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DILJA/152: Auf ewig "Knacki"? Sicherungsverwahrung gegen Jugendliche (SB)


Auf ewig "Knacki"?

Sicherungsverwahrung gegen Jugendliche


Auf leisen Sohlen, aber scheinbar unaufhaltsam wird der Rechtsstaat demontiert zugunsten eines Repressionsapparates, der die Einschränkungen, die ihm zugunsten einer hohen Glaubwürdigkeit und politischen Akzeptanz einst auferlegt wurden, systematisch abbaut. Kaum ein Bereich ordnungs- und sozialpolitischer Relevanz wurde von dieser Entwicklung, die durch Begriffe wie "Rechtsruck" und "Demokratieabbau" nur unzureichend charakterisiert werden kann, bislang verschont. Namentlich die sogenannten Antiterrorgesetze, praktischerweise gleich verpackt in "Pakete", haben geradezu zu einem Dammbruch bei den Grund- und Bürgerrechten, aber auch dem Datenschutz geführt. Derlei Schutzbestimmungen oder vielmehr -versprechen werden nun endgültig nach- und untergeordnet hinter das Zauberwort "Sicherheit", mit dem in terrorhysteriegeschürten Zeiten jede noch so drakonische Maßnahme eines aufgerüsteten Obrigkeitsstaates pseudolegitimiert wird.

Im Zuge dieser unheilvollen Generalentwicklung bleiben Strafrecht und Strafvollzug ebensowenig unangetastet wie die in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts maßgeblichen Sanktionskonzepte der sogenannten Resozialisierung. Bahnbrechend beim Abbau demokratischer Schutzrechte in diesem Bereich war unter anderem auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - also gerade der Instanz, die in der Auseinandersetzung zwischen den Trägern des staatlichen Gewaltmonopols und den diesem unterworfenen Bürgern der Einhaltung sowie dem Schutz der Grundrechte letztinstanzlich verpflichtet ist - zur sogenannten Sicherungsverwahrung.

Am 10. Februar 2004 hatte das höchste deutsche Gericht die Sicherungsverwahrung zwar für verfassungswidrig erklärt, jedoch nur deshalb, weil einige Bundesländer, die eigene Gesetze zur Sicherungsverwahrung erlassen hatten, dies wegen mangelnder Gesetzgebungskompetenz nicht hätten tun dürfen. Im Grundsatz jedoch erklärten die Bundesverfassungsrichter - noch dazu einstimmig, was ihrem Votum zusätzliches Gewicht verlieh -, daß die Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Dies gelte im Prinzip sogar dann, wenn sie gegen Ersttäter, zeitlich unbefristet oder nachträglich verhängt werde.

Diese höchstrichterliche Entscheidung demaskiert eigentlich das gesamte Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland, in dem der Theorie nach diejenigen, denen eine Straftat in einem regulären Verfahren nachgewiesen werden kann, innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens bestraft werden können. Bei der Sicherungsverwahrung ist dies nicht der Fall, denn die Strafhaft haben die Betroffenen abgebüßt. Von dem Zeitpunkt an, in dem sie ihre Haftstrafe abgesessen haben und dennoch hinter Gittern bleiben, wird ihnen ihre Freiheit aufgrund eines bloßen Verdachtes genommen - was es in einem sich demokratisch nennenden Rechtsstaats nicht geben dürfte.

Die Befürworter dieser Willkürhaft bedienen sich zur Rechtfertigung dieser Verfassungsverletzung stereotyp des Argumentes, auf diese Weise die "Sicherheit" der Bevölkerung gewährleisten zu wollen. Eben dieses Argument wurde in den 70er Jahren, noch dazu ungleich plausibler, für die "Resozialisierung" ehemaliger Strafgefangener ins Feld geführt. Damals galt dies sogar als der heiligste Zweck der Freiheitsstrafe, so als wären die Gefängnisse Orte, an denen ein Mensch, der in welcher Weise auch immer Verhaltensdefizite oder auch -störungen aufweist, die zu seiner Straftat geführt haben sollen, hier nachholen, was er zuvor versäumt hat. In diesem Konzept ist vom Ansatz her neben der unhinterfragten Schuldzulastung auf den Täter und damit einer Entlastung der Gesellschaft der Gedanke enthalten, daß widrige soziale Umstände wie etwa materielle Notlagen seine Fehlentwicklung begünstigt oder gar verursacht haben könnten, weshalb ihm eine "zweite Chance" einzuräumen sei in Hinsicht darauf, daß aus ihm doch noch ein verwertbares Mitglied der Gesellschaft werden könnte.

