Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → REDAKTION

DER PROZESS/001: Medium, blutig und durch - Geliefert und gefesselt (SB)


Ungebrochener staatlicher Verfolgungswille



Ein frostkalter Wintertag hing am 16. Januar 2000 über der Seine-Metropole, als ein Einsatzkommando der Pariser Polizeipräfektur zwei Passanten auf der Rue Phillippe Auguste im 11. Arrondissement verhaftete. Sonja Suder und Christian Gauger sahen wie ganz normale ältere Menschen aus, die im Pariser Straßenbild nicht auffielen. Nach ersten Verhören wurden beide in die Gefängnisse Santé und Fleury gebracht. Der Sonntag neigte sich dem Abend zu, und doch wurde an diesem Tag einmal mehr ein Kapitel bundesdeutscher Geschichte aufgeschlagen, das BKA und Staatsanwaltschaft bis heute nicht zur Ruhe kommen läßt. Denn veranlaßt wurde die Polizeiaktion von zwei Zielfahndern des deutschen Staatsschutzes mit einem Internationalen Haftbefehl in Händen.

Plakat mit Demo-Bild zum RZ-Prozeß -Quelle: www.verdammtlangquer.org

Quelle: www.verdammtlangquer.org

Um die lange und verquere Fahndungsgeschichte hinter der Festnahme zu verstehen, muß man im Kalender auf das Jahr 1978 zurückgehen. An einem Wochenende im Spätsommer machten sich die beiden frühmorgens auf, um ihren Stand auf dem Flohmarkt am Eisernen Steg am Frankfurter Mainufer aufzubauen. Die Straßen waren leer, da fiel es sofort auf, daß sie von der Haustür im Stadtteil Sachsenhausen bis zum Markt von einem Wagen aus beschattet wurden. Als sie am Markt ankamen, blieben die Männer im Auto sitzen. Den ganzen Tag über lösten sich Aufpasserteams ab. Später, als die beiden in ihrer Stammkneipe einkehrten, folgte ihnen wieder ein Wagen mit zwei Männern. Suder und Gauger wurde schlagartig klar: Sie wurden wie so viele Linke in der Zeit des Deutschen Herbstes von der Polizei überwacht. Die Entführung von Hanns Martin Schleyer und die Toten von Stammheim, all das lag zudem nicht weit zurück. In jenen Tagen gehörten Verkehrskontrollen auf den Autobahnen und Hausdurchsuchungen durch Sondereinsatzgruppen der Polizei beinah zum bundesrepublikanischen Alltag.

Suder, die in Leipzig und Berlin aufwuchs, studierte in den 1970er Jahren in Frankfurt am Main Medizin und war politisch aktiv, ging auf Demonstrationen und hatte Kontakt zur Hausbesetzerszene und zu linken Studentengruppen. Gauger, der in Frankfurt ein Psychologie-Studium absolviert hatte und als wissenschaftlicher Bediensteter an der Uni arbeitete, engagierte sich in den damaligen sozialen Bewegungen, unter anderem in der Roten Hilfe, einer Organisation zur Unterstützung politischer Gefangener.

Beide beschlich ein ungutes Gefühl. Noch in der Nacht zum 29. August 1978 stand ihr Entschluß fest. Mit ihrem Citroen 2 CV fuhren sie bis zur französischen Grenze, stellten den Wagen ab und gingen dann zu Fuß durch die Grenzkontrolle nach Frankreich. Daß sie ihr gewohntes Umfeld, Bekannte, Freunde und soziale Kontakte 33 Jahre nicht mehr wiedersehen würden, ahnten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Flucht nach Frankreich verlief zwar Hals über Kopf, aber ihre Ahnungen hatten sie dennoch nicht getäuscht. Am 15. September 1978 erließ ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Haftbefehle gegen sie.

Wenige Wochen vor dem Abtauchen von Suder und Gauger war ein Sprengsatz auf dem Schoß des Heidelberger Studenten Hermann Feiling frühzeitig explodiert. Eigentlich war die Bombe für das Argentinische Generalkonsulat in München bestimmt gewesen. Während in deutschen Stuben die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien lief, aber niemand etwas von den Menschenrechtsverletzungen in diesem Folterstaat wissen wollte, in dem die Militärs 1976 geputscht hatten und in der Folge über 30.000 Menschen verschleppt, ermordet und in Massengräbern verscharrt hatten, sollte, so die Absicht Feilings, ein Loch in der Außenfassade des Konsulats zugleich eine Bresche in die Mauer des Schweigens sprengen. Tatsächlich hatte die sozialliberale Regierungskoalition in Bonn gern einmal ein Auge zugedrückt, wenn deutsche Firmen mit der argentinischen Militärjunta lukrative Geschäfte machten, aber dort in Folterhaft zu Tode gekommenen deutschen Staatsbürgern wie der Sozialarbeiterin Elisabeth Käsemann und dem Münchner Studenten Manfred Zieschank keinen Beistand geleistet [1].

