Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → FAKTEN

INTERNATIONAL/070: Côte d'Ivoire - Erstes Urteil gegen Genitalbeschneidung bei Mädchen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2012

Côte d'Ivoire: Erstes Urteil gegen Genitalbeschneidung bei Mädchen - Gesetz bisher missachtet

von Fulgence Zamblé



Abidjan, 31. Juli (IPS) - In der Stadt Katiola in Côte d'Ivoire sind erstmals neun Frauen auf der Grundlage eines Gesetzes von 1998 gegen weibliche Genitalverstümmlung (FGM) zu Gefängnisstrafen verurteilt worden. Allerdings kommt der Strafe nur ein symbolischer Wert zu, da die Verurteilten ihre Haftstrafen aus Altersgründen nicht antreten müssen.

Die Frauen wurden für schuldig befunden, im vergangenen Februar 30 Mädchen beschnitten zu haben. Die Richter verurteilten sie zu jeweils einem Jahr Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet 100 US-Dollar. Aufgrund des Alters der Verurteilten, die zwischen 46 und 91 Jahre alt sind, wurde entschieden, dass keine von ihnen hinter Gitter muss.

Menschenrechtsaktivisten sehen das Urteil dennoch als großen Schritt nach vorn. "Wir haben lange darauf gewartet, dass sich der Kampf gegen diese Geißel verschärft", sagt Rachel Gogoua, die in der Hauptstadt Abidjan die unabhängige 'Nationale Organisation für Kinder, Frauen und Familie' (ONEF) leitet. "Die Zeit der Sensibilisierungskampagnen ist vorbei. Wir müssen die Täter jetzt ihrer Strafe zuführen."

Gogoua ist der Ansicht, dass die Frauen zumindest einen Teil der Haft verbüßen sollten. Dies hätte eine abschreckende Wirkung auf all diejenigen, die in vielen Teilen des Landes noch die Beschneidung bei Mädchen ausführten.

"Das Gesetz trat 1998 in Kraft, und wir haben intensive öffentliche Aufklärung dazu betrieben", erklärt die ONEF-Vorsitzende. "Schließlich mussten wir aber feststellen, dass uns die Frauen eine Nase drehten. Sie waren sich des Gesetzes sehr wohl bewusst, beriefen sich aber darauf, dass die Beschneidung eine traditionelle Praxis sei."


Genitalbeschneidung in Côte d'Ivoire weit verbreitet

Nach Erkenntnissen des Weltkinderhilfswerks UNICEF wird die FGM in dem westafrikanischen Staat nach wie vor häufig vorgenommen. Ausgehend von Untersuchungen im Jahr 2006 schätzt UNICEF, dass 36 Prozent aller ivorischen Frauen beschnitten sind. Damit wäre Côte d'Ivoire eines der Länder des Kontinents, in denen die Praxis am weitesten verbreitet ist.

Bei der Beschneidung von Frauen werden die äußeren Genitalien ganz oder teilweise entfernt. Von dem Eingriff können außer den Schamlippen, die Klitoris sowie der Vaginal- und Harntrakt betroffen sein. Verbreitet ist die FGM in Côte d'Ivoire vor allem im Norden und Nordwesten, wo laut UNICEF fast 88 Prozent der Frauen beschnitten sind. In den westlichen Landesteilen sind es demnach durchschnittlich 73 Prozent.

Die 33-jährige Massandjé Timité, die aus Marandallah im Norden stammt, hat auch 15 Jahre nach ihrer Beschneidung Schmerzen. Sie spricht von einem schrecklichen Trauma, das sie damals erlitten habe. Die Wunden seien sehr schlecht verheilt.

Timité will nicht akzeptieren, dass die Beschneidung mit traditionellen Bräuchen gerechtfertigt wird. "Wenn der Eingriff schlecht durchgeführt wird, wie es in meinem Fall geschehen ist, hilft dir niemand", klagt sie. Die Tradition sollte kein Grund dafür sein, Frauen die Freude zu nehmen, Leben zu schenken.


Praxis mit Wurzeln

Trotz aller Kampagnen halten sich hartnäckige Vorurteile in der Bevölkerung. "Für uns von der Wobé-Ethnie ist es eine Schande, eine 'zoégbé - eine unbeschnittene Frau - genannt zu werden", sagt Cécile Gnowahou. Die 26-Jährige wurde im Alter von elf Jahren dem Eingriff unterzogen. Wegen anhaltender Blutungen hat sie nie geheiratet.

"Unbeschnittene Frauen haben nicht das Recht zu heiraten und werden im Dorf verspottet", berichtet Gnowahou. "Unsere Eltern kennen zwar die Aufklärungsbotschaften, doch die jahrhundertealten Bräuche sind stärker."

Die ivorische Frauen- und Familienministerin Raymonde Goudou Coffie sieht das jüngste Urteil als vielversprechenden Wendepunkt. Sie verspricht, dass das Gesetz künftig gegen all diejenigen angewendet werde, die die menschliche Würde, insbesondere die von Frauen, verletzten. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.erails.net/CI/onef/connaitre-onef/
http://www.unicef.org/
http://www.ipsnews.net/2012/07/punish-those-carrying-out-fgm-say-cote-divoire-campaigners/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2012