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MENSCHENRECHTE/040: Freie Lizenz zum Töten, US-Drohnenangriffe weltweit in der Kritik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Juni 2012

Menschenrechte: Freie Lizenz zum Töten - US-Drohnenangriffe weltweit in der Kritik

von Isabelle de Grave



New York, 25. Juni (IPS) - UN-Experten und zivilgesellschaftliche Gruppen fordern von den USA mehr Transparenz im Kampf gegen den Terrorismus. Sie kritisieren, dass Drohnenangriffe nach den geltenden Abkommen illegal sind.

Während der 20. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf, die am 18. Juni begann, mahnten Vertreter der Vereinten Nationen die USA, ihr Vorgehen überprüfbar zu machen.

Der ehemalige Berichterstatter für extralegale Hinrichtungen, Philip Alston, schrieb 2010 in seinem Bericht an den Rat, dass gezielte Tötungen, einschließlich der Drohnenangriffe, eine "ungenau definierte Lizenz zum Töten ohne Rechenschaftspflicht" seien.

Auch zwei Jahre später erscheinen die Strategien, die die USA als notwendige Antwort auf den Terrorismus bezeichnen, sowohl in rechtlicher als auch in humanitärer Hinsicht weiterhin fragwürdig.

Die unbemannten Flugzeuge, die unter anderem in Afghanistan, Pakistan und im Jemen eingesetzt werden, sind rasch zur Anti-Terror-Waffe erster Wahl geworden. Im Militärjargon kommt es bei Drohnenangriffen zu 'Kollateralschäden'. Die Tatsache, dass regelmäßig unschuldige Zivilisten sterben müssen, ist zu einem zentralen Problem geworden.


Ziele oftmals nicht genau festgelegt

Dabei ist die Drohnentechnologie nicht ungenau. Die Ziele sind allerdings oft nicht präzise definiert. Ihre Festlegung basiert auf Informationen der Geheimdienste über Terrorverdächtige und Gebiete, in denen suspekte Vorkommnisse aufgefallen sind. Eine der größten Herausforderungen bei den militärischen Lufteinsätzen besteht darin, sicherzustellen, dass sich keine Unbeteiligten in Gebieten aufhalten, in denen Terroristen vermutet werden.

In Pakistan stellen sich viele Menschenrechtsaktivisten vehement gegen die Drohnenattacken der USA. Unter ihnen ist auch der ehemalige Kricketspieler Imran Khan, der inzwischen die Partei 'Tehree-e-Insaf' anführt. Er bewertet die Angriffe als illegal, da bei ihnen unbeteiligte Zivilisten ums Leben kommen.

Bei den Beratungen des Menschenrechtsrats forderte der derzeitige Berichterstatter für extralegale Hinrichtungen, Christof Heyns, die USA müssten ihr Vorgehen besser offenlegen als bisher. Er drängte dazu, ein Rahmenwerk zu entwickeln, welches schließlich auch befolgt würde. Außerdem seien genauere Statistiken zu Todesfällen unter Zivilisten notwendig. Der Menschenrechtsrat tagt noch bis zum 6. Juli.

Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht in der 'New York Times' legt die US-Regierung bei der Erfassung der getöteten Zivilisten eine große Bandbreite an legitimen Zielen zugrunde. Alle Männer im kampffähigen Alter werden demnach als potenzielle Terroristen betrachtet. Damit erklärt sich die Kluft zwischen den Zählungen unabhängiger Medien und den offiziellen Statistiken, denen zufolge nur wenige Zivilisten umkommen.

Eine Untersuchung der Nachrichtenagentur 'Associated Press' kam zu dem Schluss, dass "bei den Drohnenangriffe weit weniger Zivilisten getötet werden als viele Pakistaner glauben mögen". Die überwiegende Mehrheit der Toten seien demnach Kämpfer. Andere Berichte gehen hingegen von Hunderten toten Zivilisten in Pakistan aus.

"Die USA haben ihr rechtliches Rahmenwerk für gezielte Tötungen zusammengeschustert. Die Richtlinien sind weit weniger stringent als es das Gesetz erlaubt", sagte Hina Shamsi von der unabhängigen 'American Civil Liberties Union' (ACLU) vor dem Menschenrechtsrat. Sie kritisierte außerdem die mangelnde Transparenz bei den militärischen Programmen, die auf "geheimen rechtlichen Kriterien, geheim gehaltenen Beweisen und einem geheimen Verfahren" beruhten.

Die US-Regierung reichte am 20. Juni ein 50-seitiges Papier ein, in dem die Regierung unter Präsident Barack Obama erklärt, dass sie sich weiterhin nicht öffentlich dazu äußern wolle, ob der Geheimdienst CIA dazu berechtigt sei, sich unmittelbar an Einsätzen mit tödlichem Ausgang zu beteiligen und ob dies überhaupt der Fall sei.

Mit dem Bericht reagierte die Regierung auf eine Klage, die ACLU im vergangenen Jahr einreichte. Darin wird die Aufklärung der Tötung von drei US-Bürgern im Jemen 2011 gefordert.

"Die internationale Gemeinschaft ist weiterhin beunruhigt über das Programm der USA für gezielte Tötungen, da die Regierung eine nicht vom Gesetz gedeckte breite Vollmacht zur Tötung von 'Terrorverdächtigen' weit entfernt von Schlachtfeldern für sich beansprucht", sagte Shamsi. Transparenz sei dabei nicht gegeben.


Angriffe auch ohne Einwilligung der Regierung des jeweiligen Landes

Das Fehlen eines rechtlichen Rahmens macht es darüber hinaus möglich, dass die Drohnenangriffe willkürlich in Gebieten anberaumt werden können, in denen keine bewaffneten Konflikte im Gang sind und in denen nur eine vage Terrorgefahr besteht. Eine Einwilligung der jeweiligen Regierung wird dafür in der Regel nicht eingeholt.

"Ich denke, dass die USA ein gefährliches Beispiel abgeben, dem alle möglichen Länder folgen könnten", sagte Heynes. "Drohnenangriffe vernichten im Grunde die nationale Souveränität", meint Tom Engelhardt, Co-Autor des Buches 'Terminator Planet: The First History of Drone Warfare 2001 - 2050'. "Die Spielregeln besagen, dass die Souveränität eines Landes über die eines anderen triumphiert."

Schätzungsweise rund 50 Staaten verfügen derzeit über Drohnen, entwickeln sie oder planen ihre Anschaffung.

Bert Emmerson, der UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Menschenrechte, bekräftigte vor dem Rat in Genf die übereinstimmende Feststellung der UN-Vollversammlung, wonach die Maßnahmen gegen den Terror, die gegen die Menschenrechte verstoßen, dem Terrorismus weiteren Auftrieb geben. Der Tod unbeteiligter Zivilisten gebe Extremisten somit eine Propagandawaffe in die Hand, mit der sie weitere Anhänger rekrutieren können. (Ende/IPS/ck/jt/2012)


Links:

http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/RegularSessions/Session20/Pages/20RegularSession.aspx
http://www.aclu.org/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2012