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OFFENER BRIEF/011: Eine deutliche Verbesserung des Kündigungsschutzes für Wohnungsmieter*innen ist dringend nötig (RAV)


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Pressemitteilung vom 28.9.22

Eine deutliche Verbesserung des Kündigungsschutzes für Wohnungsmieter*innen ist dringend nötig

Offener Brief von Mietervereinen, Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Jurist*innenverbänden an Justizminister Dr. Marco Buschmann


Steigende Energiepreise und eine hohe Inflation bringen viele Menschen an ihre finanziellen Belastungsgrenzen. Spätestens mit den nächsten Heizkostenabrechnungen drohen Zahlungsrückstände, die im schlimmsten Fall zur Kündigung des Mietverhältnisses führen können, so dass vielen Menschen der Verlust von Wohnraum drohen könnte. »Ein effektiver Kündigungsschutz ist dringend nötig« fordern daher Mieter*innenvereine, Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Jurist*innenverbände in einem gemeinsamen Offenen Brief an den Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann. Zwar diskutiert die Bundesregierung derzeit einen temporären Schutz durch Kündigungsmoratorien. Das ist aus Sicht der Unterzeichner*innen des offenen Briefes nicht genug: Viel wichtiger wäre die Möglichkeit, eine ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs durch Ausgleich des Mietrückstands abzuwenden.

Bislang kann durch eine Nachzahlung des Mietrückstands nur die fristlose Kündigung geheilt werden, während die oft gleichzeitig ausgesprochene ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist bestehen bleibt. Der Wohnungsverlust droht dann ein paar Monate später, obwohl der Mietrückstand beglichen wurde.

Benjamin Raabe, RAV:
»Es besteht hier dringender Handlungsbedarf. Die Möglichkeit, eine Zahlungsverzugskündigung durch Ausgleich der Mietrückstände auszugleichen, gibt es seit nahezu 100 Jahren. Im Bedarfsfall zahlten die Wohlfahrtsbehörden, die übrigens von den Mietgerichten in jeder einzelnen Räumungsklage informiert werden. Seit der BGH-Entscheidung läuft dieses bisher gut funktionierende Schutzsystem leer. Alle, die damit beruflich zu tun haben, fordern eine Reform - übrigens auch der Bundesgerichtshof.«

Dr. Rainer Tietzsch, Berliner Mieterverein:
»Das Problem ist seit langem bekannt. Immer wieder haben Mieter*innen und Sozialverbände auf das Problem hingewiesen. In drei Bundesratsinitiativen wurde das Problem thematisiert - bislang erfolglos. Auf Grund der Energiepreissteigerung und der davon galoppierenden Inflation wird der Handlungsbedarf deutlicher denn je.«

Werena Rosenke, BAG Wohnungslosenhilfe e.V.
»Jeder Wohnungsverlust muss verhindert werden, daher hat der Gesetzgeber dafür zu sorgen, dass bei einer Mietschuldenbefriedigung nicht nur die außerordentliche Kündigung, sondern auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses geheilt ist. Wir erwarten, dass die im Koalitionsvertrag versprochene Änderung im Mietrecht umgesetzt wird.«

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OFFENER BRIEF

Herrn Bundesminister der Justiz
Dr. Marco Buschmann
Mohrenstraße 37
10117 Berlin

Sehr geehrter Herr Minister Dr. Buschmann,

bei den aktuellen Überlegungen zur Verbraucherentlastung müssen die Mieter*innen besonders in den Blick genommen werden. Bereits jetzt zeichnen sich hohe Sprünge bei den Warmwasser- und Heizkosten ab, die die Zahlungskraft dieser Menschen in wenigen Monaten zusätzlich stark beeinträchtigen werden. In diesem Zusammenhang ist die sogenannte Zahlungsverzugskündigung eines der brisantesten wohnungspolitischen Problemfelder.

Mietschulden gezahlt - Wohnung trotzdem verloren. Das darf nicht sein!

Wenn Mietzahlungen von Mieter*innen (teilweise) ausbleiben, wird von Vermieterseite regelmäßig sowohl eine fristlose als auch hilfsweise eine fristgerechte Kündigung ausgesprochen.