In bezug auf Jugendliche (im Alter zwischen 14 und 18 Jahren) oder auch Heranwachsende (18 bis 21jährig) ist ein solches Konzept in wesentlichen Zügen in die Gesetzgebung eingeflossen. Laut Jugendgerichtsgesetz wird eine "Jugendstraftat" in erster Linie mit "Erziehungsmaßregeln" wie etwa Weisungen für die Lebensführung, die Aufsicht durch einen Betreuungshelfer, die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder an Verkehrserziehung geahndet. Reichen diese nicht aus, können "Zuchtmittel", worunter Verwarnungen, Auflagen, aber auch Jugendarrest zu verstehen ist, verhängt. Eine reguläre Gefängnisstrafe - die Jugendstrafe - soll nur bei einer besonderen Schwere der Schuld oder durch die Straftat offenbarten "schädlichen Neigungen" des Jugendlichen verhängt werden können. Eine Sicherungsverwahrung schließt das Jugendgerichtsgesetz definitiv aus.

Ein solches (Jugend-) Strafrecht ist einer Zeit entsprungen, in der in der Bundesrepublik Deutschland ein relativer Wohlstand vorherrschte und insbesondere von einer Arbeitslosigkeit im heutigen Ausmaß nicht die Rede sein konnte. Folglich bestand ein Verwertungsinteresse der gesellschaftlich dominanten Kräfte sogar an all denjenigen, die eines Verstoßes gegen ihre Gebote für schuldig erklärt worden waren, und nur den "Unverbesserlichen" blieb ein langes Leben hinter Gintern beschieden. Diese Grundparameter wurden inzwischen grundlegend verändert. Die gegenwärtigen Gesetzesverschärfungen sind in ihrer Gesamtheit darauf ausgerichtet, immer mehr Menschen zu selektieren und auszusondern. Im Jugendstrafrecht wird dies zum Beispiel daran deutlich, daß die als Erziehungsmaßregel verhängte Weisung, eine Arbeitsstelle anzunehmen oder Arbeitsleistungen zu erbringen, absurd ist angesichts einer Massenarbeitslosigkeit auch unter Jugendlichen.

Auch wenn dies nicht offen ausgesprochen wird, weil dies früher oder später zu einem Aufbegehren oder gar einer Sozialrevolte der an den Rand gedrängten Jugendlichen führen könnte, ist doch unverkennbar, daß längst nicht mehr alle (jungen) Menschen "gebraucht" werden. Resozialisierung, wie sie früher beispielsweise durch Berufsausbildungsmöglichkeiten für Häftlinge betrieben wurde, verliert völlig ihren Sinn, wenn schon ein immer größer werdendes Heer nicht straffällig gewordener Menschen ohne Ausbildungs- und Arbeitsplatz langfristig unter Kontrolle gehalten werden muß.

In Hamburg hat sich in diesem Sommer Justizsenator Lüdemann hervorgetan, um die Axt an die Resozialisierung im Strafrecht schon einmal anzusetzen. Da im Zuge der Föderalismusreform die Bundesländer mehr Gesetzgebungskompetenzen im Strafrecht erhalten, kündigte der Senator bereits im Juli eine Verschärfung der Haftbedingungen in Hamburger Gefängnissen an. Der offene Vollzug soll eingeschränkt, der geschlossene zum Regelfall erklärt werden. Auch sollen Gefangene öfter in Handschellen transportiert werden als bisher. Lüdemann begründete die Restiktionen folgendermaßen:

Wir haben im Moment die Regelung aus den siebziger Jahren, daß im Vordergrund die Resozialisierung des Gefangenen steht. Ich bin der Meinung, im Vordergrund des Strafvollzuges muß die Sicherheit der Bevölkerung stehen - was nicht ausschließt, daß Resozialisierung gemacht wird. Aber primär geht erst einmal um die Sicherheit der Bevölkerung.

Damit tritt er ganz in die Fußstapfen seines Vorgängers. Der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch hatte im Februar dieses Jahres dafür plädiert, das Jugendstrafrecht insgesamt abzuschaffen. Für die Opfer sei es egal, so Kuschs Argumentation, ob ein Täter 15 oder 25 Jahre alt ist. Die Trennung zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht sei nicht "opferfreundlich", meinte Kusch, der das Jugendgerichtsgesetz am 1. Februar im Deutschlandfunk als "deutlich täterorientiert" kritisierte. Er behauptete, hohe Rückfallquoten jugendlicher Straftäter sprächen gegen eine erzieherische Wirkung der nach dem Jugendstrafrecht verhängten Sanktionen. Christian Pfeiffer, ehemaliger Justizminister Niedersachsens und Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, widerlegte seinerzeit den Vorstoß Kuschs im Norddeutschen Rundfunk mit den Worten:

Das ist besonders trickreich, zu tun, als ob man sich zum Anwalt der Opfer macht. Dabei wissen die Menschen sehr wohl, daß das Erwachsenenstrafrecht mit seiner undifferenzierten Härte den Opfern keinen Deut mehr bringt. Kuschs Vorschläge umgesetzt, bedeutet, daß die Gefängniskosten drastisch steigen würden. Und damit würde er ein weiteres Mal so tun, als ob die Zukunft unseres Landes im Ausbau der Gefängnisse liegt und nicht im Ausbau der Schulen.