Schon einen Tag nach seiner schweren Operation, noch während er auf der Beatmungsstation um sein Leben rang, wurde Feiling intensivst verhört, obwohl aus medizinischer wie juristischer Sicht keine Vernehmungsfähigkeit gegeben war. Die Befragungen wurden - ohne rechtskräftigen Haftbefehl und in Abwesenheit eines Anwalts seines Vertrauens - über Monate fortgesetzt. Feiling widerrief zwar später seine unter traumatischem Streß und der Einnahme starker Schmerzmittel beeinflußten Aussagen, aber dennoch blieben Suder und Gauger weiterhin zur Fahndung ausgeschrieben. Aufgrund der Vernehmungsprotokolle wurden beiden Brand- und Sprengstoffanschläge in Nürnberg, Frankenthal und Heidelberg zur Last gelegt. Das BKA blieb hinsichtlich des Aufenthalts der beiden Tatverdächtigen jedoch weiter im Unklaren.

Suder und Gauger lebten seitdem mit gefälschten Schweizer Pässen zunächst in Lille, unweit der belgischen Grenze, später in Paris, doch jeden Tag aufs neue in der bangen Furcht, von den Ermittlungsbehörden aufgestöbert und in der Bundesrepublik vor Gericht gestellt zu werden. Einkünfte aus Flohmärkten hielten sie notdürftig über Wasser. So fristeten sie ein bescheidenes Leben in einer Freiheit, die nur geborgt war, nichts, worauf sich eine Zukunft aufbauen ließ. Schicksalsschläge blieben ihnen freilich nicht erspart. 1997 erlitt Gauger einen Herzstillstand und verlor dabei einen Großteil seiner Erinnerungen. Seine Lebensgefährtin konnte ihn zwar per Herzdruckmassage ins Leben zurückholen; dennoch lag er vier Tage auf der Intensivstation im Krankenhaus von Lille im Koma. Seit dieser Zeit ist Gauger auf Medikamente und ständige Betreuung angewiesen. Das Exil in Frankreich sollte jedoch bald schon aufgedeckt werden.

1998 war Hans-Joachim Klein, der 1975 am Überfall auf die OPEC-Zentrale in Wien beteiligt war und seitdem mit falschem Paß in Frankreich lebte, den Ermittlungsbehörden ins Netz gegangen. Klein belastete bei seinen Vernehmungen mehrere Personen aus seinem ehemaligen Frankfurter Umfeld. So beschuldigte er unter anderem Rudolf Schindler, dem 2001 vor dem Frankfurter Schwurgericht gemeinsam mit Klein der Prozeß gemacht wurde. Im Polizeiverhör hatte Klein unter anderem auch Suder belastet, die nach über 20 Jahren erneut in die Fahndung von BKA und Staatsanwaltschaft geriet.

Doch trotz ihrer Verhaftung in Paris lehnte ein Gericht das Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik ab. Nach französischem Recht waren die den beiden vorgeworfenen Taten längst verjährt. Nach knapp drei Monaten in Untersuchungshaft wurden Suder und Gauger freigelassen und durften sich danach legal in Frankreich aufhalten. Sie mieteten sich in einer kleinen Wohnung im Pariser Vorort St. Denis nahe der Universität ein, konnten eine Krankenversicherung abschließen, ein Konto eröffnen und vor allem endlich wieder Kontakt zu ihren Angehörigen in Deutschland aufnehmen.

Für die deutschen Behörden war der Fall damit jedoch noch lange nicht zu den Akten gelegt. Nachdem Schindler in Frankfurt freigesprochen wurde, da das Gericht die Aussagen des Kronzeugen Klein nicht als glaubwürdig erachtete, beantragte das BKA 2007 einen Europäischen Haftbefehl, laut dem die Verjährungsfristen des ersuchenden Staates, der den Haftbefehl ausgestellt hat, und nicht die Rechtsvorschriften des Landes, an das der Auslieferungsantrag ergeht, herangezogen werden. Nach deutschem Recht waren die Tatvorwürfe der schweren Brandstiftung und der Beihilfe zum Mord anders als in Frankreich nicht verjährt.

