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REDE/016: Zypries - Reform der Führungsaufsicht, 22. März 2007 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zum Gesetzentwurf zur Reform der Führungsaufsicht vor dem Deutschen Bundestag am 22. März 2007 in Berlin


Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die Zahl der Schwerverbrechen in Deutschland sinkt, und zwar seit Jahren. Der Bundesinnenminister und ich haben vor kurzem unseren Sicherheitsbericht vorgestellt. Daraus ergibt sich: In den vergangenen zwölf Jahren ist die Zahl der Tötungsdelikte um fast 30 Prozent zurückgegangen. Auch die Zahl der schweren Sexualstraftaten wird geringer. Beim sexuellen Missbrauch von Kindern betrug der Rückgang gut zehn Prozent.

Umfragen zeigen jedoch, dass, quasi umgekehrt proportional dazu, bei einem Großteil der Bevölkerung das Bedrohungsgefühl zunimmt. Viele Menschen haben den Eindruck, die Kriminalität werde immer schlimmer. Nach der Ansicht von Fachleuten hat dies vor allen Dingen etwas mit den Medien zu tun. Die Zahl der Verbrechen sinkt zwar; die Berichterstattung wird aber intensiver und stärker aufgemotzt. Das führt, wie wir wissen, dazu, dass ältere Frauen besonders große Angst vor Überfällen haben, obgleich sie zu der mit Abstand kleinsten Gruppe gehören, während die jungen Männer, die sich für stark halten und keine Ängste haben, am häufigsten Opfer von Raubüberfällen werden.

Die gefühlte Unsicherheit hat aber gewiss auch Gründe jenseits der Kriminalität. Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg oder bestimmte Aspekte der Globalisierung, auch das empfinden viele Menschen als Existenzbedrohungen, denen sie hilflos gegenüberstehen. Wenn wir also wollen, dass die Menschen in Deutschland nicht nur sicher sind, sondern sich auch sicher fühlen, dann dürfen wir diese Tatsachen nicht ausblenden.

Tatsache ist aber auch: Jede Straftat ist eine Straftat zu viel. Unsere Aufgabe ist es, den besten Schutz vor Kriminalität zu schaffen, der im freiheitlichen Rechtsstaat möglich ist. Gerade in Bezug auf den Schutz vor Sexualstraftätern und Wiederholungstätern haben wir in der Vergangenheit eine Menge getan. Ende der 90er-Jahre wurden die Vorschriften bezüglich der Sicherungsverwahrung in verschiedenen Schritten verschärft. 2004 wurde die Strafandrohung für den sexuellen Missbrauch bei Kindern erhöht. Vor zwei Jahren haben wir den DNA-Test als Ermittlungsinstrument ausgeweitet, insbesondere um Sexualstraftätern schneller habhaft zu werden.

Die Reform der Führungsaufsicht, die heute beschlossen werden wird, ist eine weitere Maßnahme, um Rückfällen besser vorzubeugen. Führungsaufsicht dient vor allem der Betreuung und Überwachung von Verurteilten, die eine längere Freiheitsstrafe verbüßt haben oder aus einer Klinik entlassen werden. In Zukunft können ihnen mehr und differenziertere Weisungen erteilt werden. Wir verschärfen den Strafrahmen bei Verstößen gegen diese Weisungen, und wir verbessern die Befugnisse, um die Einhaltung dieser Weisungen auch wirksam kontrollieren zu können.

Vorgesehen ist unter anderem ein Kontaktverbot. Verurteilten kann künftig untersagt werden, sich nach der Entlassung dem einstigen Opfer zu nähern. Demjenigen, der sich schon einmal an einem Kind vergangen hat, kann verboten werden, Kontakt mit fremden Kindern aufzunehmen, beispielsweise Spielplätze oder Freibäder zu besuchen. Wird gegen diese Auflagen verstoßen, ist das ein eigenständiger Straftatbestand, was hoffentlich als hinreichend abschreckendes Signal wirkt. Der einzelne Betroffene merkt deutlich: Der Staat hat mich weiter im Visier; ich muss darauf achten, dass ich mich wohlverhalte.

