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INTERNATIONAL/104: Mexiko, Sammelklage gegen BP - Herausforderung für einheimische Justiz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2013

Mexiko: Sammelklage gegen BP - Herausforderung für einheimische Justiz

von Emilio Godoy



Mexiko-Stadt, 15. Mai (IPS) - Eine Gruppe Mexikaner bereitet derzeit die erste Klage gegen 'British Petroleum' (BP) auf mexikanischem Boden im Zusammenhang mit der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko vor. Sie macht von einer Neuregelung im Rahmen der Verfassungsreform von 2011 Gebrauch, die Sammelklagen von Personen mit gemeinsamen Interessen erlaubt. Zuständig ist die Bundesstaatsanwaltschaft für Verbraucherschutz.

Die Zivilklage berücksichtigt Schäden, die Menschen erlitten haben, die am Golf von Mexiko leben beziehungsweise Land besitzen. Auch die indirekt von der Erdölkatastrophe betroffenen Bürger sind klageberechtigt, wie Óscar Preciado von der Anwaltskanzlei 'Rincón Mayorga Román Illanes Soto y Compañía' im IPS-Gespräch berichtet.

"Das Gerichtsverfahren wird zweifellos einen Präzedenzfall schaffen", ist sich Preciado sicher. Wie er berichtet, wurden bisher lediglich Kollektivmaßnahmen im Zusammenhang mit Verbraucherfragen ergriffen. Nun soll die Neuregelung im Zusammenhang mit Umweltschäden getestet werden. BP-Mexiko hat auf eine Bitte von IPS um eine Stellungnahme zu der neuen Sammelklage nicht reagiert.

Die Explosion vom 20. April 2010 auf der damals vom Schweizer Unternehmen 'TransOcean' betriebenen BP-Förderanlage 'Deepwater Horizon', die zwei Tage später sank, kostete elf Arbeiter das Leben, weitere 17 wurden verletzt. Zwischen dem Tag der Explosion und dem 15. Juli, als das undichte Macondo-Bohrloch endlich geschlossen werden konnte, liefen 790 Millionen Liter Öl aus, von denen nur 800.000 Liter wieder abgeschöpft werden konnten. Experten gehen davon aus, dass das Unglück mittel- und langfristig verheerende Folgen für die Ökosysteme am Golf von Mexiko haben wird.

"Die Regierung, die in diesem Fall sehr nachlässig gehandelt hat, und BP können in Mexiko verklagt werden", bestätigt der Koordinator der Nichtregierungsorganisation (NGO) 'Colectivas', René Sánchez. Die Vereinigung war im November 2012 gegründet worden, um NGOs und Personengruppen bei den Formalitäten für die Klage behilflich zu sein.

Der Umweltgau im Golf von Mexiko hat in den USA einen Rechtsstreit herbeigeführt, an dem mehr als 130.000 Kläger beteiligt sind. Das als MDL-2179 (multi-district litigation 2179) bekannte Verfahren untersteht dem Bundesrichter Carl Barbier in New Orleans.

Im Januar hatte sich BP im Hinblick auf das Desaster in 14 Punkten für schuldig erklärt. Der Konzern wurde daraufhin zu einem Straf- und Bußgeld in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar verurteilt. Erwartet wird, dass sich im weiteren Prozessverlauf der Betrag erhöhen wird. Im Februar wurde 'TransOcean' von einem Bundesgericht für schuldig befunden, gegen ein US-amerikanisches Wasserschutzgesetz verstoßen zu haben, und zur Zahlung eines Strafgeldes in Höhe von 1,4 Milliarden Dollar verurteilt. Richter Barbier hat den Staatsanwälten bis zum 21. Juni Zeit gegeben, ihre Schlussfolgerungen aus den Beweisunterlagen aus der ersten Prozessphase vorzulegen.

Im April hatte die Regierung des konservativen mexikanischen Staatspräsidenten Enrique Peña Nieto BP und andere Unternehmen vor US-Gerichten verklagt und damit nachgeholt, was sein Amtsvorgänger Felipe Calderón (2006-2012) versäumt hatte. Die staatliche Klage fällt ebenfalls unter das MDL-2179.

2010 hatten die Regierungen von Tamaulipas, Veracruz und Quintana Roo zusammen mit mehreren Unternehmen BP und TransOcean auf Schadensersatz für die Verseuchung des Golfs von Mexiko sowie der Küsten- und lokalen Mündungsgebiete verklagt. Nach eigenen Angaben hatten die Behörden mehr als elf Millionen Dollar für Studien, Gutachten, Labortests, Training und Flüge zum Epizentrum der Katastrophe ausgegeben.

Das Fehlen von Studien, die das ganze Ausmaß des Erdölunglücks im Golf von Mexiko abschätzen, ist die Achillesferse der Umweltschützer und Anwälte, die die Sammelklage in Mexiko gegen BP vorbereiten. Leider habe sich der mexikanische Staat in dieser Hinsicht nicht sehr kooperativ gezeigt, kritisiert Preciado. "Das Ausmaß der Schäden wird erst im Verlauf vieler Jahre ersichtlich. Es abzuschätzen, wird nicht ganz einfach sein", meint der Anwalt, der ebenfalls an einer Sammelklage gegen den mexikanischen Erdölkonzern Pemex in Zusammenhang mit einem Ölleck im südöstlichen Bundesstaat Tabasco arbeitet.

Auch die mexikanischen Richter, die wenig Erfahrung mit Umweltdelikten haben, werden durch den Prozess gegen BP herausgefordert. Dazu meinte Sánchez von Colectivas, dass "wir uns anschauen werden, wie sich die Richter vorbereiten". Zunächst sei es wichtig, dass die Sammelklage angenommen werde, so Sánchez, der ferner mit einer Kollektivklage gegen den geplanten kommerziellen Anbau von Genmais in Mexiko befasst ist.

Trotz der Erdölkatastrophe im Golf von Mexiko und einer Explosion auf einer BP-Bohrinsel im Kaspischen Meer 2008 hat Pemex 2012 ein Technologieabkommen mit dem britischen Erdölkonzern für die Tiefseeförderung im mexikanischen Teil des Golfs von Mexiko unterzeichnet. "Das ist eine absolute Fehlentwicklung", meinte Preciado. (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/05/first-class-action-lawsuit-against-bp-in-mexico/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102825

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IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2013