Die bestehende gesetzliche Regelung gibt den Mieter*innen die Möglichkeit, innerhalb einer Schonfrist von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage den gesamten Mietrückstand auszugleichen und die fristlose Kündigung des Mietvertrages so unwirksam zu machen. Damit sollen die Mieter*innen trotz kurzzeitiger Zahlungsschwierigkeiten ihre Wohnung sichern können und gleichzeitig die Interessen der Vermieter*innen gewahrt werden.

Diese "Heilung" wirkt sich nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch nur auf die fristlose Kündigung aus. Eine zugleich hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung, die auf dem gleichen Zahlungsrückstand beruht, bleibt hingegen wirksam.

Besonders in angespannten Wohnungsmärkten wird häufig wegen höherer Wiedervermietungsmieten von Vermieter*innen jede Möglichkeit genutzt, den Mietvertrag zu kündigen. Hierdurch geraten Personen, die in Zahlungsschwierigkeiten sind, unter den enormen Druck drohender Wohnungslosigkeit.

Ein Mietrückstand kann aber auch die Folge berechtigter Streitigkeiten um Mietminderungen, Mieterhöhungen nach Modernisierung oder Nachzahlungen von Betriebskosten sein. Die Kündigungsdrohung verschiebt solche Konflikte einseitig zu Lasten der betroffenen Mieter*innen. Darüber hinaus hebelt diese Rechtslage die sozialrechtlichen Schutzvorschriften zur Verhinderung von Obdachlosigkeit aus. Denn Mieter*innen können von den Sozialleistungsbehörden die Übernahme ihrer Mietschulden nur verlangen, wenn dadurch Wohnungslosigkeit vermieden wird. Da die Nachzahlung eine fristgerechte Zahlungsverzugskündigung aber nicht heilen kann, verweigern die Sozialleistungsbehörden regelmäßig die Übernahme von Mietschulden.

Ein effektiver Kündigungsschutz ist dringend nötig

Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dieses Problem zu lösen. Durch Inflation und Energiekostenexplosion steigen die finanziellen Herausforderungen für Mieter*innen erheblich. Es wird vermehrt zu Mietrückständen kommen und betroffene Mieter*innen werden die dann drohenden Zahlungsverzugskündigungen nicht heilen können. Wenn dann aufgrund möglicherweise nur kurzfristiger finanzieller Engpässe das Mietverhältnis dauerhaft verloren ist, droht vielen Menschen die Wohnungslosigkeit. Das hätte ernste soziale Probleme für die ganze Gesellschaft zur Folge.

Handeln Sie schnell! Stellen Sie gesetzlich klar, dass sich die "Heilungswirkung" bei Begleichung aller Mietschulden auch auf die ordentliche Kündigung erstreckt. Der vergangene Wahlkampf hat bewiesen, dass die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen und das Mietrecht zu den wichtigsten politischen Themen gehören. Die bereits vorliegenden Bundesratsinitiativen aus Hamburg, Brandenburg und Berlin könnten hierfür aufgegriffen werden.

Mit erwartungsvollen Grüßen

Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen Berlin
Berliner Mieterverein
Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe
Der Paritätische Gesamtverband
Deutscher Gewerkschaftsbund
Deutscher Mieterbund
Deutscher Mieterbund NRW
Evangelischer Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe
Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe
Katholische Bundes-Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe im Deutschen Caritasverband
Mieter helfen Mietern - Hamburger Mieterverein
Mieter helfen Mietern - Münchner Mieterverein
Mieter helfen Mietern - Nürnberger MieterInnengemeinschaft
Mieter/-innen-Schutzverein Münster und Umgebung
Mieterbund Darmstadt Region Südhessen
Mieterladen Hannover
Mieterverein Bochum, Hattingen und Umgegend
Mieterverein Dortmund und Umgebung
Netzwerk Mieten & Wohnen
Neue Richtervereinigung
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein
Straßenmagazin bodo in Dortmund und Bochum


Der offene Brief als PDF ist zu finden unter:
https://www.rav.de/fileadmin/user_upload/rav/themen/Mietrecht/220928_Offener_Brief_an_BM_Buschmann_K%C3%BCndigungsschutz-Final.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung vom 28. September 2022
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4 | 10405 Berlin
Telefon: +49 (0)30 417 235 55 | Fax: +49 (0)30 417 235 57
E-Mail: kontakt@rav.de
Internet: www.rav.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 11. Oktober 2022

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