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FRAGEN/016: Manipulierte Software bei Kraftfahrzeugen - Mangel, Schadenersatz, Betrug? (TU Dresden)


Dresdner Universitätsjournal Nr. 14 vom 19. September 2017

Rechtliche Situation: Mangel, Schadenersatz, Betrug?

TUD-Experten befragt: Dr. Roman Guski, LL.M. (Notre Dame) zu juristischen Aspekten des Einsatzes von manipulierender Software bei Kraftfahrzeugen

Die Fragen stellte Mathias Bäumel


Wer wurde geschädigt? Wie kann der Schaden wiedergutgemacht und wer sollte bestraft werden? Juristische Aspekte rund um den Auto-Betrugsskandal erfragte UJ bei Dr. Roman Guski, Lehrstuhlvertreter für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht.


UJ: Es gibt den Verdacht, dass Autohersteller mittels speziell entwickelter Software dafür sorgten, dass der Eindruck entsteht, ihre Autos erfüllen die geforderten Abgas-Normen. Wie ist diese Situation rechtlich zu bewerten, wer kann/muss gegen wen ermitteln?

Dr. Roman Guski: Das Verwenden der manipulativen Software hat gegen deutsches Recht verstoßen und auch gegen ausländische Rechtsordnungen, in denen die Kfz verkauft worden sind. Zivilrechtlich gesehen ist der höhere Kraftstoffverbrauch ein Mangel. Deswegen haben Verbraucher bestimmte Ansprüche gegen ihre Verkäufer, etwa zur Beseitigung des Problems und, wenn das nicht möglich ist, zum Rücktritt vom Kaufvertrag, zur Minderung des Kaufpreises und bei Verschulden des Verkäufers auch zum Schadenersatz. Ansprüche der Verbraucher direkt gegen die Hersteller gibt es auch aufgrund der Herstellergarantie, diese beschränkt sich aber normalerweise auf Nachbesserung, also z.B. auf ein Nachrüsten der Software. In Betracht kämen aber auch Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, die in der Rechtsprechung bei planmäßiger Täuschung durchaus angenommen wird. Zivilrechtliche Ansprüche muss grundsätzlich jeder Verbraucher und jeder Händler selbst vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Sammelklagen müssten privat organisiert werden.

Die Manipulationen wirken sich aber nicht nur auf private Verhältnisse aus, sondern haben auch strafrechtliche Konsequenzen: Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Betrugs sind möglich, wenn die Staatsanwaltschaft nachweist, dass Unternehmensmitarbeiter mit Schädigungsvorsatz und in Bereicherungsabsicht gehandelt haben, was nach aktuellem Stand wohl naheliegt.


UJ: Welche Rolle spielt dabei die jahrzehntelang allseitig akzeptierte (vielleicht sogar rechtsverbindlich festgeschriebene?) Gepflogenheit, dass nicht im Realbetrieb, sondern auf dem Prüfstand gemessen wird?

Dr. Roman Guski: Die Frage erinnert an den Dopingfall Jan Ullrich und dessen Einwand, er habe niemanden betrogen, weil jeder wusste oder ahnte, dass im Radsport gedopt wird. Juristisch spielt es durchaus eine Rolle, ob den Betroffenen positiv bekannt war, dass die angegebenen Abgaswerte falsch sind. Denn wenn man eine mangelhafte Sache bewusst akzeptiert, sind Gewährleistungsrechte (Paragraph 442 BGB) und auch ein Betrug (Paragraph 263 StGB) ausgeschlossen. Aber: Zweck der Abgaskontrollen ist es ja, den wirklichen Verbrauch zu ermitteln, sonst wären sie sinnlos. Auf die Angaben darf man dann deshalb grundsätzlich vertrauen. Dass ein Käufer insgeheim dennoch mit Abweichungen rechnet, bedeutet juristisch noch nicht, dass er im konkreten Fall davon wirklich weiß oder gar damit einverstanden ist. Ich finde es ja auch nicht okay, dass mir am Bahnhof die Brieftasche gestohlen wird, nur weil ich weiß, dass so etwas laufend geschieht.


UJ: Sollte sich dennoch der Verdacht bewahrheiten, dass Autohersteller mittels speziell entwickelter Software die Öffentlichkeit über das Schadstoffverhalten ihrer Autos getäuscht haben: Wer (Staatsanwalt?) ermittelt dann gegen wen konkret? (Gegen den "Hersteller"? Firmenchef? Chefingenieur? ...)

Wer also könnte in einer solchen Situation nach Abschluss der Ermittlungen überhaupt angeklagt werden?

Dr. Roman Guski: Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugs, also wegen einer Täuschung, die auf wirtschaftliche Vorteile zielt. Das deutsche Strafrecht kennt - anders als viele europäische Staaten und die USA - keine Strafbarkeit von Unternehmen als solchen, sondern nur die Verantwortlichkeit von Menschen. Ermittelt wird deshalb in Deutschland gegen natürliche Personen, also gegen Mitarbeiter des Unternehmens, die vielleicht an den Manipulationen aktiv beteiligt waren oder diese pflichtwidrig nicht verhindert haben. Das können Ingenieure sein, Abteilungsleiter oder auch der Vorstand. Ein juristisches Problem ist, inwiefern sich Vorstand und leitende Angestellte damit verteidigen können, dass sie von Manipulationen durch ihre Mitarbeiter angeblich nichts gewusst hätten. Grundsätzlich gibt es auch eine strafrechtliche Verantwortung für Unterlassen, aber nur, wenn jemand gegen entsprechende Handlungspflichten verstoßen hat.


