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INTERNATIONAL/317: El Salvador - Ausnahmezustand in den Gefängnissen ohne rechtliche Grundlage (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

El Salvador
Ausnahmezustand in den Gefängnissen ohne rechtliche Grundlage

Von Josseline Roca und Krissia Girón


Human Rights Watch hat darauf hingewiesen, dass die salvadorianischen Gefängnisse während der Pandemie Herde für den Ausbruch von Covid-19 sein können.

(San Salvador, 30.04.2020, ARPAS) - Laut der aktuellen Publikation "El Salvador: Trato inhumano a reclusos en centros penitenciarios" (El Salvador: Unmenschlicher Umgang mit Gefangenen in den Haftanstalten) der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch [1] entbehrt die Ausrufung des Ausnahmezustandes in den Gefängnissen des Landes auf unbestimmte Zeit jeglicher rechtlicher Grundlage. Es heißt wörtlich: "Nach internationalen Menschenrechtsstandards müssen die Behörden dafür sorgen, dass die Inhaftierten genug Licht und Belüftung abbekommen, desweiteren müssen sie Zugang zu hygienischer Versorgung, angemessenen privaten Raum und die Möglichkeit, Sport zu treiben, erhalten."


Verstoß gegen internationale Menschenrechtsstandards

Die Menschenrechtsorganisation führt aus, dass diese Standards es unter jeglichen Umständen verbieten, eine ausgedehnte bzw. auf unbestimmte Zeit andauernde Isolation festzusetzen, einen Gefangenen in einer Dunkelzelle zu halten oder kollektive Bestrafung anzuordnen. Die Mitglieder verschiedener Jugendbanden in derselben Zelle einzuschließen könnte das Risiko sogar verstärken, dass es zu Revolten und Gewaltausbrüchen kommt. Human Rights Watch wies auch darauf hin, dass die Gefängnisse in El Salvador genauso wie andere Orte ein möglicher Herd für den Ausbruch des Covid-19 während der Pandemie sein können. Sie warnt davor, dass die Zurückhaltungen, die durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes ausgelöst wurden, dazu führten, dass Polizeibeamte sich ohne Masken auf Häftlinge stürzten. Somit würden sie das Risiko einer Ansteckung, das sowieso schon in den überfüllten Haftanstalten herrscht, noch erhöhen.

Was die tödlichen Waffen betrifft, deren Einsatz El Salvadors Präsident Nayib Bukele gebilligt hatte, äußert sich Human Rights Watch wie folgt: "Der vorsätzliche Gebrauch von Schusswaffen, also das Schießen mit gezielter Tötungsabsicht, ist einzig dann erlaubt, wenn nur so ein anderes Leben geschützt werden kann." Diese Anordnung ist im gemeinsamen Aktionsplan zwischen der nationalen Polizei und dem salvadorianischen Militär sowie in der Strafprozessordnung nachzulesen. "Beide Dokumente halten fest, dass tödliche Waffen nur als letztes Mittel benutzt werden dürfen und allein in Fällen, in denen ein anderes Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit der Person in Gefahr ist, während darauf geachtet werden muss, gemäß Verhältnismäßigkeit, Recht und Notwendigkeit zu agieren", führt die Organisation aus. Die unverantwortlichen Äußerungen des Präsidenten Bukele über den Gebrauch tödlicher Waffengewalt könnte die Sicherheitskräfte möglicherweise dazu verleiten, inhaftierte Anhänger von Jugendbanden zu ermorden, was einer Verletzung des salvadorianischen und des internationalen Rechtes gleich käme, erklärt José Miguel Vivanco, Direktor der Amerika-Sektion der Organisation.


Mitglieder des US-Kongresses verurteilen den "Menschenrechtsmissbrauch"

Die Ausrufung des Ausnahmezustandes in den Gefängnissen El Salvadors gibt auch dem Präsidenten für äußere Angelegenheiten des US-Kongresses, Eliot L. Engel, und dem Präsidenten des Unterausschusses für die Westliche Hemisphäre, Albio Sires, Grund zur Sorge. Sie kritisierten "die demokratischen Defizite und den Missbrauch der Menschenrechte in El Salvador". In einem Brief an den salvadorianischen Präsidenten Bukele und in einer Presseerklärung unterstrichen die Abgeordneten, dass die Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen der Bekämpfung von Covid-19 nicht als Vorwand genutzt werden dürfen, um Regierungsbefugnisse zu überschreiten und unangemessen zu agieren. Sie fügten hinzu, sie seien "aufgrund einer Reihe kürzlich erfolgter Maßnahmen besorgt, dass die Menschenrechte der salvadorianischen Bevölkerung und die Demokratie des Landes gefährdet seien."

"Unsere Sorge gilt der Tatsache, dass die getroffenen Entscheidungen bezüglich der Gefängnisse nicht nur dazu beitragen, die Gewalt in keinster Weise einzudämmen, sondern auch die Verbreitung von Covid-19 innerhalb der Haftanstalten, dem Personal und schließlich der Gesellschaft, befeuern", betonten sie. Die Politiker machten auch deutlich, dass jedwede Politik in Verbindung mit dem Gebrauch von tödlichen Waffen "gemäß der entsprechenden internationalen Normen realisiert werden muss, und jeglicher Missbrauch vom Generalstaatsanwalt untersucht werden soll."

"In dem Ausmaß, in dem die Welt von Covid-19 betroffen ist, ist es essenziell, dass die Staatsoberhäupter die öffentliche Gesundheit gleichermaßen in den Blick nehmen wie die Verteidigung der Menschenrechte und den Respekt der demokratischen Institutionen." Die Abgeordneten adressierten außerdem die Nichterfüllung der einstweiligen Verfügungen durch den Obersten Gerichtshof, die das Verbot der Zurückhaltung und Beschlagnahme von Gütern derjenigen, die gegen die Quarantäne verstößen, und die Achtung der Menschenrechte von Personen in Quarantäne beinhalteten.

"Wir bitten Sie eindringlich darum, sich an die Verfassung Ihres Landes zu halten, und die Geltungsmacht der salvadorianischen Legislative und Judikative zu respektieren. Die Politiken des Social Distancing sind fundamental, aber es müssen genauso die Menschenrechte geschützt werden", lautete ihre Botschaft.


Anmerkung:
[1] https://www.hrw.org/es/news/2020/04/29/el-salvador-trato-inhumano-reclusos-en-centros-penitenciarios


URL des Artikels:
https://www.npla.de/thema/arbeit-gesundheit/ausnahmezustand-in-den-gefaengnissen-ohne-rechtliche-grundlage/


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2020

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