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REDE/023: Zypries - Reform des Verfahrens in Familiensachen, 27.06.08 (BPA)


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Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor dem Deutschen Bundestag am 27. Juni 2008 in Berlin


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nachdem wir gestern mit der GmbH-Reform einen großen Schritt gemacht haben, liegt uns heute ein Gesetzentwurf vor, mit dem ein hundert Jahre altes Gesetz reformiert wird. Seit 50 Jahren versuchen wir, eine Reform hinzubekommen. Ich bin froh, dass es uns nunmehr gelungen ist, dieses Reformwerk abzuschließen. Das Ganze geht zurück auf die Empfehlungen einer Kommission, die im Jahre 1964 eingerichtet wurde. Der Entwurf, der damals erarbeitet wurde, ist Grundlage des Reformentwurfs, der heute zur Schlussberatung vorliegt.

Kern dieser Reform ist ein neues Stammgesetz. Das heißt, wir schaffen ein völlig neues Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Freiwillige Gerichtsbarkeit ist ein alter Begriff, unter dem sich jemand, der nicht Jurist ist, kaum etwas vorstellen kann.

Wir haben ihn dennoch beibehalten. Dahinter verbirgt sich ein Strauß ganz verschiedener Verfahrensarten. Es geht um die Einrichtung einer Betreuung, um die Unterbringung von Personen, aber auch darum, dass eine Abschiebehaft zur Sicherung des Vollzuges ausländerrechtlicher Entscheidungen sichergestellt wird. All das war bisher in unterschiedlichen Gesetzen geregelt. Wissenschaftler und Praktiker waren der Auffassung, dass man das vernünftig neu fassen sollte. Das haben wir jetzt getan.

Der grundlegende Reformansatz, den wir verfolgt haben, ist eine einheitliche Familienverfahrensordnung aus einem Guss. Dieser Ansatz - einheitliche Familienverfahrensordnung aus einem Guss - und die Tatsache, dass das große Familiengericht entscheidet, haben überall Beifall gefunden. Ich glaube, dass das eine richtige Entscheidung war.

Die Bürgerinnen und Bürger bekommen jetzt eine Verfahrensordnung an die Hand, die aus sich selbst heraus verständlich ist. Außerdem wird dem materiellen Recht, das im BGB geregelt ist und das wir nicht ändern, durch ein neues, ein strukturiertes Verfahrensrecht endlich zur Geltung verholfen. Die Verfahrensrechte werden jetzt klar geregelt. Erstmals gibt es Bestimmungen, die besagen, wer an einem familiengerichtlichen Verfahren beteiligt werden muss und wer auf Antrag beteiligt werden kann. Den Beteiligten werden Rechte gegeben, insbesondere zur Sicherung ihres rechtlichen Gehörs. Sie werden aber auch verpflichtet, bei der Aufklärung von Sachverhalten mitzuwirken. Wir strukturieren das zersplitterte Rechtsmittelsystem neu und formulieren klare Vorgaben für die Bürgerinnen und Bürger, damit sie wissen, wie sie gegen Entscheidungen vorgehen können, die ihnen nicht passen. Künftig wird jeder Entscheid eine Rechtsmittelbelehrung enthalten, damit man als Bürger weiß, wie man gegen eine Entscheidung vorgehen kann, die einem nicht passt.

Eine weitere Neuerung ist, dass wir dem Bundesgerichtshof mehr Kompetenzen geben. Das hat sich bei der ZPO-Reform bewährt. Dadurch haben wir in Deutschland eine besser strukturierte und einheitlichere Rechtsprechung bekommen. Diesem Vorbild folgen wir jetzt bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Bundesgerichtshof erhält mehr Kompetenzen zur Herstellung der Rechtseinheit und zur Kontrolle der Beschwerdegerichte.

Im Zentrum der Reform steht - das habe ich eingangs schon gesagt - die Reform des familiengerichtlichen Verfahrens. Die Frage, wie wir durch neue gerichtliche Verfahrensstrukturen Kinder besser schützen können, beschäftigt uns schon lange. Sie erinnern sich daran, dass wir vor kurzem hier die Reform des 1666 BGB verabschiedet haben. Dabei wurden bestimmte Verfahrensregeln getroffen, die in Kürze, mit Verkündigung dieses Gesetzes, in Kraft treten. Deshalb werden sie in das Gesetz, das wir heute verabschieden, eingefügt. Wir haben also schon geregelt, dass es künftig ein Erziehungsgespräch geben kann. Ebenfalls haben wir schon geregelt, dass es einen schnellen Termin geben soll. In Sorge- und Umgangsentscheidungen soll das Gericht innerhalb eines Monats verhandeln. Das alles soll für Kinder eine bessere Kontaktherstellung und -anbahnung garantieren, wenn sich deren Eltern scheiden lassen.

Im FGG-Reformgesetz gibt es jetzt weitere Regelungen, die die Rechte des Kindes stärken sollen; das ist unser Ziel. Wir führen einen obligatorischen Verfahrensbeistand ein. Das heißt, es wird eine Person geben, die dem Kind hilft, im gerichtlichen Verfahren Gehör zu finden, um sicherzustellen, dass seine Interessen bei der Entscheidung des Familiengerichts berücksichtigt werden. Es ist aber auch wichtig, dass das Kind einen Ansprechpartner hat. Denn es ist für Kinder eine fürchterliche Situation, wenn sie sich entscheiden sollen, ob sie die Mama oder den Papa lieber haben. Es ist wichtig, dass ihnen jemand zur Seite steht, der ihnen helfen kann.