Pfeiffer legte desweiteren dar, daß in Deutschland seit Jahren die Zahl der von Jugendlichen begangenen Gewalttaten rückläufig und daß die Rückfallquoten gerade auch bei "weichen" Jugendstrafen wie Arbeits- und Betreuungsauflagen gering sind. Argumente dieser Art sind allerdings nicht imstande, den Rechtsruck im Lande auch nur aufzuhalten. An Argumenten, auch von wissenschaftlicher Seite, hat es schon im Jahre 2004, als das Bundesverfassungsgericht die Sicherungsverwahrung im Kern guthieß, nicht gemangelt. Die Verfassungsrichter ignorierten damals geflissentlich die Ergebnisse einer Rückfallstatistik aus dem Bundesjustizministerium. Unter Verwendung von Daten, die rund eine Million zu Strafen verurteilte Menschen in den Jahren 1994 bis 1998 betreffen, waren die Autoren dieser Studie zu dem Ergebnis gekommen, daß nur etwa jeder dritte strafrechtlich Verurteilte überhaupt rückfällig wird.

Dies würde bedeuten, daß zwei von drei ehemaligen Strafgefangenen, gegen die eine anschließende Sicherungsverwahrung verhängt wurde, statistisch gesehen gar nicht rückfällig geworden wären. Somit erweist sich die Sicherungsverwahrung als bloßes Vehikel, um immer mehr Menschen auf lange Zeit hinter Gitter bringen zu können auch ohne ihnen eine Straftat nachweisen zu müssen. Diese Entwicklung wird zudem begünstigt durch das Bestreben, Gefängnisse nach Vorbild der USA zu privatisieren. Dort hat das berüchtigte "Three Strikes"- Gesetz, einer aus dem Baseball, wo ein Spieler nach drei Fehlschlägen draußen ist, entlehnten Regelung, derzufolge nach der dritten Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden kann, dazu geführt, daß immer mehr Menschen hinter Gittern sitzen, obwohl die Kriminalitätsraten rückläufig sind.

In der Bundesrepublik scheint der Sicherungsverwahrung die Aufgabe zuzukommen, für immer mehr Nachschub an Häftlingen zu sorgen, die zu Minimallöhnen und ohne jeden Arbeitsrechtsschutz zu Zwangsarbeit verdammt sind. Darauf deutet auch der jüngste Vorstoß der Bundeskanzlerin hin. Merkel sprach sich auf einer Festveranstaltung zum 30jährigen Bestehen des Opferschutzvereins "Weißer Ring" in Berlin für eine Sicherungsverwahrung "schwerkrimineller Jugendlicher" aus. "Opferschutz geht vor Täterschutz", bemühte auch sie ein längst abgedroschenes Argument. Abgedroschen deshalb, weil die Alternativen zu einer Präventivhaft keineswegs in einem "Täterschutz" bestehen, wobei zudem außer acht gelassen wird, daß Sicherungsverwahrung wegen einer Straftat verhängt wird, die ein Mensch in Freiheit möglicherweise hätte begehen können.

Merkel hingegen befürwortet sogar die nachträglich verhängte Sicherungsverwahrung auch gegen Jugendliche, was sie für gerechtfertigt hält, sofern diese wegen schwerster Gewalttaten verurteilt wurden und ihnen eine Rückfallgefahr unterstellt wird. Die Höchststrafe für die wohl denkbar schwerste Straftat - Mord - liegt im Jugendstrafrecht bei zehn Jahren, eine Dauerverwahrung auf unbestimmte Zeit - sprich eine Sicherungsverwahrung - war bislang im Jugendgerichtsgesetz ausdrücklich ausgeschlossen. Somit ist zu konstatieren, daß der Fortbestand der Bundesrepublik Deutschland über ein halbes Jahrhundert hinweg gesichert werden konnte, ohne daß auch gegen junge Menschen zeitlich unbestimmte und somit im Extremfall lebenslängliche Haftstrafen verhängt werden konnten.

Sollte dies nun, wie Merkels Vorstoß befürchten läßt, Realität werden, stellt dies einen weiteren Dammbruch dar in Hinsicht auf die Transformation eines sich demokratisch nennenden Staates hin zu einem Repressionsapparat, der sich schon heute in Hinsicht auf zukünftige Armuts- und Hungerrevolten rüstet, gegen die eigene Bevölkerung mit allen nur denkbaren Gewalt- und Zwangsmitteln vorzugehen, wovon auch die unsägliche Diskussion über die "Legitimität" der Folter ein beredtes Zeugnis abgibt.

Erstveröffentlichung am 11. Oktober 2006

23. Januar 2007



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