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INTERNATIONAL/235: Mexiko - Soldaten erstmals wegen Vergewaltigung und sexueller Folter zu langen Haftstrafen verurteilt (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Mexiko
Historisches Urteil: Soldaten wegen Vergewaltigung und sexueller Folter zu langen Haftstrafen verurteilt

Von Anayeli García Martínez


(Mexiko-Stadt, 19. Juni 2018, cimacnoticias) - Es ist ein historisches Urteil, das eine Richterin im mexikanischen Bundesstaat Guerrero gesprochen hat. Erstmals hat ein nationales Gericht die Empfehlungen des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte beachtet und zwei ehemalige Soldaten wegen Vergewaltigung und sexueller Folter zu langen Haftstafen verurteilt. Damit erreicht die Überlebende Valentina Rosendo Cantú, eine indigene Frau aus einer ländlichen Gemeinde in Guerrero, nach 16 Jahren endlich Gerechtigkeit.

Seit 2002 hat sie viele Kilometer hinter sich gebracht, um an die Türen von Regierung und Verwaltung zu klopfen, immer mit ihrer kleinen Tochter auf dem Arm. Sie nannten sie Lügnerin und schlossen sie aus ihrer Gemeinde aus, weil sie Soldaten des 41. Bataillons des mexikanischen Militärs angezeigt hatte. Nun, nach 16 Jahren, scheint der Kampf von Valentina Rosendo Cantú für Gerechtigkeit endlich Früchte zu tragen.


Es war weder ein einfacher, noch ein kurzer Kampf

Am 16. Februar 2002 erstattete Valentina Anzeige, weil sie in der Gemeinde Acatepec im Bundesstaat Guerrero von zwei Soldaten verhört, geschlagen, vergewaltigt und sexuell gefoltert worden ist, während sechs weitere Soldaten zusahen. Seitdem sah sich die junge Frau von der Ethnie der Me 'phaa einem mächtigen Feind gegenüber, sie musste vor Militärangehörigen aussagen, sich an nationale und internationale Organismen wenden, um endlich Gerechtigkeit zu erfahren. Obwohl sie ihre Aussage hätte zurückziehen können, hat sie jahrelang weiter gekämpft, um zu zeigen, dass sie die Wahrheit sagt. Damals war sie ein 17-jähriges Mädchen, das in den Bergen von Guerrero sexuell gefoltert wurde. Heute ist sie eine erwachsene Frau, die versucht, die Scherben ihres Lebens wieder zusammenzufügen. Mit jedem Schritt in Richtung Gerechtigkeit findet sie eine weitere, und dieses Jahr könnte das letzte Stück dieses Puzzles seinen Platz finden. Am 1. Juni hat ein Gericht in Guerrero die beiden Soldaten, Nemesio Sierra und Armando Pérez, die sie 2002 gefoltert und vergewaltigt hatten, zu 19 Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt. Pérez hat mittlerweile Berufung eingelegt, es ist unbekannt, ob die Verteidigung von Nemesio Sierra ebenfalls Rechtsmittel einlegt. Valentinas Verteidiger von der Menschenrechtsorganisation Tlachinollan müssen sich nun gut wappnen, damit die Berufung keinen Erfolg hat.


Die Ketten der Straflosigkeit brechen

Die Aufklärung des Verbrechens hat lange gedauert, obwohl Valentina die Soldaten schon wenige Tage nach dem Übergriff angezeigt hatte, und das 41. Bataillon die Namen der Sicherheitskräfte kannte, die im Februar 2002 den Auftrag hatten, in der Gemeinde Acatepec Mohnpflanzungen zu zerstören. Die junge Indígena Valentina wusch an jenem Tag Wäsche in einem Fluss in der Nähe ihres Dorfes, als die Soldaten sie, mit Gewehren bewaffnet, überfielen. Eine Wende in ihrem Leben, doch die mexikanischen Behörden, an erster Stelle das Militär, und später zivile Behörden, haben es nicht geschafft, Valentinas Willen zu brechen. Das kleine Mädchen, das sie auf ihrem Weg von Behörde zu Behörde auf dem Arm trug, besucht heute das Gymnasium.