So nahm man Suder und Gauger in Paris ein zweites Mal in Haft. Nach zwei bzw. vier Wochen wurden beide jedoch wieder aus dem Gefängnis entlassen, da der Auslieferungsantrag erst einmal rechtlich geprüft werden mußte. Freunde gründeten daraufhin ein Solidaritätskomitee, verteilten Flugblätter und demonstrierten in Paris gegen ihre Auslieferung. Ihre Anwälte verwiesen vor Gericht auf den richterlichen Beschluß von 2001, doch das Pariser Cour d'Appell hob am 25. Februar 2009 in 1. Instanz den Richterspruch von 2001 auf. Gegen dieses Urteil legten ihre Anwälte Rechtsmittel ein. Mehr als eine aufschiebende Wirkung hatte dies jedoch nicht. Nach langer juristischer Prozedur bestätigte das Pariser Appellationsgericht in letzter Instanz noch im Sommer den Auslieferungsantrag und im Juli unterschrieb Premier Francois Fillon die Überstellungsurkunde. Nachdem auch das Conseil d'Etat, die oberste Verwaltungsgerichtsinstanz Frankreichs, die Einsprüche gegen Regierungsentscheidungen prüft, im Dezember 2010 keine Einwände gegen die Auslieferungsanweisung nach Deutschland geltend machte, erfolgte die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls am 14. September 2011. Zuvor hatte Anfang des Jahres der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zwei Eilanträge der mit dem Fall betrauten Anwältin Irène Terrel zur Aussetzung einer Überstellung an die deutsche Justiz abgewiesen.

Nach der Auslieferung und Einweisung in das Justizvollzugskrankenhaus in Kassel wurde Gaugers Haftbefehl aufgrund seiner schweren Erkrankung am 4. Oktober 2011 außer Vollzug gesetzt. Seine Lebensgefährtin konnte jedoch nicht auf Haftverschonung rechnen. Sie sitzt nunmehr seit anderthalb Jahren in der Untersuchungshaftanstalt Frankfurt-Preungesheim. In der im Mai 2012 vom Frankfurter Oberlandesgericht einberufenen Haftprüfung hieß es dazu wörtlich, sie sei aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters besonders haftempfindlich, "da sie im Fall einer Verurteilung zu einer langjährigen Haftstrafe" den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen müßte und so ein "besonders hoher Fluchtanreiz" bestehe, der "in dem hohen Lebensalter kein ausreichendes Korrektiv" finde. [2]

Seit dem 21. September 2012 verhandelt die 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main in der Strafsache gegen Suder und Gauger. Die Anklage lautet auf Sprengstoffanschläge gegen das Firmengebäude von MAN in Nürnberg und Klein, Schanzlin & Becker in Frankenthal sowie Brandstiftung am Heidelberger Schloß. Suder muß sich ferner wegen des Vorwurfs der mutmaßlichen Mittäterschaft am Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien und der Beihilfe zum Mord in drei Fällen verantworten. Daß die beiden trotz ihres hohen Alters - Suder ist inzwischen 80, Gauger 71 Jahre alt - und obgleich die ihnen zu Last gelegten Straftaten aus den Jahren 1975, 1977 und 1978 datieren, vor die Schranken des Gerichts zitiert werden, hat einen einfachen Grund. Sie sollen die Anschläge angeblich als Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) verübt haben, einer Stadtguerilla, die neben der Rote Armee Fraktion und der Bewegung 2. Juni die Staatsmacht herausgefordert hatte.


Kontext statt Kasuistik - Rückblick auf revolutionär bewegte Zeiten

Um die von hoher Ambivalenz gekennzeichneten sozialen Kämpfe in jenem Abschnitt bundesdeutscher Zeitgeschichte besser nachvollziehen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, daß die staatliche Repression, wie sie im Parteiverbot der KPD 1956, im Erlaß der Notstandsgesetze 1968 und dem Radikalenerlaß 1972 ihren gesellschaftspolitischen Ausdruck fand, im Kontext einer strikten Eindämmungspolitik gegenüber linken Aktivisten stand. Die 70er Jahre waren ein radikalisiertes Jahrzehnt auch als Folge des emanzipatorischen Aufbegehrens einer Generation, die sich ausgehend von ihrer Ablehnung autoritärer Strukturen und nationalkonservativer Lebensperspektiven zunehmend politisiert hatte.

