Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → MEINUNGEN

DILJA/241: Troy Davis getötet im Namen der US-amerikanischen Gesellschaft (SB)


Die US-Justiz hat nicht "versagt", sondern ihr Gesicht gezeigt


Am 21. September 2011 wurde gegen 19 Uhr ein Mensch mit der Absicht, ihn zu töten, auf einen eigens für solche Zwecke hergerichteten Tisch geschnallt. Schon dreimal zuvor hatte der inzwischen 42jährige in den zurückliegenden Jahren kurz vor seiner eigenen Ermordung gestanden, doch beim vierten Mal gab es niemanden mehr, der hätte verhindern wollen und können, was vier Stunden später, in denen das Opfer in der für seine Tötung vorgesehenen Position festgeschnallt blieb, vermutlich weil die Menschen, die ihn schließlich töteten, keine weiteren Umstände mit ihm machen wollten, geschah. Die Täter spritzten ihm gegen 22.53 Uhr ein Betäubungsmittel in die Venen. Eine zweite Injektion verursachte eine allgemeine und zum Ersticken führende Muskellähmung, eine dritte und letzte Spritze löste, wohl um ganz sicher zu gehen, daß der zu tötende Mensch nicht den minimalsten Hauch einer Chance, diese Prozedur zu überleben, haben würde, noch einen massiven Herzinfarkt aus. Um 23.08 Uhr - die Täter ließen all dies minutiös protokollieren - wurde der Tod dieses Menschen offiziell bestätigt.

Diese Schilderung ist erklärungsbedürftig nicht etwa, weil sie in ihrem Kern, nämlich der Tötung eines völlig wehrlosen Menschen, die die meisten Menschen, wären sie zugegen gewesen, wohl nicht anders als grausam oder schlicht entsetzlich empfunden und bewertet hätten, nicht genau so stattgefunden hat, als Troy Davis am 21. September 2011 im Staatsgefängnis des US-Bundesstaates Georgia nahe der Stadt Jackson hingerichtet wurde. Die Begriffe Opfer, Täter und Tötung sind allerdings erläuterungsbedürftig, weil bei ihrer Verwendung in diesem Zusammenhang die Legalität dieses Aktes unberücksichtigt gelassen wurde. Tatsächlich wurde Troy Davis vom US-Justizsystem bis hin zum Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court, zum Tode verurteilt, weshalb seine Tötung als Hinrichtung bezeichnet wird und unter keinen, wie auch immer gearteten Umständen offiziell als ein Tötungsdelikt angesehen werden könnte.

All diejenigen, die an dieser Tötung beteiligt waren, die juristischen Wege geebnet oder schlußletztendlich selber Hand angelegt haben, werden nach Maßgabe des US-amerikanischen Rechtssystems niemals als Täter bezeichnet werden können, ebensowenig, wie die Tötung des 42jährigen je als Mord firmieren wird. Juristisch gesehen, wohlbemerkt, denn mit dem Denken und Fühlen sehr vieler Menschen in den USA selbst, aber auch in anderen Regionen der Welt, hat dies nicht das Geringste zu tun. Bei der großen Wut vieler Menschen, die in schmerzlichster Ohnmacht miterleben mußten, daß alle Proteste, Petitionen, Gnadengesuche, juristischen Eingaben, Wiederaufnahmeanträge und Aufschiebungsgesuche, Kundgebungen, Demonstrationen und Online-Bitten vollkommen wirkungslos blieben gemessen an dem Anliegen, das Leben von Troy Davis zu retten, konnte es selbstverständlich nicht ausbleiben, daß diese Tötung auch öffentlich als staatlich sanktionierter Mord bezeichnet wurde.

