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DILJA/155: Münchner Amtsgericht schränkt Bewegungsraum der CIA ein (SB)


Haftbefehle des Amtsgerichts München fordern die CIA heraus

Spätfolgen der Verschleppung des Deutsch-Libanesen Chaled El Masri


Will man der New York Times Glauben schenken, hat das Amtsgericht München wahrlich Erstaunliches vollbracht. Die von ihm gegen 13 mutmaßliche CIA-Agenten am vergangenen Mittwoch erlassenen Haftbefehle wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung nannte die US-Zeitung die "bisher schwerwiegendste juristische Herausforderung" im Zusammenhang mit den "geheimen Gefangenentransporten der CIA". Bei den Beschuldigten handelt es sich um die mutmaßlichen Entführer des gebürtigen Libanesen und deutschen Staatsbürgers Chaled El Masri, der Ende 2003 in Mazedonien gefangengenommen und nach Afghanistan verschleppt worden war, von wo er erst nach monatelanger Folterhaft mit der lapidaren Begründung, es habe sich um eine Verwechslung gehandelt, wieder freigelassen worden war.

Da ein deutscher Haftbefehl in den USA ohnehin keine rechtliche Gültigkeit hat, haben die beschuldigten CIA-Mitarbeiter eine Auslieferung nach Deutschland nicht zu befürchten. Gleichwohl scheint der Bewegungsraum der CIA, so aberwitzig sich dies anhören mag, durch die Münchner Haftbefehle ein wenig eingeschränkt worden sein, können sich doch die 13 Beschuldigten keineswegs sicher sein, nicht doch verhaftet zu werden, sobald sie das Territorium der USA verlassen. Aus solchen Gründen sollen CIA-Mitarbeiter schon in zunehmendem Maße private Rechtsschutzversicherungen abgeschlossen sowie eine gewisse Scheu vor Auslandseinsätzen entwickelt haben.

Die Bemühungen eines deutschen Strafgerichts, schweren Straftaten zum Nachteil eines deutschen Staatsbürgers mit den ihm zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln zu begegnen, wirkt antiquiert in einer Zeit, in der insbesondere in den USA die Grundfesten des Rechtsstaates und damit seiner Strafjustiz schon weitgehend erschüttert wurden. Gemessen an den beanspruchten demokratischen Ansprüchen müßte ein solcher Vorgang, zumal kaum zu bestreiten ist, daß Chaled El Masri Opfer schwerer Straftaten geworden ist, auch im bilateralen Verhältnis zweier Staaten, die für sich in Anspruch nehmen, der demokratischen Welt nicht nur anzugehören, sondern in ihr Führungspositionen einzunehmen, eigentlich eine unkomplizierte Angelegenheit sein.

Faktisch - und dies wird auch dem Amtsgericht München bewußt sein - bestehen jedoch keine realistischen Chancen, den "Fall" El Masri durch eine strafprozessuale Aufarbeitung und mögliche Verurteilung zumindest der auf der operativen Ebene Verantwortlichen in einer Weise zum Abschluß zu bringen, die den nicht unerheblichen Ansehensverlust der Bundesrepublik zu kompensieren vermag. In Washington hält man es offensichtlich schon für überflüssig oder ehrenrührig, gegenüber dem Amtsgericht München umgehend Stellung zu nehmen. US-Außenministerin Condoleezza Rice hatte gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin bereits erklärt, es habe sich im Fall El Masri um eine Verwechslung gehandelt - so als hätte es sich bei der Verschleppung und Mißhandlung eines anderen von der CIA Verdächtigten um eine nicht minder illegale Angelegenheit gehandelt.

Angela Merkel allerdings ließ sich damit abspeisen, wie auch die Berliner Führung insgesamt keinerlei Anstalten machte, in dieser Angelegenheit den stringenten Unterordnungskurs gegenüber den Direktiven aus Washington aufzukündigen oder zumindest eine partielle Streit- und Widerspruchsbereitschaft zu entfalten. Der Vorgängerregierung unter Bundeskanzler Schröder war so etwas durchaus noch eigen gewesen, ohne daß dies mit einer Gegenposition zu verwechseln gewesen wäre, die nicht unter dem Stichwort "innerimperialistische Konkurrenz" abzuheften gewesen wäre. Die Bush-Administration machte unterdessen deutlich, daß sie die Münchner Haftbefehle für eine eigentlich nicht hinnehmbare Diskreditierung ihres Auslandsgeheimdienstes und seiner Mitarbeiter hält, für die wie für alle anderen Träger des von den USA beanspruchten universalen Gewaltmonopols sie längst eine De-facto-Straffreiheit durchgesetzt zu haben meint.