Während die Studentenbewegung im Protest gegen den Vietnamkrieg mit antiimperialistischem Furor eine außerparlamentarische Opposition probte und sich im Skandieren von Ho-Chi-Minh-Rufen die Schuhsohlen abwetzte, erkannten Teile der radikal gesinnten Linken einen inneren Zusammenhang zwischen einem Kaufhaus als dem Inbegriff einer marktgetriebenen Konsumideologie und der Massenverelendung durch Hunger und Armut in der Dritten Welt. Ihrem Verständnis zufolge verbargen sich hinter der freiheitlich demokratischen Grundordnung allzuoft rohe kapitalistische Ausbeutungsinteressen, deren transnationale Produktionsketten bis in die Staaten des Trikonts reichten. Ihre Kritik richtete sich auch gegen die Waffenschmieden der BRD, die mit ihren Rüstungsexporten beispielsweise nach Lateinamerika menschenverachtende Militärdiktaturen stützten und zumal in den Zeiten der Systemkonfrontation an der Zerschlagung sozialistischer Zukunftsvisionen beteiligt waren. Angesichts dieser in ihren Augen nicht mehr zu deckelnden Widersprüche am bürgerlichen Profil des kapitalistischen Wirtschaftssystems formierten sich Antiimperialismus und linke Kritik zum militanten Widerstand, während zur gleichen Zeit am anderen Ende der Welt Vietnam unter Napalmbomben brannte.

Der Protest auf den Straßen griff auch auf die Wohnstuben über und entzündete sich am Weltbild der Väter und Mütter, die nicht nur einen nostalgiebereinigten Umgang mit der NS-Vergangenheit pflegten, sondern in der Konformität ihrer Moralvorstellungen auch Werte verkörperten, die dem heraufdämmernden Zeitgeist eines linken Aufbruchs im Wege standen. Die bürgerliche Rückzugsidylle eines privaten Glücks, die in den 50er und frühen 60er Jahren mit Sonntagsschweinebraten und lauer Bierflaschenspießigkeit eine fassadenhafte Familienbiederkeit verbreitete, bekam Risse, die sich mehr und mehr vertieften, je unversöhnlicher eine auf Veränderungen abzielende Jugendrevolte mit dem Machtapparat des Staates kollidierte. Wasserwerfer, Polizeiknüppel und die tödlichen Schüsse auf Benno Ohnesorg hielten vielen vor Augen, wie gering der Gestaltungsraum für Träume und Visionen jenseits des kapitalistischen Konsums in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit tatsächlich war.

Ein Schlüsselereignis dieser Zeit war der Staatsstreich in Chile, der einen Denkprozeß mit weitreichenden Konsequenzen in Gang setzte, schien er doch in der ganzen Bandbreite der Fakten darzulegen, daß eine durch freie demokratische Wahl legitimierte sozialistische Gesellschaftsordnung von der westlichen Staatenwelt niemals akzeptiert würde. In Chile war das Linksbündnis Unidad Popular 1970 legal an die Regierungsmacht gelangt, aber schon wenige Jahre später durch eine interventionistische Politik gestürzt worden, an der US-Geheimdienste und weltweit operierende, nicht zuletzt an den Rohstoffen des Landes wie auch am südamerikanischen Wirtschaftsraum interessierte Konzerne einen maßgeblichen Anteil hatten.

