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DILJA/235: Wie starb Oury Jalloh? Neuverhandlung in Magdeburg ohne Aufklärungsabsicht (SB)


Was nicht gedacht werden darf, darf auch nicht verhandelt werden

Neuverhandlung vor dem Magdeburger Landgericht im Todesfall Oury Jalloh ohne tatsächliches Aufklärungsinteresse


Nach den ersten Verhandlungstagen des am 12. Januar 2011 vor dem Landgericht Magdeburg begonnenen Prozesses um den Tod des Flüchtlings Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005, an Händen und Füßen fixiert, in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers qualvoll verbrannte, zeichnet sich ab, daß auch in diesem Verfahren Staatsanwaltschaft und Gericht nicht gewillt sind, das ihrer Meinung nach offensichtlich Undenkbare zu denken. "Oury Jalloh, das war Mord" - Mit diesen Worten bringen die Angehörigen des Opfers, Prozeßbeobachter des ersten Verfahrens vor dem Dessauer Landgericht und zahlreiche Aktivisten und Bürgerrechtsorganisationen ihre Auffassung auf den Punkt. Doch ein Tötungsdelikt auch nur in Erwägung zu ziehen, wie es nach den Umständen dieses Todesfalls aller Voraussicht nach geschehen wäre, hätte es sich bei den potentiellen Tätern nicht um Polizeibeamte handeln müssen, ist ein Schritt, der auch in der nach der Aufhebung des Freispruchs für einen der beiden angeklagten und im ersten Verfahren freigesprochenen Polizeibeamten durch den Bundesgerichtshof nun begonnenen Neuverhandlung vor dem Magdeburger Landgericht weder von der Anklagebehörde noch dem Gericht selbst zu erwarten ist.

Zur Anklage gebracht wurde nicht - weder in Magdeburg, noch in dem ersten Verfahren vor dem Dessauer Landgericht - ein Tötungsdelikt, sondern lediglich der Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen im Falle des zum Zeitpunkt des Todes von Oury Jalloh verantwortlichen Dienstgruppenleiters Andreas S., dem in beiden Verfahren im wesentlichen zum Vorwurf gemacht wird, nicht schnell genug zu Hilfe geeilt zu sein und den Feueralarm weggedrückt zu haben. Juristisch gesehen ist diese Anklage in sich widersprüchlich, setzt doch auch ein Delikt wie die Körperverletzung die Absicht, jemanden zu schädigen, wenn auch nicht zu töten, voraus. Nimmt man die Version der Staatsanwaltschaft zum Tathergang einmal für bare Münze, läßt sich eine solche Absicht aus ihr jedoch nicht ableiten. Dieser Version zufolge verbrannte Oury Jalloh einzig und allein in der Folge unglückseliger Verkettungen, während die Absichten der diensthabenden Polizisten ungeachtet eines solch grausigen Feuertodes über jeden Zweifel erhaben zu sein schienen.

Warum also wurde, wenn auch im ersten Verfahren erst nach zwei Jahren, überhaupt Anklage gegen zwei Beamte erhoben (dem zweiten wurde vorgeworfen, bei der Durchsuchung Jallohs "fahrlässig" ein Feuerzeug übersehen zu haben, der Freispruch gegen diesen Beamten ist inzwischen rechtskräftig)? Da Ermittler, Ankläger und Richter in beiden Verfahren, dies kann für das in Magdeburg gerade erst angelaufene bereits gesagt werden, von einer stillschweigenden Übereinkunft, nämlich eine Tötungsabsicht von vornherein auszuschließen, auszugehen scheinen, liegt die Schlußfolgerung nahe, daß die gerichtliche Aufarbeitung dieses Todes- und möglichen Mordfalles vermieden werden soll, ohne daß der Rechtsstaat in seiner Glaubwürdigkeit einen großen Schaden nimmt. Mit anderen Worten: Es wird so getan, als ob es keinen Korpsgeist, wie viele Beobachter und Nebenklagevertreter bereits im ersten Verfahren erklärten, innerhalb der Polizei von Dessau wie auch im Verhältnis zu den beteiligten Ermittlungsbehörden und Gerichten gäbe.

