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MELDUNG/544: Abschiebungshaft in Niedersachsen - Rund ein Viertel aller Inhaftierungen erfolgt rechtwidrig (Flüchtlingsrat NI)


Flüchtlingsrat Niedersachsen - Pressemitteilung vom 11. Januar 2018

Abschiebungshaft in Niedersachsen: Rund ein Viertel aller Inhaftierungen erfolgt rechtwidrig!


Im Zusammenhang mit der Anordnung von Abschiebungshaft werden nationale und internationale Grund - und Verfahrensrechte der Betroffenen weiterhin viel zu häufig missachtet. Deshalb erweisen sich Inhaftierungen bei nochmaliger Prüfung durch höherrangige Gerichte oftmals als unrechtmäßig - und dies trotz kontinuierlicher Verschärfungen der Gesetzeslage und Rechtsprechung.

In der Zeit vom 01.08.2016 bis zum 31.07.2017 haben wir im Rahmen unseres Projektes "Beratung in Abschiebungshaft" insgesamt 205 Abschiebungshaftgefangene (200 männlich; 5 weiblich) aus 36 unterschiedlichen Herkunftsstaaten - teilweise mehrfach - beraten. In 23 % aller Fälle (48) erwies sich die Abschiebungshaft nach erneuter gerichtlicher Prüfung als rechtswidrig - wobei in mindestens 42 Verfahren noch Gerichtsentscheidungen ausstehen. Zusammengerechnet kommen diese 48 Personen auf insgesamt 953 rechtswidrige Hafttage, womit sich jede von ihnen durchschnittlich 19,85 Tage rechtswidrig in Haft befand.

Überdies wurden mindestens 29 Personen inhaftiert und sodann wieder aus der Haft entlassen, ohne dass es zu einer Abschiebung respektive Überstellung gekommen wäre. Diese 29 Personen waren zusammengerechnet 687 und damit im Durchschnitt ca. 23,7 Tage inhaftiert.

In anderen Bereichen des Rechts würde eine derart hohe Fehlerquote für ein breites Entsetzen sorgen und Forderungen nach einer unverzüglichen Behebung etwaiger Defizite nach sich ziehen. In der öffentlichen Diskussion hingegen sind vor allem Rufe nach einem noch strengeren Abschiebungshaftrecht zu vernehmen. Die Gleichgültigkeit der zuständigen Stellen diesem eklatanten Missstand gegenüber erweckt den Eindruck, dass für Abschiebungshaftgefangene andere rechtsstaatliche Maßstäbe gelten als für die übrige Bevölkerung.

Die hohe Quote unrechtmäßiger Entscheidungen zeigt bereits, dass eine unabhängige und kostenlose Rechtsberatung sowie Vertretung für Abschiebungshaftgefangene unabdingbar ist. Auch das internationale Recht enthält für verschiedene Gefangenengruppen unterschiedliche Ansprüche auf Rechtsberatung bzw. Vertretung, die - trotz Ablaufs der Umsetzungsfristen - bis heute nicht ins deutsche Recht implementiert wurden.

Insbesondere - aber nicht nur - vor dem Hintergrund der hohen Fehlerquote wird zudem deutlich, dass die niedersächsische Landesregierung endlich handeln und ein Abschiebungshaftvollzugsgesetz erlassen muss, das die Rechte und Pflichten der Gefangenen verbindlich und justiziabel regelt - die in der Abschiebungshaftanstalt Langenhagen angewandte "Hausordnung" tut dies jedenfalls nicht.

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Anlage: Aufschlüsselung der Ergebnisse

Auswertung des Projekts "Beratung in Abschiebungshaft" vom 01.08.2016 bis zum 31.07.2017 in Langenhagen

149 der beratenen Personen wurden mit dem Ziel inhaftiert, in ihr jeweiliges Herkunftsland abgeschoben zu werden. Unter diesen 149 Inhaftierten waren insgesamt vier EU - Bürger. Die übrigen 56 Gefangenen sollten im Anschluss an die Haft entweder im Rahmen der Dublin - III - VO in einen anderen Mitgliedstaat EU überstellt (48) oder aufgrund eines Aufenthaltsrechts dorthin abgeschoben werden (8).

I. Haftaufhebung und Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung

In mindestens 19 Fällen wurde die Haft seitens der Gerichte nach Beschwerdeeinlegung aufgehoben und die Betroffenen entlassen. Zudem wurde festgestellt, dass die Anordnung der Abschiebungs- bzw. Überstellungshaft die Betroffenen in ihren Rechten verletzt hat, mithin rechtswidrig war. Dabei erfolgte die Haftaufhebung bzw. die Feststellung einer Rechtsverletzung in drei Fällen durch die Amts - und in 16 Fällen durch die Landgerichte.

II. Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung

Ferner wurde in mindestens 29 Verfahren - nach vollzogener Abschiebung bzw. Überstellung - gerichtlich festgestellt, dass die Haftanordnung die Betroffenen in ihren Rechten verletzt hat und damit ebenfalls rechtswidrig war. Zwei dieser Entscheidungen wurden durch die Amts - und 24 durch die Landgerichte getroffen. In den übrigen zwei Verfahren entschied der Bundesgerichtshof Entsprechendes.

III. Entlassungen

Überdies wurden mindestens 29 Personen inhaftiert und sodann wieder aus der Haft entlassen, ohne dass es zu einer Abschiebung respektive Überstellung gekommen wäre. Die Gründe hierfür reichen von der freiwilligen Ausreise der Betroffenen über die Haftantragsrücknahme seitens der Ausländerbehörde bis hin zur Beendigung der Haft durch die Verwaltungsgerichte oder den Bundesgerichtshof im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes und der "Entlassung" in die Psychiatrie.

IV. Offene Verfahren

In den Angelegenheiten von insgesamt 42 Betroffenen ist jeweils mindestens noch eine Beschwerde gegen mindestens noch eine Haftanordnung rechtshängig.

Davon
04 bei den Amtsgerichten
23 bei den Landgerichten
13 beim Bundesgerichtshof und
02 beim Bundesverfassungsgericht

In den Verfahren von vier weiteren Betroffenen wird derzeit geprüft, ob die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof erhoben werden soll.

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Quelle:
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Röpkestr. 12, 30173 Hannover
Telefon.: 0511/98 24 60 30, Fax: 0511/98 24 60 31
Mo-Fr: 10.00 bis 12.30, Di+Do: 14.00 bis 16.00
E-Mail: nds@nds-fluerat.org
Internet: www.nds-fluerat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2018

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