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STRAFRECHT/481: Wahrheitsfindung im Strafprozess und parlamentarische Kontrolle in Krisenzeit gewährleisten (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 20. April 2020

Wahrheitsfindung im Strafprozess und parlamentarische Kontrolle in der Krisenzeit gewährleisten!

DAV pocht auf rechtspolitischen Handlungsbedarf


Berlin (DAV). Anlässlich der beginnenden Sitzungswoche des Deutschen Bundestags hat sich der Deutsche Anwaltverein (DAV) mit einem Schreiben unter anderem an die rechtspolitischen Sprecherinnen und Sprecher von CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und DIE LINKE gewandt. Der DAV sieht dringenden Handlungsbedarf in zwei unterschiedlichen Bereichen: bei der Gewährleistung der parlamentarischen Kontrolle auch in der Krisenzeit sowie bei der Sicherstellung der Wahrheits- und Entscheidungsfindung im Strafprozess durch audiovisuelle Dokumentation.

Parlamentarische Kontrolle

"In einem demokratischen Rechtsstaat müssen Regelungen, die tief in die Grundrechte eingreifen, vom Parlament getroffen werden", betont Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, DAV-Präsidentin. "Sie können nicht durch weitreichende Verordnungsermächtigungen der Exekutive eingeräumt werden." Der DAV fordert daher, der Bundesregierung gesetzlich aufzugeben, erlassene Infektionsschutz-Verordnungen zumindest nachträglich dem Bundestag zur Überprüfung vorzulegen. Dies ist notwendig, um eine parlamentarische Kontrolle auch in Krisenzeiten zu gewährleisten. Ferner bedarf es einer Zustimmung des Bundesrates.

Damit in der Krise die parlamentarische Kontrolle faktisch überhaupt möglich ist, müsste überdies die Geschäftsordnung des Bundestages geändert werden, damit Entscheidungen auch ohne physische Zusammenkunft getroffen werden können. "Die heute zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel machen dezentrale Kommunikation und Entscheidungen möglich, wie wir gerade erleben und erlernen", ergänzt Kindermann. Andere Parlamente, etwa das Europäische Parlament, zeigen hier entsprechende Möglichkeiten auf.

Audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung notwendig

Die pandemiebedingt eingeführte Hemmungsregel erlaubt nunmehr eine Unterbrechung der Hauptverhandlung von maximal drei Monaten und zehn Tagen. Dies führt die Notwendigkeit der zügigen Einführung einer audiovisuellen Dokumentation noch dringlicher vor Augen: Trotz einer bis zu 102 Tagen dauernden Unterbrechung wird der zuvor verhandelte Verfahrensstoff nach wie vor allein im Gedächtnis der Verfahrensbeteiligten und ihren Notizen festgehalten. "Wir brauchen daher die audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung", so Kindermann. Die bisherigen Erkenntnisse in Strafprozessen könnten durch eine audiovisuelle Dokumentation rekonstruiert werden. Ohne diese leide die Qualität des Strafprozesses. Selbst die Qualität der bisherigen schriftlichen Protokollierung ist lückenhaft. "Die Richterschaft sollte anhand der Unterbrechungsregelung nunmehr ihren Widerstand aufgeben", so die DAV-Präsidentin.

Eine sowohl auf die Schonung ihrer Ressourcen als auch auf die Qualität ihrer Entscheidungen bedachte Justiz werde sich - und nicht nur in Zeiten der Pandemie - inhaltlich undokumentierte Hauptverhandlungen nicht mehr weiterhin leisten. "Wir sollten auch die Chance der durch die Pandemie ausgelösten fortschreitenden Digitalisierung der Justiz nutzen!", mahnt die DAV-Präsidentin. In der EU sei die Bundesrepublik nur einer von drei Staaten, welche sich den zweifelhaften Luxus leisten, ihre strafrechtlichen Hauptverhandlungen inhaltlich nicht zu dokumentieren.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 15/20 vom 20. April 2020
Deutscher Anwaltverein (DAV)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2020

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