UJ: Ab welcher Leitungsebene aufwärts muss das Unternehmen für die schuldhafte Handlung einzelner Manager und Mitarbeiter einstehen - bis zu welcher Ebene steht der Mitarbeiter privat für - eventuell - Betrug ein?

Dr. Roman Guski: Das Unternehmen selbst haftet zivilrechtlich für die Personen, die im Rahmen ihres Aufgabenkreises für das Unternehmen gehandelt haben. Bei vorsätzlichen Rechtsverstößen ist dann wiederum ein Rückgriff des Unternehmens auf den einzelnen Mitarbeiter möglich. Die VW-AG kann sich z.B. an den Ingenieur halten, der die Software manipuliert hat. Im Zweifel ist der aber natürlich nicht imstande, Forderungen in Millionenhöhe zu begleichen, müsste also in die Privatinsolvenz. Darüber hinaus ist jeder Mitarbeiter des Unternehmens, dem eine vorsätzliche Beteiligung nachgewiesen werden kann, strafrechtlich verantwortlich, entweder als Mittäter oder als Gehilfe. Allenfalls wenn von höherer Ebene aus nachweislich ein großer Druck ausgeübt worden wäre, käme für weisungsgebundene Mitarbeiter ein schuldausschließender Notstand als Verteidigung in Betracht, aber das wären krasse Ausnahmen, weil einem Mitarbeiter grundsätzlich zuzumuten ist, rechtswidrige Anweisungen zu verweigern und anzuzeigen.


UJ: Blicken wir auf einen anderen Aspekt, auf die Wiedergutmachung entstandenen Schadens. Vorausgesetzt, es sind einzelne Personen wegen Betrugs oder arglistiger Täuschung schuldig gesprochen worden - wer könnte von wem Schadenersatz verlangen? Der Staat, da ihm Steuereinnahmen verloren gegangen sind? Der Vertragshändler (nicht freier Händler), da die betroffene Automarke an Image verloren hat und weniger verkauft wird? Der Käufer, da sein Auto einen größeren Wertverlust erleidet und er - dies vorausgesetzt - Steuernachzahlungen befürchten müsste?

Dr. Roman Guski: Schadenersatz ist zunächst eine zivilrechtliche Frage zwischen Privatpersonen. Der Verkäufer - also der Händler - muss zunächst nachbessern. Nur wenn dies nicht möglich ist und er selbst schuldhaft gehandelt hat, muss er dem Käufer den Schaden ersetzen, z.B. den Preis für ein vergleichbares Auto mit geringem Verbrauch. Von einem eigenen Verschulden der Händler wird aber praktisch kaum auszugehen sein. Da eine planmäßige Täuschung durch den Hersteller typischerweise auch den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erfüllt, kommen außerdem Ansprüche der Verbraucher direkt gegen den Produzenten in Betracht. Auch die Händler, die vom Produzenten getäuscht worden sind, können von diesem Schadenersatz verlangen. Sie müssen ja, wenn dies möglich ist, Nachrüstungen vornehmen oder den Vertrag rückabwickeln. Vertragliche Ansprüche der Vertriebspartner wegen Imageschadens sind zwar denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich. Wie Massenrückrufe in der Vergangenheit und auch die aktuell steigenden Verkaufzahlen von VW zeigen, haben Verbraucher entweder ein kurzes Gedächtnis oder sie wittern Schnäppchen, so dass den Händlern aufs Ganze gesehen kaum Umsatzeinbußen entstehen. Ein echter Absatzkiller wären drohende Fahrverbote - aber im laufenden Wahlkampf sprechen sich natürlich fast alle Politiker dagegen aus. Was den Staat angeht: Er kann nicht ohne weiteres entgangene Steuereinnahmen wegen real höherer Abgase geltend machen. Gutgläubige Steuerzahler genießen Vertrauensschutz. Im Übrigen muss auch ein Mörder nicht für diejenigen Steuern aufkommen, die das Opfer später vielleicht noch gezahlt hätte.


UJ: Wonach würde sich denn der jeweils erlittene Schaden bemessen?

Dr. Roman Guski: Schaden ist nach bürgerlichem Recht das, was ein Betroffener an vermögenswerten Nachteilen erleidet. Das kann der geringere Wert des Autos sein, aber auch andere Posten, die 'adäquat kausal' - also vorhersehbar - verursacht worden sind. Im Steuerrecht würde es um die Differenz zwischen gezahlten und geschuldeten Steuern gehen.


UJ: Welche Rolle spielt die Tatsache, dass der Staat jahrzehntelang mit seinen abgasbezogenen Steuerregelungen ganz offensichtlich und wider besseres Wissen solche Schlupflöcher gestattet hat?

Dr. Roman Guski: Siehe oben Frage 2. Im Übrigen ist zu bezweifeln, dass der Staat auch Betrugsfälle und den damit verbundenen Imageschaden stillschweigend gebilligt hätte. Dazu dürfte der Automobilstandort Deutschland politisch und volkswirtschaftlich viel zu wichtig sein.

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 28. Jg., Nr. 14 vom 19.09.2017, S. 3
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2017

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