswidrige Verhalten kann nicht gerechtfertigt werden.

Am Sonntag hatte die griechische Regierung angekündigt, angesichts wachsender Zahlen von Geflüchteten vor den Landesgrenzen zur Türkei die Aufnahme neuer Asylanträge für einen Monat auszusetzen. "Rechtsstaatliche Verfahren zu gewährleisten ist eine originäre Aufgabe der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten. Die EU ist ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und muss dies gerade in Ausnahmesituationen unter Beweis stellen", so Oberhäuser.

"Die Dublin-Verordnung steht einer Aussetzung des Asylrechts ausdrücklich entgegen. Das betrifft insbesondere Fälle, in denen Schutzsuchende direkt und ohne Registrierung und Möglichkeit zur Stellung eines Asylantrags in ihr Heimatland abgeschoben werden", so DAV-Europarechtsexperte Dr. Ulrich Karpenstein. Nach der Dublin-III-Verordnung müssen die Mitgliedstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz prüfen, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich Grenzen oder Transitzonen stellt.

Griechenland hatte sich auf die Notlagenkompetenz im Falle eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen berufen - zu Unrecht, erläutert Karpenstein: "Es gilt der Vorrang des Unionsrechts, der ausschließt, dass ein Mitgliedstaat allein handelt und das Unionsrecht 'suspendiert'." Der Europäische Gerichtshof hat bereits 2017 entschieden, dass die Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl Schutzsuchender grundsätzlich keinen Einfluss auf die Anwendung der Dublin-III-Verordnung haben kann. Karpenstein betont: "Was wir jetzt brauchen, ist ein solidarisches europäisches Handeln, indem die Europäische Union gemeinsam für die Gewährleistung der Grundrechtecharta und des europäischen Asylrechtssystems - auch in Krisen - einsteht."

Die europäische Anwaltschaft versucht bereits seit einigen Jahren mit dem Projekt European Lawyers in Lesvos (ELIL), das Fehlen rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien punktuell aufzufangen. Der DAV fordert die Europäische Union angesichts der aktuellen Lage vor den griechischen Grenzen und auf den griechischen Inseln zu gesamteuropäischem Handeln unter Wahrung des Kerns ihrer Identität, der Rechtsstaatlichkeit, auf.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 5/20 vom 3. März 2020
Deutscher Anwaltverein (DAV)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2020

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