Vor diesem Hintergrund wurde 1973 die erste Revolutionäre Zelle in Frankfurt gegründet. Aus einer gegenwartsbezogenen Rückschau ist es schwierig bis unmöglich, verläßliche Aussagen zu treffen über Ziele, Selbstfindungsprozesse als auch das Verhältnis der frühen RZler zu zeitgenössischen linken Diskussionen. Auch liegen keine autobiographischen Zeugnisse noch Absichtserklärungen zu den Motiven, die sie antrieben, aus erster Hand vor. Steigt man in die Vergangenheit ihrer konspirativen Entstehung hinab, so stößt man auf einen unauflöslichen Knoten aus wilden Spekulationen und kolportiertem Halbwissen, das wenig geeignet ist, dem Phänomen RZ auf die Spur zu kommen. Sicher ist, daß sie ein Kind ihrer Zeit war und möglicherweise eine politische Antwort zu geben versucht hat auf die Stagnationserscheinungen der BRD-Linken Anfang der 70er Jahre, deren revolutionäre Perspektive zwischen legalem und subversivem Widerstand nahezu aufgerieben war. Den fortschreitenden Zerfallsprozessen nach der 68er-Revolte die Einsicht entgegenzustellen, daß zwischen den Befreiungsbewegungen im Trikont und der Kasuistik linker Stubengelehrter noch ein dritter gangbarer Weg möglich sei, mag zur Entschließung der Militanz geführt haben, wenngleich damit das Gewalttabu aufgebrochen wurde. Als Stadtguerilla verübte die RZ am 16. November 1973 in Berlin und Tags darauf in Nürnberg Anschläge auf Tochtergesellschaften des US-amerikanischen Multis ITT, der mit finanzieller Hilfe an der CIA-Operation am 11. September 1973 zur Beseitigung der sozialistischen Regierung unter Salvador Allende in Chile und der Errichtung der Militärjunta Augusto Pinochets beteiligt war. Im Juni 1974 erfolgte dann ein Anschlag auf das Chilenische Generalkonsulat.

Militante Geschichte verteidigen - Aufmacher von www.verdammtlangquer.org

Quelle: www.verdammtlangquer.org

Anders als die Rote Armee Fraktion (RAF), deren bewaffneter Kampf nicht ohne den Weg in die Illegalität denkbar war, um dem Zugriff von Staatsschutz und Strafverfolgungsbehörden zu entgehen, organisierten die RZ ihre Aktionen aus kleinen klandestinen Gruppen heraus, deren Mitglieder im Alltag ihren regulären Berufen nachgingen und so nach außen hin eine lebensbiographische Normalität wahrten. Die Zellen operierten unabhängig voneinander, ohne übergeordnete zentrale Kommandostruktur sowohl hinsichtlich Planung als auch logistischer Ausführung ihrer Anschläge. Politischer Mord als Mittel des revolutionären Kampfes war für die RZ jedoch nie ein Thema gewesen.

Die Konzeption der Stadtguerilla zielte auf die Bildung regional kämpfender Kollektive, die autonom agierten und je nach strategischer Schwerpunktlage die Infrastruktur des Imperialismus angriffen. Neben Anschlägen auf den US-Konzern ITT und das chilenische Generalkonsulat unterstützten sie den Kampf sozialer Bewegungen gegen Wohnungsspekulanten, Fahrpreiserhöhungen, die Verdrängung von Arbeiterfamilien, Rentnern und Studenten aus sogenannten proletarischen Vierteln durch Stadtsanierungen, die Verstrahlung der ökologischen Lebensgrundlagen infolge der Kernenergie und den atomaren Wahnsinn der bündnistreu von der Regierung abgesegneten Stationierung von Pershing-II-Raketen auf deutschem Boden im Rahmen der NATO-Nachrüstung.

So verübten die RZ im Zusammenhang mit dem Besuch des US-Präsidenten Ronald Reagan am 11. Juni 1982 in Westberlin neun Anschläge auf Infrastruktureinrichtungen der US-Armee und am Wettrüsten beteiligter Rüstungskonzerne. Im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung in den 70er und 80er Jahren mit den Bauplatzbesetzungen und Großdemonstrationen in Wyhl, Kalkar, Grohnde, Brokdorf und Gorleben nahmen die RZ finnische Firmen ins Visier, die am profitablen Atomgeschäft verdienten oder direkt mit Betrieb oder Herstellung von Atomkraftwerken beauftragt waren. Auch in die sozialen Kämpfe der Arbeiterbewegung waren die RZ involviert. So wird ihnen der Anschlag auf das Bundesarbeitsgericht in Kassel am 23. März 1980 zugerechnet.

Aus der RZ hervorgegangen, jedoch ab 1977 als eigenständig agierende Gruppe verübte die radikalfeministische Frauenorganisation "Rote Zora" 1974 im Zuge der Kampagne für die Abschaffung des § 218 ihren ersten Sprengstoffanschlag gegen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Später folgten Anschläge auf Sexläden und die Pornoindustrie, gegen das philippinische Konsulat, weil das Land seinerzeit als Drehscheibe des internationalen Frauenhandels galt, die Gen- und Reproduktionstechnologie wegen ihrer ideologischen Unterstützung auf Sexismus gründender patriarchaler Strukturen, so beispielsweise gegen Schering in Westberlin, das Forschungszentrum in Braunschweig, das Humangenetische Institut in Münster, wie auch gegen Institute, die die Aussonderung von Behinderten aus dem öffentlichen Leben legitimierten.