Über die juristischen Details dieses "Falls", der angesichts der über dreitausend Menschen, die in den Todestrakten der USA in der Gewißheit leben müssen, an einem ihnen bereits bekannten oder im genauen Datum noch ungewissen Tag ebenfalls getötet zu werden, keineswegs eine besondere Ausnahme eines ansonsten "humanen" Strafvollzugs darstellt, wurde vor und auch nach dem 21. September 2011, dem Todestag Troy Davis', bereits so viel publiziert, so daß an dieser Stelle darauf verzichtet werden kann, im einzelnen noch einmal nachzuzeichnen, warum gerade diese Vollstreckung eines Todesurteils die US-Justiz, gemessen an ihren eigenen Ansprüchen, bloßzustellen vermag [1].

Es hat nachgerade den Anschein, als hätten die juristisch oder auch politisch maßgeblichen Kräfte in den USA auf die internationalen Proteste, in die sich selbst der amtierende Papst, das europäische Parlament, der Europarat, der frühere US-Präsident James Carter sowie Bischof Desmond Tutu eingereiht hatten, mit einem "Nun erst recht" reagiert, und so offenbart sich das US-amerikanische Rechts- und damit auch Staatssystem nicht nur gegenüber der US-amerikanischen Bevölkerung als gnadenloser Henker. Die Botschaft, sich über all diese Einwände, Proteste und Bitten hinwegsetzen zu können, vermittelt einen Anspruch US-amerikanischer Suprematie, der keineswegs neu ist, sondern Bestandteil des aus der Zeit der amerikanischen Bürgerkriege erwachsenen Sendungsbewußtseins, dessen vorgebliche Inhalte auf so schmähliche Weise durch die Todesstrafenpolitik diskreditiert werden.

Doch wo geglaubt wird, den Kampf um die Hirne und Herzen weder führen zu wollen noch zu müssen, weil das Potential zur Herrschaft schließlich aus den Gewehrläufen kommt, auf die, militärisch gesehen, die USA den weltweit mit Abstand größten Zugriff haben, ist es nur folgerichtig, mit härtester Hand zu regieren. Troy Davis ist nicht nur einer ungerechten oder rassistischen Justiz zum Opfer gefallen; er wurde, dieser Verdacht drängt sich auf, gezielt geopfert, um vor aller Welt zu demonstrieren, daß die USA es sich leisten können, die Gebote der Rechtsstaatlichkeit oder auch Menschlichkeit, die lediglich im Munde geführt werden, um andere hinter das Sternenbanner zu verweisen, mit Füßen zu treten, wie sie gröber nicht sein könnten. Und so hat das US-Justizsystem auch nicht, wie beispielsweise der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Grünen, Volker Beck, voll der Wut und Entrüstung über die Hinrichtung von Troy Davis, erklärte, "in dieser Frage auf brutale Weise versagt", sondern ihr tatsächliches Gesicht zu erkennen gegeben.

Anmerkungen

[1] Siehe Schattenblick -> Infopool -> POLITIK -> KOMMENTAR:
REPRESSION/1439: Justizmord, Isolationsfolter ... soziale Unterdrückung in US-Knästen (SB) (26.09.2011)
http://schattenblick.org/infopool/politik/kommen/repr1439.html
und unter Schattenblick -> Infopool -> RECHT -> MEINUNGEN:
DILJA/176: Montag, 27.10.2008 - Voraussichtlicher Todestag von Troy Davis (SB) (23.10.2008)
http://schattenblick.org/infopool/recht/meinung/remei176.html
DILJA/177: Troy Davis lebt - Hinrichtungsaufschub um weitere 15 Tage (SB) (27.10.2008)
http://schattenblick.org/infopool/recht/meinung/remei177.html
DILJA/199: Vorerst keine Hinrichtung - US Supreme Court gewährt Troy Davis Beweiserhebung (SB) (26.08.2009)
http://schattenblick.org/infopool/recht/meinung/remei199.html
DILJA/229: Troy Davis in Lebensgefahr - US-Todesstrafengegner machen Ausnahmen (SB) (31.08.2010)
http://schattenblick.org/infopool/recht/meinung/remei229.html

27. September 2011