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INTERNATIONAL/016: Mexiko - Erste Generalstaatsanwältin im Amt, Frauenmorde als Herausforderung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. April 2011

Mexiko: Erste Generalstaatsanwältin im Amt - Frauenmorde als Herausforderung

Von Daniela Pastrana

Demonstrantin gegen Frauenmorde - Bild: © Daniela Pastrana/IPS

Demonstrantin gegen Frauenmorde
Bild: © Daniela Pastrana/IPS

Mexiko-Stadt, 11. April (IPS) - In Mexiko steht erstmals eine Frau an der Spitze der Generalstaatsanwaltschaft. Doch die Freude der Frauenrechtsbewegung im Land ist angesichts der ausufernden Gewalt verhalten. Auch die Kaltblütigkeit, mit der Frauenaktivistinnen, Polizeichefinnen und Mitglieder ein und derselben Familie hingerichtet wurden, dämpft den Enthusiasmus.

Am 7. April stimmte der mexikanische Senat der Ernennung der 41-jährigen Juristin Maricela Morales zur neuen Generalstaatsanwältin des lateinamerikanischen Landes zu. Sie bekleidet nun eines der wichtigsten Ämter der Regierung des konservativen Staatspräsidenten Felipe Calderón.

Morales wird sich auch mit fünf Verbrechen auseinandersetzen, die in den letzten vier Monaten selbst die gewaltgewohnte mexikanische Gesellschaft erschüttert hat: die Ermordung von zwei Frauenrechtlerinnen, zwei Polizeichefinnen und drei weiteren Mitgliedern der Familie der ebenfalls ermordeten Sozialaktivistin Josefina Reyes.


"Wir Frauen sind keine Kriegsbeute"

"Wir Frauen sind keine Kriegsbeute. Schluss mit den Frauenmorden", war am 6. April auf einem Transparent in Mexiko-Stadt zu lesen. In der mexikanischen Hauptstadt und zwei Dutzend weiteren Städten fanden an jenem Tag Demonstrationen gegen die Gewalt im Lande statt, die seit dem Amtsantritt von Calderón 2007 und seiner Militarisierung des Anti-Drogen-Kampfes 35.000 Todesopfer gefordert hat.

"Das Land durchlebt einen kritischen Augenblick, den schwierigsten seit mindestens 30 Jahren", meint Emilienne de León, Leiterin der Frauenorganisation 'Instituto del Liderazgo Simone de Beauvoir'. "Eine solche Situation lässt keinen Raum mehr für die Fortschritte an der Frauenfront und für andere wichtigen Themen, die Rückschläge hinnehmen mussten."

Die Militarisierung des Anti-Drogenfeldzugs hat den Norden Mexikos quasi in ein Kriegsgebiet verwandelt. Vor allem der Bundesstaat Chihuahua ist betroffen. Dort liegt auch Ciudad Juárez, die weltweit verrufene 'Stadt der Frauenmorde'. Hatte das allgemeine Klima der Gewalt die geschlechtsspezifischen Übergriffe auf Frauen in dem Bundesstaat in Vergessenheit geraten lassen, treten sie nun aufgrund der Brutalität im Umgang mit den Opfern wieder in den Vordergrund.


Bodenlose Gewalt

Die Organisation 'Justicia para Nuestras Hijas' (Gerechtigkeit für unsere Töchter) hat das Verschwinden von 107 Frauen und Mädchen in Chihuahua 2010 dokumentiert. Auch die Zahl der Frauenmorde nimmt immer weiter zu, beklagt die Leiterin der Organisation, Norma Ledezma. "Das Problem ist bodenlos."

Marisela Escobedo wurde am 17. Dezember 2010 vor dem Eingang des Regierungspalastes von Chihuahua erschossen. Die Aktivistin hatte zwei Jahre lang gegen die Freilassung ihres Schwiegersohns protestiert, der die Ermordung ihrer Tochter Rubí gestanden hatte, ein Opfer innerfamiliärer Gewalt.

Doch die Gewalt gegen Frauen hat auch im neuen Jahr Tote gefordert. So wurde am 11. Januar die 36-jährige Lyrikerin und Frauenrechtlerin Susana Chávez vergewaltigt und umgebracht. Im Monat darauf musste die Familie Reyes Salazar drei weitere Mordopfer seit dem Tod von Josefina Reyes im Januar 2010 hinnehmen. Bei den Todesopfern handelt es sich um die beiden Geschwister der Menschenrechtsaktivistin und eine Schwägerin. 2009 waren Josefinas Sohn und im August 2010 ein weiterer Bruder der Aktivistin ermordet worden.

Die Gewalt in Mexiko hat die Aufnahme von Frauen in die Führungsspitze der Polizei begünstigt. Doch auch gegen sie richtet sich die Gewalt. So wurde die im Oktober zur neuen Polizeichefin des 70 Kilometer von Chihuahua-Stadt entfernten Bezirks Meoqui gewählte Hermilia García keine zwei Monate im Amt von Killern ermordet.


Polizeischülerin zur Polizeichefin

Ebenfalls im Oktober wurde die 20-jährige Polizeischülerin Marisol Valles zur Polizeichefin des Gemeindebezirks Praxedis im Juárez-Tal ernannt. Sie war die einzige Kandidatin für das Amt nach der Ermordung ihres Amtsvorgängers. Keine sechs Monate später flohen sie und ihre Familie ins US-amerikanische Exil.

Ende März wurden die Polizeikommissarin des Bundesstaates Chihuahua, Brenda Carrillo, und ihre fünfjährige Tochter auf dem Weg zur Schule erschossen.

Unterstützung bekommen Mexikos Frauen nun von der neuen Generalstaatsanwältin, die von der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton für ihre Arbeit als unerschrockene Ermittlerin gegen das organisierte Verbrechen den diesjährigen Internationalen Frauen-Tapferkeitspreis entgegengenommen hat.

Für Mexikos Frauenorganisationen ist die Ernennung von Maricela Morales auch aus einem anderen Grund ein Schritt nach vorn. Morales ersetzt Arturo Chávez, der nach eineinhalb Jahren von seinem Amt zurücktrat. Die Frauenbewegung wirft dem Ex-Generalstaatanwalt vor, die Aufklärung von Frauenmorden in Chihuahua halbherzig betrieben zu haben. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2011