Bei den ersten Zeugenvernehmungen gab es keine nennenswerten neuen Erkenntnisse gegenüber dem Dessauer Verfahren. Der Angeklagte selbst hatte am ersten Prozeßtag die Aussage verweigert und in einer schriftlichen Erklärung betont, daß er sich nach sechs Jahren kaum noch erinnern könne und die Vorgänge von damals nur vom Hörensagen kenne. Am vergangenen Freitag war er dann doch zu einer persönlichen Erklärung bereit. Er gestand ein, aus der Sprechanlage Rufe und prasselnde Geräusche gehört und den Lautsprecher heruntergedreht zu haben, um weiter telefonieren zu können. Daß es tatsächlich gebrannt haben könnte, will er erst beim Öffnen der Zellentür gemerkt haben. "Unterschwellig habe ich an eine Fehlfunktion des Rauchmelders gedacht" [1], so der Angeklagte. Sein früherer und freigesprochener Kollege wiederholte in seiner Zeugenaussage, daß er bei der Durchsuchung Jallohs ein Handy, eine Brieftasche und ein Taschentuch, aber kein Feuerzeug gefunden habe. Die Putzfrau, die die für Jalloh tödliche Zelle damals zuvor gereinigt hatte, stellte auch in ihrer jetzigen Zeugenaussage klar, daß sie weder an der Matratze etwas Außergewöhnliches bemerkt noch ein Feuerzeug gesehen habe.

Weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Gericht wurden Fragen gestellt, die ein Interesse an den sich aufdrängenden Widersprüchen hätten erkennen lassen. Wäre es vorstellbar, daß das Feuer von einer dritten Person gelegt wurde? In einer solchen Frage, die sich nach den Umständen eines solchen Todesfalles geradezu aufdrängt, liegt jedoch soviel "politischer" Zündstoff, daß von seiten dieser Instanzen alles nur Mögliche getan wird, um die bereits im ersten Prozeß zur Tatsache erklärte Version abermals zur Wirklichkeit zu erklären selbst dann, wenn der so gern zitierte "gesunde Menschenverstand" das nicht nachvollziehen kann. Das Landgericht Dessau hatte in seiner schriftlichen Urteilsbegründung festgestellt oder vielmehr behauptet, daß Oury Jalloh trotz seiner Fixierung in der Lage gewesen sei, ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche zu holen und die Matratze damit in Brand zu stecken. Um das zu bewerkstelligen, habe er den feuerfesten Bezug der Matratze zerrissen und deren brennbaren Füllstoff entzündet.

Beweise für diese abenteuerliche Tathergangsthese gibt es nicht. Es ist nicht mehr als ein Erklärungsversuch des Dessauer Landgerichts, um zu erklären, was eigentlich nicht zu erklären ist. Doch selbst wenn etwas so Aberwitziges tatsächlich geschehen sein sollte, bedürfte es in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren immer noch eines konkreten Beweises. Die vage und durch nichts erhärtete Annahme eines Gerichts, das kurzerhand ein solches Konstrukt zur Tatsache erhebt, kann in einem rechtsstaatlichen Verfahren die konkrete Beweisführung nicht ersetzen. Nach den ersten Verhandlungstagen in Magdeburg zeichnet sich am Verhalten der Anklagebehörde wie auch des Gerichts bereits ab, daß diese Verfahrensbeteiligten nicht gewillt sind, die unsichtbare rote Linie, ein Tötungsdelikt zumindest in Erwägung zu ziehen, zu überschreiten. Dafür gibt es gute oder vielmehr schlechte Gründe, haben doch die Verfechter des Prinzips der Staatsräson, würden sie tatsächlich Ermittlungen und Verhandlungen in dieser Richtung führen bzw. zulassen, zu befürchten, daß die Mordvermutung, wie auch immer der konkrete Ablauf gewesen sein mag, weitaus plausibler und unter Umständen auch nachweisbarer ist als die Behauptung, das Opfer habe sich selbst in Brand gesteckt.


Anmerkung

[1] Jalloh-Prozeß: Angeklagter spricht, junge Welt, 22.01.2011, S. 4

24. Januar 2011