Darüber hinaus ist es möglich, Entlassenen die Auflage zu erteilen, sich regelmäßig bei einem Therapeuten oder einer forensischen Ambulanz zu melden. Die Einnahme von Medikamenten kann auf diese Weise kontrolliert werden; es ist auch im Interesse des Betroffenen, sich einmal in der Woche zu einer kontrollierten Medikamenteneinnahme einzufinden, statt in einer Haftanstalt zu verbleiben.

Außerdem sorgen wir für eine rasche stationäre Krisenintervention. Täter, deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt ist, können in Zukunft bei akuten Krisen schneller stationär untergebracht und behandelt werden.

Mit diesem Gesetz haben wir nach meiner Meinung eine gute Chance, die Zahl der Rückfalltäter weiter zu verringern. Ob es tatsächlich in der Praxis wirksam ist, hängt ganz entscheidend davon ab, wie die Länder es ausfüllen. Sie sind nämlich dafür zuständig, die Infrastruktur zu schaffen, die für eine straffe Handhabung der Führungsaufsicht, die wir uns in vielen Fällen wünschen, notwendig ist. Sie müssen Ambulanzen fördern und die Einrichtung von Krisenbetten in der Psychiatrie sicherstellen. All das kostet eine Menge Geld. Wenn es um den Ruf nach härteren Gesetzen geht, dann gehen einige Landespolitiker gerne vorneweg. Aber durch verbale Kraftmeierei wird Deutschland nicht sicherer.

Mein Appell an die Länderminister lautet deshalb: Zeigen Sie bitte auch dann Härte, wenn es um die Finanzierung geht! Dann wird die Reform der Führungsaufsicht ganz gewiss ein Erfolg.

Lassen Sie mich noch kurz auf den zweiten Komplex dieses Gesetzesvorhabens eingehen. Wir erleichtern mit diesem Gesetz die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung in so genannten Altfällen. Bei den Verhandlungen zur Wiedervereinigung hatte sich die DDR gegen die Einführung einer Sicherungsverwahrung in Ostdeutschland entschieden. Das ist zwar inzwischen geändert worden. Aber für die Taten, die vor 1995 begangen wurden, gibt es noch immer Klarstellungsbedarf. Das hängt auch mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zusammen.

Diesen unbefriedigenden Zustand werden wir mit dem jetzt zu verabschiedenden Gesetz ändern. Wir ermöglichen künftig auch für diese so genannten Altfälle die nachträgliche Sicherungsverwahrung, wenn sich die Gefährlichkeit des Täters schon bei dessen Verurteilung gezeigt hat, aber zu diesem Zeitpunkt noch keine Sicherungsverwahrung möglich war. Natürlich bleibt es dabei, dass eine Einschätzung der Gefährlichkeit des Täters erfolgen muss und dass bewertet werden muss, welche Fortschritte er bei der Resozialisierung gemacht hat. Es bleibt auch dabei, dass unabhängige Gutachter ein psychologisches Gutachten hinsichtlich der Frage erstellen müssen, ob eine Sicherungsverwahrung angemessen ist.

Es bleibt ebenfalls dabei, dass alle zwei Jahre diese Gutachten überprüft werden. Für die Täter besteht also nach wie vor eine echte Chance der Resozialisierung. Die Sicherungsverwahrung muss nämlich das bleiben, was sie nach Ansicht dieses Hauses sein soll: eine Ausnahme für extreme Einzelfälle, eine Ausnahme für außergewöhnlich gefährliche Täter.

Beide Instrumente dienen dem Ziel, in unserer Gesellschaft einen besseren Schutz vor Rückfalltätern zu garantieren, auch wenn es eine totale Sicherheit in einem freien Land natürlich niemals geben kann. Wir sind schon heute eines der sichersten Länder der Welt; wir wollen es auch gerne bleiben.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch bemerken, dass wir nicht nur ein Land sein wollen, das sicher ist, sondern dass wir auch ein Land sein wollen, in dem geschiedenen Ehefrauen und nicht verheirateten Müttern der Unterhalt ermöglicht wird. Deswegen möchte ich um Nachsicht bitten, dass ich jetzt zu einem Gespräch über die Unterhaltsrechtsreform gehen muss.


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Quelle:
Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zum
Gesetzentwurf zur Reform der Führungsaufsicht vor dem Deutschen
Bundestag am 22. März 2007 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2007