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VÖLKERRECHT/050: Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 5 vom 13. März 2007

Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten ist Völkermord
Zahlreiche Täter wurden bereits von UN-Tribunalen wegen sexueller Straftaten verurteilt

Mit Prof. Sabine von Schorlemer sprach Anja Bartho


Die Mitarbeiter an der Professur für Völkerrecht, Recht der EU und Internationale Beziehungen der TU Dresden befassen sich in einem Forschungsschwerpunkt mit Entwicklungen auf dem Gebiet der Frauenrechte, insbesondere in Bezug auf die Vereinten Nationen. Die Forschungsergebnisse werden demnächst in einem neuen Band der neu gegründeten Reihe "Dresdner Schriften zu Recht und Politik der Vereinten Nationen" veröffentlicht. UJ sprach mit Professorin Sabine von Schorlemer.


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UJ: Frauen besitzen weltweit sehr unterschiedliche Rechte, werden in bestimmten Situationen unterschiedlich geschützt oder gesellschaftlich gefördert - welche Schwerpunkte kann man gegenwärtig bei den Vereinten Nationen im Bereich der Frauenrechte feststellen?

PROF. SABINE VON SCHORLEMER: Frauen und ihre Rechte spielen inzwischen praktisch in allen Tätigkeitsbereichen der Vereinten Nationen eine Rolle. Dazu zählt beispielsweise der Menschenrechtsschutz, wo man von der Unteilbarkeit und Unveräußerbarkeit universeller Menschenrechte ausgeht und sich dafür einsetzt, dass alle Frauen weltweit die gleichen verbürgten Rechte genießen; über die Umsetzung der Menschenrechte für Frauen müssen die Staaten zum Beispiel regelmäßig Bericht abstatten und im Einzelfall können Frauen ein internationales Verfahren anstrengen, wenn sie in ihren Rechten verletzt wurden.

Die von den Vereinten Nationen seit den 1990er Jahren intensiv verfolgte Strategie des Gender Mainstreaming sorgte dafür, dass sich inzwischen praktisch alle UN-Institutionen in ihrem Tätigkeitsbereich mit der Frage der Geschlechtergleichheit zwischen Mann und Frau befassen, neuerdings auch der UN-Sicherheitsrat mit Blick auf die UN-Friedensoperationen (vgl. die Resolution 1325 aus dem Jahr 2000). Auch UN-intern, also innerhalb der UN-Verwaltungsstrukturen, wurde unter dem gerade aus dem Amt geschiedenen UN-Generalsekretär Kofi A. Annan ein großer Kraftakt unternommen, um dem Nicht-Diskriminierungsgrundsatz zur umfassenden Geltung zu verhelfen. In manchen UN-Einrichtungen wurde bei der Stellenbesetzung sogar die 50:50 Quote erfolgreich umgesetzt; insgesamt ist der Frauenanteil bei den UN-Bediensteten jedenfalls deutlich angestiegen.

Daneben gibt es speziell im Bereich der Entwicklungsorganisationen einige Einrichtungen (z.B. UNIFEM), die sich traditionell der Frauenförderung, speziell von Frauen im Süden, verschrieben haben. Die Vereinten Nationen haben stets einen besonderen Entwicklungsländer-Fokus, was sich auch an ihrem Einsatz für Frauenrechte spiegelt.

UJ: Ein Bereich, in dem die Vereinten Nationen in jüngerer Zeit starke Veränderungen vorgenommen haben, ist das Völkerstrafrecht zu sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten. Was beinhaltet dieser Aspekt des Völkerstrafrechtes?

PROF. SABINE VON SCHORLEMER: Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten kann verschiedene Straftatbestände des Völkerstrafrechts erfüllen. Die von den Vereinten Nationen eingerichteten Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda haben in ihren Urteilen erstmals explizit festgestellt, dass im Kontext eines bewaffneten Konfliktes begangene sexuelle Gewaltverbrechen nicht nur Kriegsverbrechen, sondern auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord darstellen können, wenn sie in einem gewissen Ausmaß oder mit der Intention, eine Bevölkerungsgruppe ganz oder teilweise zu vernichten, verübt werden. Insbesondere die erstmalige Klassifikation von sexueller Gewalt als "Völkermord" muss angesichts der Tatsache, dass sexuelle Gewaltverbrechen im Völkerrecht traditionell verharmlost und vernachlässigt wurden, als eine Sensation gelten.

Darüber hinaus haben die UN-Tribunale wesentlich zur Klärung der Tatbestandsmerkmale von Verbrechen wie Vergewaltigung beigetragen. Das Statut des ständigen Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, das von der International Law Commission der Vereinten Nationen vorbereitet wurde, weitet zudem den Tatbestandskatalog zu sexueller Gewalt beträchtlich aus: Während das Völkerrecht traditionell nur die Tatbestände der Vergewaltigung und erzwungenen Prostitution kannte, umfasst das Statut nun auch sexuelle Sklaverei, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation und den Auffangtatbestand "jede andere Form von sexueller Gewalt".

UJ: Welche Entwicklungen und Einflüsse haben das Völkerstrafrecht zu sexueller Gewalt verändert?