Die mexikanischen Dienststellen haben darauf gehofft, dass sie ihre Anzeige zurückziehen würde, insbesondere vor internationalen Instanzen, wo sie aber im Gegensatz zu ihrer Heimat Gehör fand. Ihr Fall kam bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, der 2010 entschied, der mexikanische Staat habe den Fall zu untersuchen und die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Dezember 2011 entschuldigte sich der damalige Innenminister, Alejandro Poiré, öffentlich bei Valentina Rosendo Cantú, dafür, dass der Staat sie nicht beschützt und kein gerechtes Strafverfahren eröffnet hat, und sie antwortete: "Was jetzt folgen muss, sind die Ermittlungen. Hier stehe ich, erhobenen Hauptes, mit der Würde einer indigenen Frau. Ich bin stolz darauf, wer ich bin, und ich rufe alle Frauen dazu auf, für ihr Recht zu kämpfen und die Kette der Straflosigkeit zu durchbrechen." Seitdem hat sie beharrlich weiter darum gekämpft, ihre Peiniger hinter Gitter zu bringen.


Paradigmatische Zeugenaussage

Die Tlapanekin hat geschafft, was anderen Opfern sexueller Gewalt nicht gelungen ist. In zahlreichen anderen Bundesstaaten gibt es ebenfalls bekannte Fälle, bei denen Frauen von Militär- und Marineangehörigen oder der Polizei vergewaltigt und gefoltert worden sind. Aber in keinem dieser Fälle ist es bisher zu einer Verurteilung gekommen. Auch in Valentinas Fall lehnte der Oberste Gerichtshof von Mexiko noch im Mai 2015 ab, bisherige Urteilssprüche noch einmal auf internationale Standards zu Frauenrechten, ethnischer Herkunft und sexueller Folter zu überprüfen.

Valentinas Mut ist ein Vorbild für andere Fälle, weil sie dadurch Betroffene bestärkt, ihre Stimme gegen die Straflosigkeit bei Verbrechen durch Militärangehörige zu erheben. Auch das Urteil der Richterin in Guerrero ist vorbildhaft, weil es den Empfehlungen des Interamerikanischen Gerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs in Mexiko folgt und die Genderperspektive mit einbezogen ist. Die Anwälte von Valentina haben in dieser Woche das Urteil veröffentlicht. In der Begründung gab die Richterin überwiegend der Aussage der jungen Frau Recht und bezog sich außerdem auf die Zeugenaussagen des damaligen Freundes und der Schwägerin des Opfers. Diese waren zwar nicht am Tatort, machten aber Aussagen über den Zustand von Valentina, nachdem sie nach Hause kam. Bemerkenswert ist, dass die Richterin den Begriff "Asymmetrie der Macht" benutzt hat, um auf die Verletzlichkeit der damals 17-jährigen gegenüber den acht Soldaten aufmerksam zu machen. Sechs von ihnen schauten zu, während zwei sie vergewaltigten. Das Urteil zeigt auch, welche Folgen solch ein sexueller Übergriff auf eine indigene Gemeinschaft und die Familie hat: Ihr Ex-Partner verließ Valentina, und sie wurde aufgrund des Stigmas aus ihrer Gemeinde verstoßen. Dennoch gab sie nicht auf. Die Beschuldigten versuchten immer wieder, die Aussagen des Opfers als haltlos darzustellen, insbesondere da es leichte Abweichungen zwischen drei Aussagen gab, die Valentina zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemacht hat. Die Richterin erklärte dazu, man müsse berücksichtigen, dass Spanisch nicht ihre Muttersprache und die Tat für sie traumatisierend gewesen sei. Außerdem gaben die beiden Soldaten an, Valentinas Aussage sei kein Beweis, weil es keine medizinische Untersuchung gab, die Ejakulat in der Vagina nachweise. Das Gericht verwarf dieses Argument mit der Begründung, in den Bergen Guerreros sei der Zugang zu medizinischen Diensten erschwert. Dabei ist Valentina Rosendo sogar in eine Klinik gegangen. Das Personal verweigerte eine Untersuchung, weil es keinen Ärger mit den Militärs haben wollte.


Die Straflosigkeit an den Pranger stellen

Mittlerweile hat Valentina Rosendo Cantú mächtige Verbündete gefunden. Der Vertreter des Hochkomissariats für Menschenrechte in Mexiko, Jan Jarab, die Direktorin von Amnesty Mexiko, Tania Reneaum, der Direktor von Tlachinollan, Abel Barrera und eine weitere Menschenrechtsorganisation gaben Anfang der Woche eine Pressekonferenz zu dem historischen Urteil. Rosendo Cantú zeigte sich erleichtert: "Das Urteil zeigt, dass ich immer die Wahrheit gesagt habe, aber die Regierung hat mir nicht geglaubt." Der UN-Vertreter Jan Jarab hob die Wichtigkeit des Urteils hervor: "Es ist das erste, das eine strafrechtliche Verantwortung auf Basis eines Richterspruchs durch den Interamerikanischen Gerichtshof feststellt. Das ist wichtig. Die Strafgerichtsbarkeit kann die Realität in diesem Land ändern!"


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2018

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