Das Problem aus Washingtoner Sicht besteht nun darin, daß dies, wie das Beispiel aus München zeigt, noch nicht alle Repräsentanten staatlicher Gewaltapparate so vollständig eingesehen hätten, daß der US-Hoheitsanspruch ohne mißliche Mißtöne durchzusetzen wäre. Der Schritt eines deutschen Strafgerichts, gegen 13 CIA-Agenten, von denen bislang lediglich die Tarnidentitäten bekannt sind, Haftbefehle zu erlassen, stellt für die USA eine ärgerliche bis belanglose Angelegenheit dar. Offensichtlich ist man in Washington nicht willens oder in der Lage, sich in die ambivalente Situation deutscher Behörden und Gerichte hineinzuversetzen. Würden diese im Fall El Masri, obwohl klare Hinweise auf die gegen ihn verübten schweren Straftaten vorliegen, untätig bleiben, würde sich die deutsche Justiz mehr als ihr lieb sein kann als willfähriges Instrument transatlantischer Herrschaftsausübung zu erkennen geben.

Da die USA ihrerseits mehr als ihre westeuropäischen Freunde ungeniert und mit offenem Visier den eigenen Rechtsstaat demontieren und den anderer Staaten genausowenig ernstnehmen wie das internationale Gerüst des bisherigen Völkerrechts unter dem Dach der Vereinten Nationen, sind Glaubwürdigkeits- und Darstellungsprobleme dieser oder ähnlicher Art ihnen recht unvertraut. Nicht einmal zum bösen Schein geht die Bush-Administration auf den Vorstoß eines aus ihrer Sicht vorwitzigen deutschen Amtsgerichts ein. Mit der gewohnten Arroganz der Macht erklärte US-Außenamtssprecher McCormack, er habe von den Haftbefehlen "gehört", nur seien ihre Leute noch nicht dazu gekommen, sich die Angelegenheit genauer anzusehen - eine Angelegenheit, die ohnehin nicht auf offizieller Regierungsebene verhandelt wird, da es sich bislang nur um die von einem "lokalen" Staatsanwalt beantragten Haftbefehle handele.

In den USA selbst hat El Masri ohne jeden Erfolg versucht, juristische Schritte gegen die CIA-Mitarbeiter einzuleiten, die ihn verschleppt und mißhandelt hatten. Ein US-Bundesgericht in Alexandria hatte seine gegen den ehemaligen Direktor der CIA, George Tenet, sowie zehn Untergebene erhobene Klage im Mai vergangenen Jahres abgewiesen. Der Vorsitzende Richter führte zur Begründung aus, daß El Masri durch die Ablehnung seiner Klage zwar das juristische Forum, um die von ihm erhobenen Vorwürfe zu beweisen, genommen werde, daß aber seine privaten Anliegen hinter dem nationalen Interesse (der USA) zurückzustehen hätten. Diese lägen darin, Staatsgeheimnisse zu wahren. Würde die CIA gezwungen werden, vor Gericht Stellung zu nehmen, müßte sie ihre Strategie im "Krieg gegen den Terror" offenlegen, womit gegen eine wenn auch selten beanspruchte Schutzklausel im Gesetz verstoßen werden würde.

Mit anderen Worten: Die USA haben sich selbst ermächtigt, in dem von ihnen propagierten "Krieg gegen den Terror" die hier zur Disposition stehenden Schutzrechte einzelner und damit aller Menschen auszusetzen, wann und inwiefern auch immer ihnen das geboten zu sein scheint. Wäre es der deutschen Bundesregierung ernst gewesen mit ihrer Fürsorgepflicht ihren Bürgern gegenüber, hätte sie sich umso mehr für das angeblich "persönliche" Anliegen El Masris stark machen müssen, dem in den USA jede Möglichkeit genommen wurde, die von ihm erhobenen und zudem keineswegs unglaubwürdigen Vorwürfe beweiskräftig zu untermauern. Der Richter des Bundesgerichts in Alexandria hatte El Masri, der eine persönliche Entschuldigung des ehemaligen CIA-Direktors Tenet oder eine Entschädigung in Höhe von 75.000 Dollar verlangt hatte, seinerzeit erklärt, daß ihm eine solche Entschädigung zustünde, sollten die Vorwürfe zutreffend sein - El Masri könne eine solche Entschädigung auf dem Gerichtsweg (in den USA) eben nur nicht einklagen.