PROF. SABINE VON SCHORLEMER: Der entscheidende Anstoß für die Entwicklung des Völkerstrafrechts zu sexueller Gewalt in den 1990er Jahren war zweifellos der systematische Einsatz von Vergewaltigungen und erzwungenen Schwängerungen von Frauen zur "ethnischen Säuberung" auf dem Balkan und, wenn auch von der Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen, während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994. Damit sich das Entsetzen über diese Verbrechen in konkrete Rechtsentwicklungen übersetzte, bedurfte es jedoch zusätzlich des unermüdlichen Engagements von mit dem Schutz der Frauenrechte befassten nicht-staatlichen Organisationen, (NGOs) und Völkerrechtlern, die sich für die umfassende Verfolgung von Sexualverbrechen durch die UN-Tribunale einsetzten. Nicht zu unterschätzen ist auch der Anteil, den Frauen als Richterinnen und Anklägerinnen an der effektiven Verfolgung von sexueller Gewalt durch die Tribunale hatten; so waren an den wichtigsten Urteilen zu sexueller Gewalt Richterinnen maßgeblich beteiligt. Das Gender Mainstreaming, bei dem die Vereinten Nationen ja zu den Vorreitern gehören, hat hier eine eindeutige Wirkung gezeigt.

UJ: Inwiefern ist das Völkerstrafrecht zu sexueller Gewalt bereits angewendet oder wirksam worden?

PROF. SABINE VON SCHORLEMER: Die Erfolge der strafrechtlichen Verfolgung von Sexualverbrechen durch die adhoc Tribunale der Vereinten Nationen ist in der Geschichte des Völkerrechts präzedenzlos: Zahlreiche Täter wurden von den Tribunalen zum Teil ausschließlich aufgrund sexueller Gewaltverbrechen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Vieles spricht dafür, dass der neu eingerichtete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag an diese Erfolge anknüpfen wird: Sowohl in seinen Ermittlungen zu den Verbrechen der Lord's Resistance Army in Nord-Uganda als auch zu den Geschehnissen in Darfur spielen sexuelle Gewaltverbrechen eine zentrale Rolle.

Weniger eindeutig lässt sich die Frage beantworten, ob das Völkerstrafrecht auch zum Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt beigetragen hat. So ist die generalpräventive Wirkung des Völkerstrafrechts unter Experten sehr umstritten. Dabei steht außer Frage, dass insbesondere in modernen bewaffneten Konflikten, in denen die Zivilbevölkerung gezielt angegriffen wird, das Völkerstrafrecht allein die Zivilbevölkerung nicht vor sexueller Gewalt schützen kann. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat daher in den vergangenen Jahren zunehmend UN-Friedenstruppen explizit mandatiert, die Zivilbevölkerung zu schützen. Der Schutz der Zivilbevölkerung mit Friedenstruppen wird aller Voraussicht nach ein notwendiges Komplement zur strafrechtlichen Verfolgung von sexueller Gewalt bleiben.

UJ: Wie sind Frauen weltweit überhaupt vor sexueller Gewalt geschützt bzw. wie wird sexuelle Gewalt durch nationale Gesetze geahndet, insbesondere zum Beispiel in Ländern, in denen Frauen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle spielen?

PROF. SABINE VON SCHORLEMER: Die UN-Tribunale haben sich bei der Definition von Vergewaltigung intensiv mit nationalen Gesetzen befasst und dabei einen Trend festgestellt, Vergewaltigung im Allgemeinen und insbesondere das Element des fehlenden Konsenses des Opfers, das ein konstitutives Tatbestandsmerkmal ist, weniger restriktiv zu definieren. Das Problem bei der Verfolgung von sexueller Gewalt im nationalen Rahmen scheint damit vielfach weniger in der Rechtslage als an dem Misstrauen zu liegen, das Vergewaltigungsopfern traditionell entgegengebracht wird. Das erst im vergangenen November abgeschaffte pakistanische Gesetz, aufgrund dessen eine Frau für den Nachweis einer Vergewaltigung vier männliche Zeugen aufbringen musste und sich ansonsten schnell selbst mit einer Anklage wegen Ehebruchs konfrontiert sah, ist zwar ein extremes Beispiel. Aber auch in westlichen Ländern wie Großbritannien führen nur rund fünf Prozent der Anzeigen wegen Vergewaltigung zu einer Verurteilung. Dennoch lässt sich sagen, dass die Sensibilität für sexuelle Gewalt gegen Frauen in den letzten Jahren gerade in den westlichen Ländern stark gestiegen ist.

Schwieriger ist es mit Gewalt gegen Männer: In den USA etwa wird sexuelle Gewalt gegen Männer, vor allem in Gefängnissen, inzwischen als ein gleichwertiges, aber noch mit weit größeren Tabus behaftetes Problem angesehen. Auch die Rechte von Jungen und Männern sind also zu wahren; zugleich sind sie unentbehrlich, um stereotype Rollenbilder zu überwinden und Frauen zu ihren Rechten zu verhelfen.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 18. Jg., Nr. 5 vom 13.03.2007, S. 6
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2007