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REDE/033: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Haushaltsgesetz 2011, 25.11.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 25. November 2010 in Berlin:


Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich darf in dieser Haushaltsdebatte mit dem Dank an alle Berichterstatter des Haushaltsausschusses beginnen, aber auch mit dem Dank für die Unterstützung bei den berechtigten Anliegen, die mit den Haushaltsansätzen in meinem wirklich kleinen, sehr überschaubaren Etat verfolgt werden. Ich kann nur sagen: Wir haben hier wirklich Weichen gestellt. Nachdem die 10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden, die ich teilweise auch aus meinem Etat - aber natürlich nicht komplett - selbst mit erbringe, kann nun ein Vorhaben umgesetzt werden, das sich der Bundestag vor zehn Jahren mit einer einstimmigen Beschlussfassung vorgenommen hat.

Er hat nämlich beschlossen, eine Stiftung zu gründen, die sich mit der Erforschung der Opfer von Verfolgung wegen Homosexualität in der NS-Zeit - zu Zeiten des NS-Unrechtssystems - befassen soll. Sie wird sich aber auch mit Diskriminierung beim Zusammenleben heute befassen. Ich denke, dass wir das jetzt, wo wir zu Recht einen Sparhaushalt haben, gemeinsam hinbekommen haben, ist nur dank Ihrer Unterstützung möglich gewesen.

Es ist an der Zeit, über einige wichtige rechtspolitische Vorhaben zu sprechen, und zwar durchaus auch kontrovers; manche Kolleginnen und Kollegen haben das in der Debatte auch schon getan. Herr Kauder, Sie haben recht: Natürlich ist es ganz normal, zu bestimmten Themen unterschiedliche Auffassungen und Herangehensweisen zu haben. Es ist immer die Art der Auseinandersetzung, die das Klima einer Debatte prägt. Ich sage offen: Ich habe Sie nicht so verstanden, dass Sie jetzt Gesetze ändern wollen. Ich habe Ihre Worte mehr als einen Appell, als Aufruf verstanden.

Das, was wir uns konkret vorgenommen und schon auf den Weg gebracht haben, ist wirklich umfangreich und kann sich blicken lassen. Lassen Sie mich, Frau Lambrecht, gerade zu den größten Vorhaben - nicht nur vom Umfang der Seiten her, sondern, wie ich denke, auch vom inhaltlichen Anspruch her - hier einige Worte sagen. Da geht es einmal um die Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung. Mit Blick auf vielerlei Gesetzgebung in den letzten zwölf Jahren, die Auswirkung auf Gerichtsentscheidungen - aber nicht nur - hatte, ist zu sagen, dass unser System wirklich unübersichtlich und in sich nicht widerspruchsfrei ist. Dass wir das neu ausrichten, ist schon eine gewaltige Leistung.

An das Thema "Anlasstaten und Umfang von Anlasstaten" muss man systematisch herangehen. Nur alle Paragrafen aufzuzählen, wäre eine Herangehensweise, die nicht unbedingt zu Klarheit, Übersichtlichkeit und Systematik beiträgt. Hier zu einer verantwortbaren Reduzierung zu kommen, ist auch das Anliegen der Koalitionsfraktionen. Ich hoffe, dass wir uns in den Gesprächen dabei noch aufeinander zubewegen können. In der nächsten Woche steht ja die intensive Beratung im Rechtsausschuss an, in der wir uns mit Ihren Änderungsanträgen, aber auch mit den Vorschlägen, die die Koalitionsfraktionen machen, intensiv befassen werden.

Dass das ein komplexes Vorhaben ist, sieht man auch daran, dass wir mit dem Therapie- und Unterbringungsgesetz genau den Weg gehen, den uns die Europäische Menschenrechtskonvention eröffnet. Das tun wir zwar in enger Anlehnung an diese, aber auch in verantwortbarer Weise; denn die Situation - ich muss sie hier nicht schildern - ist eine extrem schwierige. Es geht hier um einige entscheidende Fälle; von diesem Gesetz werden also nicht Hunderte von Menschen erfasst.