Eine gute Entscheidung nützt aber nur dann etwas, wenn sie effektiv und schnell vollstreckt werden kann. Deswegen sehen wir ein neues Mittel vor. Wir führen die Verhängung eines Ordnungsgeldes ein und lösen damit das bisherige Zwangsgeld ab. Das hat Sinn, weil mit dem Zwangsgeld immer nur zur Vornahme einer Handlung angehalten werden kann, während das Ordnungsgeld auch noch hinterher verhängt werden kann. Ich nenne ein Beispiel: Wenn, wie es in so einer Art von Konflikten häufig vorkommt, die Mutter dem Vater das Kind am Wochenende nicht gibt und immer freitags anruft und sagt, das Kind sei leider gerade krank geworden und könne deshalb nicht zum Vater kommen, dann könnte das Gericht ein Zwangsgeld verhängen. Aber das gilt nur für das Wochenende. Denn nur am Wochenende könnte man dazu angehalten werden, dass man das Kind dem Vater übergibt. Künftig kann man in so einem Fall ein Ordnungsgeld verhängen und damit deutlich machen, dass dieses Verhalten noch in einer anderen Form zu sanktionieren ist. Wir wollen im Interesse des Kindes, dass das Kind mit beiden Elternteilen Kontakt hat. Deshalb ist es wichtig, dass man auch mit finanziellen Sanktionen dazu angehalten werden kann.

Wir führen mit der Reform einen Umgangspfleger ein. Das ist eine weitere Figur, die es ermöglichen soll, vermittelnd zwischen den Eltern einzugreifen, wenn es Probleme beim Umgang mit den Kindern gibt. Wir führen auch ein, dass der Scheidungsantrag künftig zwingend eine Angabe darüber enthalten muss, ob sich die Eltern schon über die elterliche Sorge und den Umgang geeinigt haben. Wir wollen Eltern mit dieser Formvorschrift klarmachen, dass sie sich um den weiteren Umgang mit den Kindern zu kümmern haben, ehe sie sich darüber verständigen, dass sie sich scheiden lassen wollen. Denn das betrifft das Verhältnis der Erwachsenen. Die Kinder sind allein die Betroffenen.

Wir führen eine weitere Regelung zugunsten von Pflegeeltern ein. Dieses Thema war hier schon mehrfach Gegenstand der Debatte. Wir werden Pflegeeltern, also Personen, bei denen die Kinder längere Zeit gelebt haben, besser am Verfahren beteiligen. Das ist für diese ein ganz wichtiger Gesichtspunkt.

Ein Gericht wird künftig über all diese Fragen entscheiden: das Große Familiengericht. Wir schaffen damit die viel beklagte Zersplitterung von Zuständigkeiten ab und erreichen, dass die Gerichte effektiver arbeiten. Damit schaffen wir zudem eine entspanntere Atmosphäre für alle Verfahrensbeteiligten.

An einem Punkt des Regierungsentwurfs hat es Kritik gegeben. Diese betraf die Tatsache, dass zwischen Vater und Mutter hinsichtlich des Umgangs immer Verständigungen stattfinden sollen; diese soll das Gericht initiativ herbeiführen. Es soll von sich aus versuchen, beide an einen Tisch zu bekommen. Einige Frauenverbände und insbesondere Frauenhäuser haben gesagt, dass diese generelle Regelung die Tatsache, dass es Gewalt in Familien geben kann, nicht hinreichend berücksichtige und es deshalb schlecht sei, eine Zusammenführung zwangsweise durchsetzen zu wollen. Das Haus hat sich dieser Kritik angenommen; ich danke dafür. Wir haben jetzt gemeinsam eine Regelung gefunden, die es ermöglicht, dass Ehegatten künftig getrennt angehört werden können, wenn dies dem Schutz eines Beteiligten dient.

Ich möchte mich sehr herzlich bei den Berichterstattern bedanken. Es war ja kein einfaches Verfahren. Es geht um ein dickes Gesetzeswerk mit vielen Einzelheiten. Allerdings müssen wir, wie ich mir habe sagen lassen, nachher noch ein wenig nacharbeiten; bei einem solch umfangreichen Gesetz können nämlich auch einmal Fehler gemacht werden. Ich bedanke mich für die gute Kooperation, die es uns ermöglicht, die notwendigen Nachbesserungen vorzunehmen und das Gesetz gleichwohl heute zu verabschieden. Das ist eine gute Maßnahme.

Dieses Gesetz wird heute verabschiedet, tritt aber erst im nächsten Sommer in Kraft. Denn wir wollen den Ländern genug Zeit geben, sich darauf einzustellen und die Verfahrensorganisation besser zu strukturieren. Ich glaube, das ist wichtig. Wir können gemeinsam der Überzeugung sein, dass wir heute ein Reformgesetz verabschieden, durch das die gerichtlichen Verfahren in für die Betroffenen besonders schwierigen und emotional sehr bewegenden Situationen überschaubarer, transparenter und vor allen Dingen kinderfreundlicher gemacht werden.


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Quelle:
Bulletin Nr. 74-2 vom 27.06.2008
Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, zum Entwurf
eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor dem Deutschen
Bundestag am 27. Juni 2008 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2008