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STELLUNGNAHME/107: Hamburger Elbchaussee-Prozess steht vor Abschluss (Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen)


Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen - 15.06.2020

Hamburger Elbchaussee-Prozess steht vor Abschluss


Der seit Dezember 2018 unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführte Prozess um die Demonstration in der Elbchaussee während des G20-Gipfels in Hamburg wird mit den anstehenden Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidiger*innen am 17. Juni wieder öffentlich. Ebenfalls wird Loic voraussichtlich an diesem Tag eine öffentliche Prozesserklärung verlesen.

Seit inzwischen gut 18 Monaten wird gegen unsere Genoss*innen in Hamburg verhandelt. Nach internationalen Razzien werden die fünf Beschuldigten aus Frankfurt/Offenbach und Frankreich im Sommer 2018 festgenommen. Zwei der fünf Beschuldigten saßen acht Monate in Untersuchungshaft und Loic aus Frankreich sogar fast anderthalb Jahre, bis Dezember 2019.

Entgegen dem Wunsch aller Angeklagten beschließt das Landgericht bei Prozessbeginn im Dezember 2018 eine nicht öffentliche Prozessführung. Vorwand ist das jugendliche Alter von zwei Angeklagten und die Behauptung, dass eine solidarische Prozessbegleitung sowie Hinweise der Roten Hilfe auf ein prinzipielles Aussageverweigerungsrecht "erziehungsschädlich" seien. Durch diesen Schachzug wird nicht nur die kritische Prozessbegleitung deutlich erschwert, auch Presse und Öffentlichkeit sind komplett ausgeschlossen. Ein repressiver skandalöser Vorgang, geht es bei dem Prozess doch um weit mehr, als ein paar verbrannte Autos. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft ist die Demonstration am Morgen des 7. Juli in der Elbchaussee nicht als Versammlung, sondern als "kriminelle Bande" zu werten. Damit ist der Weg frei, über das bisher nur im "Hooligan-Milieu" angewandte Konstrukt der "emotionalen Unterstützung" die reine Anwesenheit zu kriminalisieren. Wie schon in anderen G20-Prozessen wird damit ein weiteres Mal versucht, die vermeintliche Teilnahme am Protest zu einem Straftatbestand zu erheben und darüber die Bedingungen für Proteste in Deutschland grundlegend zu verändern. Denn geht diese Strategie auf, könnte zukünftig jede*r Demonstrierende aufgrund der reinen Anwesenheit für alles verantwortlich gemacht werden, was im Umfeld der Demonstration passiert.

Eindrucksvoll beschreibt Loic, einer der Angeklagten, in seiner Erklärung von Januar 2020, was das konkret politisch und juristisch bedeutet: "99 % der vorgeworfenen Taten haben nichts mit den Beschuldigten zu tun. Die Anschuldigung dreht sich um über eine Million Euro Sachschaden. Die Staatsanwaltschaft versucht eine sehr weite Auffassung von Komplizenschaft durchzusetzen, die noch weit über die vermeintliche Anwesenheit der Beschuldigten hinaus geht. Stellt es euch konkret vor: Ihr seid auf einer Demo und 50 Meter von dort verbrennt jemand ein Auto - und ihr werdet für den Sachschaden verantwortlich gemacht. Doch das ist noch gar nichts! Stellt euch vor, ihr hättet die Demonstration verlassen und zehn Minuten später wird ein Molotow-Cocktail geworfen: Obwohl ihr nicht mehr anwesend seid, werdet ihr dafür verantwortlich gemacht." Damit wird weitere Abschreckung und Einschüchterung gegenüber Menschen beabsichtigt, die ihr Recht auf Protest und Demonstration wahrnehmen wollen. Die Möglichkeiten einer willkürlichen Kriminalisierung werden weiter ausgeweitet.

Dieser Prozess darf nicht isoliert betrachtet werden. Es ist zu befürchten, dass die Verhandlung politisch dazu dient, mit einem hohen Strafmaß Maßstäbe für die noch kommenden G20-Prozesse - zum Beispiel im Rondenbarg-Komplex - zu setzen. Außerdem müssen die G20-Prozesse auch als Teil einer autoritären Formierung der Gesellschaft gesehen werden, zu der u.a. auch die neuen Polizeigesetze und das Verbot von linksunten indymedia gehören. Vieles davon zielt direkt auf die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Aber wir werden uns davon - wie schon beim Gipfel in Hamburg - nicht einschüchtern lassen und werden weiter für eine bessere und gerechtere Welt streiten.

Trotz der erschwerten Bedingungen und den Versuchen des Gerichts, im Verborgenen zu agieren, haben wir - unterschiedliche Solidaritäts-Strukturen aus dem Bundesgebiet und darüber hinaus - den Prozess kritisch begleitet und die Angeklagten unterstützt. Unzählige Kundgebungen, Radiosendungen, Berichte und Demonstrationen haben immer wieder die Machenschaften von Staatsanwaltschaft und Gericht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf das jetzt anstehenden Prozessende und die - wieder öffentlichen - Plädoyers werden wir entsprechend reagieren.

Solidarität mit Loic und allen politischen Gefangenen!
No justice - no peace!

Bundesweites Vernetzungstreffen gegen G20-Repression

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Quelle:
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen
E-Mail: hamburg@political-prisoners.net
Internet: http://political-prisoners.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2020

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