Die Debatte zu diesem Thema - es geht hier um gefährliche Täter, die auch nach Haftverbüßung nicht in Freiheit leben können und sollen, weil das nicht verantwortbar wäre - lenkt natürlich den Blick auch auf die Herausforderungen, denen wir insgesamt gegenüberstehen. Hier ist es doch ganz normal, dass selbstständige Fraktionen einer Koalition, die sich einem gemeinsamen Ziel verpflichtet hat, mit unterschiedlichen Vorstellungen an Fragen herangehen. Das trifft insbesondere auf die Frage des Umgangs mit der Vorratsdatenspeicherung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im März dieses Jahres zu. Ich brauche hier nicht auf alle Fakten einzugehen. Ich möchte nur erwähnen, dass es derzeit sehr wohl Bestandsdaten gibt, auf die man zugreifen kann. Wenn man das möglichst zeitnah und nicht retrograd tut, braucht man auch keine sechsmonatige Speicherungsfrist.

Dass wir als FDP das Thema von unserem Verständnis der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit sowie von unserer Auffassung der Sparsamkeit bei Datensammlungen anders sehen als unser Koalitionspartner, ist bekannt. Damit gehen wir aber fair und sachlich um. Es bringt nämlich, wie ich glaube, nichts, hier einfach zu sagen: Da haben wir kein Problem. - Nein, wir haben hier unterschiedliche Vorstellungen und gehen unterschiedlich an dieses Thema heran. Deshalb hat die FDP-Fraktion beschlossen, in dieser Frage anlassbezogen vorzugehen, statt massenweise Datensammlungen anzulegen.

Auf der Grundlage eines Vorschlages werden wir konstruktiv miteinander über dieses Thema reden und dann auch, wie ich denke, zu einem richtigen Ergebnis kommen.

Vonseiten der Opposition wie auch von Herrn Funk wurde der Fonds für die Opfer extremistischer Übergriffe angesprochen. Auch mich treibt um, dass - darauf haben ja auch Sie, Herr Schurer, hingewiesen - bisher wenig Geld abgeflossen ist, dass bisher wenige Anträge vorliegen, und zwar derzeit so wenige, dass der Haushaltsansatz auf gar keinen Fall ausgeschöpft wird und das vorgesehene Geld auch nicht annähernd abfließen wird. Wir haben noch einmal eine Werbe- und Informationsaktion gestartet. Ich denke, es ist richtig, dass wir zu diesem Zeitpunkt den Haushaltsansatz belassen, uns dann aber im nächsten Jahr durch Aufklärung und Information über den Umfang der Leistungen gemeinsam bemühen, dass das Geld denjenigen zugutekommt, die Opfer von extremistischen Übergriffen geworden sind und auf andere Art und Weise nicht für ihr Leid und ihren Schmerz entschädigt werden können.

Frau Lambrecht, Sie haben die Verjährungsfristen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch angesprochen. Der runde Tisch wird nächste Woche zusammenkommen und über den ersten Zwischenbericht beraten. Von der Arbeitsgruppe, die unter der Leitung meines Hauses steht, ist ein Konzept erarbeitet worden, wie Opferrechte gestärkt werden können. Da haben wir uns dank der konstruktiven Mitarbeit vieler bei diesem Thema auf ein Konzept verständigt.

Wir haben uns abschließend noch nicht mit anderen rechtspolitischen Folgerungen auseinandergesetzt. Ich denke, das gehört zusammen. Da gibt es zu Recht Pro und Kontra. Wir sehen in jedem Fall die Notwendigkeit, bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen etwas zu tun; denn da ist die Frist sehr kurz. Bei den strafrechtlichen Verjährungsansprüchen wollen wir in der Sache diskutieren und abwägen, ob es Gründe dagegen gibt. Ich meine, es ist aller Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit wert, darüber am Ende zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 123-3 vom 25.11.2010
Rede der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag
am 25. November 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2010