Trotz der Verschiedenheit der sozialen Kämpfe, in die sich die RZ als auch die Rote Zora interventionistisch einbrachten, waren diese Aktionen in ihrem Verständnis der Suche nach dem revolutionären Subjekt geschuldet. Den eigenen Standpunkt in vielfältigen Auseinandersetzungsprozessen mit sozialen Bewegungen stets von neuem zu hinterfragen, war in ihren Augen unerläßlich, um den in der Geschichte oft ideologisch verzerrten Begriff des Klassenkampfes in zeitgemäßer Form zu interpretieren. Unverrückbar im Zentrum linker Bewegungen, ob sie nun libertär, liberal oder radikal auftraten, stand die Herrschaftskritik, die sich je nach Strömungslage antiimperialistisch, antikolonial oder antikapitalistisch äußerte, hiervon aber auch die institutionalisierte Gewalt der Behörden und Institutionen nicht ausnahm und ebensowenig die Augen vor den Widersprüchlichkeiten der nationalen Befreiungsbewegungen verschloß, mit denen die RZ gerade in ihrer Frühzeit zusammengearbeitet hatte.

Mit dem Aufkommen breit aufgestellter Massenproteste in den 1980er Jahren veränderte sich auch die revolutionäre Praxis der RZ. Dies fand unter anderem seinen Ausdruck in einer Anschlagsserie der Roten Zora gegen neun Verkaufsfilialen der Bekleidungsfirma Adler, die zu Hungerlöhnen in Südkorea produzieren ließ. Mit den Brandanschlägen unterstützte der Frauenflügel der RZ die Streiks südkoreanischer Arbeiterinnen gegen den Konzern so nachhaltig, daß der Bekleidungsmulti schließlich einlenkte. Mit dem Niedergang der linken Protestbewegungen Ende der 1980er Jahre schwand jedoch auch die Basis der RZ für Interventionsmöglichkeiten. Zudem war mit den Grünen, die einst aus der ökologisch orientierten AKW-Bewegung sowie den Friedens- und Ostermärschen hervorgegangen waren, eine neue oppositionelle Kraft im Parteienspektrum der Bundesrepublik aufgetaucht. Als die Grünen jedoch ins Regierungslager wechselten und im gleichen Zuge, wie sich die Realo-Fraktion parteiintern gegen die Fundis durchsetzte, Grundsatzerklärungen ihrer Gründungszeit wie die Fundamentalopposition gegen Militarismus und imperialistische Kriege über Bord warfen, hatte sich auch der soziale Protest schlichtweg zu Tode gelaufen.

In der irreführenden Annahme, durch gezielte Anschläge auf Kernbereiche der Kapital- und Staatsmacht eine kritische Gegenöffentlichkeit herstellen zu können, verrannten sich die RZ in unauflösliche Widersprüche zwischen ihrem revolutionären Kampf und der propagierten Basissolidarität mit sozialen Protestbewegungen. Deren gesellschaftspolitische Alibifunktion schien denn auch mehr Einbindung zu produzieren, als daß eine vormals für unabdinglich erachtete Systemüberwindung in den Horizont des auch nur theoretisch Möglichen geriet. Einige Gruppen der RZ gaben angesichts sich heillos im Kreis drehender Diskussionen auf der einen und Aufweichungstendenzen einst unverzichtbar linke Positionen begründende Inhalte auf der anderen Seite ihren politischen Kampf auf. Zwar hielten einzelne RZ-Gruppen noch eine Zeitlang an ihrem Kurs fest, konnten aber keine politische Antwort auf die drängenden Fragen der Zeit mehr finden. Vor allem die gesellschaftlichen Umbrüche seit dem Anschluß der DDR an die BRD 1990 und deren weitreichende Konsequenzen für die neue europapolitische Ausrichtung der Bundesrepublik höhlten in vielen Zellen den Willen zum Widerstand aus. Andere Aktionsbündnisse wie Attac, Greenpeace und die breite Palette der Nichtregierungsorganisationen lenkten den sozialen Protest wie beispielsweise den der Globalisierungsgegner in neue organisatorische Strukturen.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fall-kaesemann-haftbefehl-gegen-hohe-argentinische-militaers-a-276727.html

[2] http://www.verdammtlangquer.org/2012/05/oberlandesgericht-lehnt-haftentlassung-von-sonja-suder-ab/

26. April 2013