Das Merkel-Team wird mehr noch als die Vorgängerregierung um Schröder wissen, warum es den "Fall" El Masri nicht zur Chefsache erklärt und den Bemühungen der Münchner Staatsanwälte Nachdruck verliehen hat. Als im Mai vergangenen Jahres ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingerichtet wurde, um in der sogenannte CIA-BND-Affäre unter anderem auch die von der CIA in Europa durchgeführten geheimen Gefangenentransporte zu untersuchen, hatte Bundeskanzlerin Merkel anläßlich eines Festaktes zum 50jährigen Bestehens des BND offen erklärt, daß der Untersuchungsausschuß nicht die Arbeit des deutschen Auslandsgeheimdienstes in Frage stellen dürfe.

Wenig später hatte Dick Marty, der vom Europaparlament beauftragte Sonderermittler in der Affäre um die CIA-Gefangenenflüge und Geheimgefängnisse in Europa, seinen Abschlußbericht vorgelegt. In ihm wurde Deutschland ausdrücklich belastet, wobei unter anderem der Fall El Masri angeführt wurde. Obwohl der BND angegeben hatte, schon im Januar 2004 über die Entführung des Deutsch-Libanesen informiert gewesen zu sein, behauptete die Bundesregierung, erst im Mai 2004 Kenntnis erlangt zu haben. Bundesaußenminister Steinmeier, der inzwischen auch im Fall Kurnaz massiv in die Kritik geraten ist, behauptete noch im Dezember 2006 im BND-Untersuchungausschuß, über den Fall El Masri erst nach dessen Freilassung im Juni 2004 informiert worden zu sein - und daß, obwohl ihm als damaligem Kanzleramtsminister die Koordinierung der Geheimdienste unterlag.

Deutschland habe, so behauptete Steinmeier, bei der Verschleppung El Masris keine Beihilfe geleistet. Wäre dem so, gäbe es für die Bundesbehörden keinen Grund, bei der US-Regierung auf eine Auslieferung der Beschuldigten oder zumindest eine Unterstützung für die deutschen Ermittler zu drängen. Allein, es fehlt der politische Wille. Der politische und juristische Wille, derjenigen habhaft zu werden, die den Fall El Masri in einer auch für die deutsche Bundesregierung unangenehmen Weise an die Öffentlichkeit gebracht haben, ist allerdings vorhanden. So sind, wie NDR Info am vergangenen Donnerstag berichtete, von der Staatsanwaltschaft Hamburg Ermittlungen gegen Journalisten eingeleitet worden wegen des Verdachts der Beihilfe zum Geheimnisverrat, und zwar gegen drei Redakteure des Stern sowie später auch einen Reporter der Financial Times Deutschland, weil diese im Fall El Masri aus vertraulichen Unterlagen des Bundeskriminalamtes zitiert hätten.

Gegen El Masri selbst sind inzwischen auch Ermittlungen wegen des Verdachts einer vorsätzlichen Körperverletzung aufgenommen worden. Die Ulmer Staatsanwaltschaft wirft dem heute 43jährigen vor, den Mitarbeiter einer Weiterbildungseinrichtung geschlagen zu haben. Über die Polizei sei eine Anzeige gegen El Masri bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. El Masris Anwalt erklärte bereits, sein schwer traumatisierter Mandant würde sich, sollte es tatsächlich einen solchen Aussetzer gegeben haben, dafür verantworten. Eine solche Bereitschaft lassen die für dessen Verschleppung und monatelange Folterhaft Verantwortlichen hingegen gänzlich vermissen.

Die unheilige Allianz der EU-Staaten und insbesondere auch Deutschlands mit den USA korrespondiert mit dem geheimen und unter tatkräftiger Beteiligung auch europäischer Geheimdienste realisierten Verschleppungs- und Foltersystem der CIA in Europa, dem El Masri wie auch viele andere, bis heute in der Öffentlichkeit namenlos gebliebene Menschen zum Opfer gefallen sind. Die Münchner Haftbefehle können nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch die deutsche Justiz in diese Allianz eingebunden ist.


Erstveröffentlichung am 6. Februar 2007

18. April 2007



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